Rz. 70

Bekanntlich dürfen die in § 41 Abs. 1 FeV vorgesehenen Maßnahmen nur ergriffen werden, wenn die mit einem Hinweis auf die freiwillige Teilnahmemöglichkeit an einem Fahreignungsseminar verbundene schriftliche Ermahnung nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 StVG bzw. die Verwarnung nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG unter Mitteilung der begangenen Verkehrszuwiderhandlungen vorausgegangen war.

Dadurch soll sichergestellt werden, dass keine Maßnahmestufe übersprungen werden kann, was bei real konkurrierenden Taten jedoch der Fall wäre, nachdem der BGH die Figur des Fortsetzungszusammenhangs, jedenfalls für das Verkehrsrecht, nicht mehr für anwendbar erklärt hat (BGH StV 94, 396).

Deshalb muss derjenige, der eine Stufe übersprungen hat, auf den höchsten Punktestand der übersprungenen Stufe zurückversetzt werden. D.h. wer 6 Punkte erreicht, ohne vorher ermahnt worden zu sein, wird auf 5 Punkte, wer 8 Punkte erreicht, ohne verwarnt worden zu sein, auf 7 Punkte zurückversetzt. Dabei handelt es sich um einen echten Punkteabzug, der den Fahrerlaubnis-Inhaber nicht etwa nur im Hinblick auf die jeweils anstehende Maßnahme vorübergehend besser stellt, vielmehr sind sämtliche etwaige spätere Tilgungen von dem im Gesetz fingierten Punktestand - und nicht von dem tatsächlich erreichten - in Abzug zu bringen (OVG Berlin-Brandenburg zfs 2007, 592, BayVGH zfs 2008, 652).

 

Rz. 71

 

Achtung: Verschlechterung

Kam es bisher für die Berechnung des Punktestandes - und damit für die Frage, ob der Betroffene eine bestimmte Eingriffsstufe erreicht hatte - unabhängig von der Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde allein auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung an, so ist jetzt nur noch der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Behörde Kenntnis bekommt (OVG Hamburg DAR 2018, 219).

Deshalb können jetzt - anders als nach früherem Recht - gegen den Betroffenen Maßnahmen aufgrund von Entscheidungen getroffen werden, die bereits rechtskräftig waren, bevor dieser hatte ermahnt oder verwarnt werden können, so z.B. wenn mehrere rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsbehörde zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemeldet werden. Deshalb ist es möglich, dass die Verwaltungsbehörde den Betroffenen zunächst verwarnt und nach Kenntnis einer weiteren Eintragung die Fahrerlaubnis entzieht (BVerwG NZV 2017, 397; OVG Hamburg DAR 2018, 319). Der Betroffene trägt jetzt nämlich grundsätzlich das Risiko einer verzögerten Meldung von rechtskräftigen Entscheidungen (VGH München DAR 2016, 474), es sei denn die verzögerte Meldung sei nicht auf ein bloßes Versehen, sondern auf Willkür zurückzuführen (BayVGH zfs 2016, 415).

 

Tipp

Der Verteidiger muss in solchen Fällen deshalb darauf hinwirken, dass sämtliche vom Betroffenen begangenen Taten möglichst gleichzeitig rechtskräftig und der Führerscheinbehörde mitgeteilt werden.

Ob der Verteidiger die vorgeschilderten Nachteile dadurch vermeiden kann, dass er, ohne den Eingang der Registermeldung bei der Behörde abzuwarten, gem. § 48, 4 VwVfg von sich aus die Behörde über die ihr noch nicht bekannten, aber rechtskräftigen Entscheidung in Kenntnis setzt, ist umstritten.

 

Rz. 72

 

Achtung: Seit 5.12.2014 Änderung der Rechtslage

Nach der alten Rechtslage konnten, unabhängig von der Rechtskraft oder dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Verwaltungsbehörde, weitere, bis zu ihrer Entscheidung begangene Taten den bei Überspringen einer Maßnahmestufe festzusetzenden fiktiven Punktestand nicht mehr erhöhen.

Mit der am 5.12.2014 in Kraft getretenen Änderung der Vorschrift kommt es alleine auf die Kenntnis der Behörde an und zwar auch, wenn der Betroffene in diesem Zeitpunkt bereits weitere, noch nicht gemeldete Verstöße begangen hat. Der Verteidiger muss deshalb darauf hinwirken, dass alle vom Betroffenen begangenen Taten möglichst gleichzeitig rechtskräftig und der Behörde mitgeteilt werden, bevor sie die gesetzlich jeweils vorgesehene Maßnahme ergreifen kann. Hat z.B. der Betroffene 4 Punkte voreingetragen und zu einem von dem Verteidiger bereits seit längerem bearbeiteten 2-Punkte-Verstoß kommt ein weiterer hinzu, muss er - zumindest wenn er eine Eintragung vor Ablauf der Tilgungsfrist einer Voreintragung nicht verhindern kann - beide Verfahren möglichst gleichzeitig rechtskräftig werden lassen, damit beide Verurteilungen der Führerscheinbehörde zur Kenntnis gelangen, bevor sie eine schriftliche Verwarnung aussprechen kann. Gelingt dies, muss der Mandant so behandelt werden, wie wenn er erst 7 Punkte erreicht hätte.

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