A. Auswahl des Sachverständigen

 

Rz. 1

Gemäß § 73 Abs. 2 StPO sollen grundsätzlich öffentlich bestellte Sachverständige ausgewählt werden. Wird der Sachverständige bereits im Ermittlungsverfahren bestellt, so muss die Staatsanwaltschaft Nr. 70 I RiStBV beachten. Danach ist dem Verteidiger Gelegenheit zu geben, vor der Auswahl eines Sachverständigen Stellung zu nehmen, es sei denn, dass es sich um einen häufig wiederkehrenden, tatsächlich gleichartigen Sachverhalt (z.B. Blutalkoholgutachten) handelt.

Von der Gelegenheit zur Stellungnahme kann abgesehen werden, wenn eine Gefährdung des Untersuchungszwecks bzw. eine Verzögerung des Verfahrens droht.

 

Rz. 2

Im Hauptverfahren obliegt die Bestimmung des Sachverständigen dem Richter. Er darf diese Befugnis nicht auf Privatpersonen übertragen, also es beispielsweise nicht einem Klinik- oder Institutsleiter überlassen, ob er selbst oder einer seiner Mitarbeiter das Gutachten erstattet.[1]

[1] Meyer-Goßner/Schmitt, § 73 Rn 10.

B. Die Einweisung des Sachverständigen

 

Rz. 3

Gemäß § 78 StPO hat der Richter die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten. Das bedeutet, dass er die Aufgabe des Sachverständigen klar und eindeutig zu beschreiben hat.[2]

Der Richter hat dem Sachverständigen die Anknüpfungstatsachen, von denen er in seinem Gutachten ausgehen soll, möglichst schon bei der Auftragserteilung mitzuteilen.

Zitat

"Das hat das Landgericht auch erkannt und einen Sachverständigen hinzugezogen. Es hat sich jedoch die Sachkunde des Gutachters nicht in der gebotenen Weise zunutze gemacht. Dessen Tätigkeit war zur Wahrheitserforschung (§ 244 Abs. 2 StPO) vom Gericht zu leiten (§ 78 StPO), insbesondere waren ihm die vom Gericht festgestellten (Anknüpfungs-) Tatsachen, von denen er in seinem Gutachten auszugehen hatte, mit dem Auftrag mitzuteilen, sich mit diesen auseinanderzusetzen und sie in seine Beurteilung einzubeziehen."[3]

 

Rz. 4

Allerdings kann das Gericht dem Sachverständigen ebenso den Auftrag erteilen, die Anknüpfungstatsachen als Befundtatsachen selbst zu ermitteln. Als Befundtatsachen werden die Tatsachen bezeichnet, die der Sachverständige für die Erstellung seines Gutachtens aufgrund eigener Sachkunde festgestellt hat.

 

Rz. 5

Der Sachverständige kann auch Zusatztatsachen ermitteln. Hierunter sind die Tatsachen zu verstehen, deren Ermittlung und Wahrnehmung keine besondere Sachkunde erfordern und die daher auch durch das Gericht hätten festgestellt werden können. Die Zusatztatsachen sind nicht Inhalt des Gutachtens.

Sie können nur in der Form in die Hauptverhandlung eingeführt werden, dass der Sachverständige insoweit als Zeuge vernommen wird.[4]

 

Rz. 6

In Verkehrsstrafverfahren werden häufig Fahrtenschreiber durch Sachverständige ausgewertet. Das Fahrtenschreiberdiagramm muss, damit es ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann, in Augenschein genommen werden.[5]

[2] Meyer-Goßner/Schmitt, § 78 Rn 3.
[3] BGH Beschl. v. 29.9.1994 – 4 StR 494/94, NStZ 1995, 282.
[4] BGH Urt. v. 8.11.1984 – 1 StR 608/84, NStZ 1985, 135; Meyer-Goßner/Schmitt, § 79 Rn 11; BGH Urt. v. 8.11.1984 – 1 StR 608/84, NStZ 1985, 135.
[5] Vgl. OLG Düsseldorf VRS 39, 277; Meyer-Goßner/Schmitt, § 79 Rn 10.

C. Die Erstattung des Gutachtens

 

Rz. 7

Im Strafverfahren muss der Sachverständige grundsätzlich sein Gutachten in der Hauptverhandlung erstatten, es sei denn, es kommt eine Verlesbarkeit des Gutachtens nach § 256 StPO in Betracht.

 

Rz. 8

Sofern das Gutachten vor der Erstattung in der Hauptverhandlung nicht der Verteidigung in schriftlicher Form übersandt wurde, kann sich für die Verteidigung die Problematik ergeben, dass sie nicht sachgerecht auf das Gutachten reagieren kann. Dies ist insbesondere möglich, wenn nicht ohne weiteres die Feststellung des Sachverständigen nachvollzogen oder überprüft werden kann. In diesen Fällen ist es erforderlich, dass der Verteidiger einen Vertagungs- bzw. Aussetzungsantrag stellt. Zur Begründung sollte man angeben, man benötige Vorbereitungs- bzw. Prüfungszeit, um zum Gutachten Stellung nehmen zu können. Wird diesem Antrag nicht stattgegeben, so ist es notwendig, einen Beschluss des Gerichts nach § 238 StPO herbeizuführen. Dieser Beschluss ist Voraussetzung dafür, dass im Rahmen einer Revision die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) erhoben werden kann.

D. Beweisantrag auf Anhörung eines Sachverständigen

 

Rz. 9

Der Beschuldigte kann durch Stellen eines Beweisantrages die Anhörung eines Sachverständigen erreichen. Der Beweisantrag darf nur unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 2 bis 4 StPO abgelehnt werden.

Wenn das Gericht die Anhörung eines Sachverständigen mit der Begründung ablehnen will, es besitze selber die erforderliche Sachkunde, so muss es im Urteil seine eigene Sachkunde jedenfalls dann plausibel machen, wenn es mehr als Allgemeinwissen in Anspruch nimmt.[6]

Zitat

"Da die Auswirkungen von Alkohol und bestimmten Medikamenten auf die Erinnerungsfähigkeit spezifisches Fachwissen darstellt, das nicht Allgemeingut von Richtern ist, hätte die Sachkunde einer näheren Darlegung bedurft."[7]

 

Rz. 10

Ein erfahrener Verkehrsrichter kann einfache technische Fragen allerdings ebenso beantwor...

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