Rz. 56

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Verwertungsverbotes ist weder der Tattag noch der Tag der Entscheidung der Bußgeldbehörde, sondern der Tag der letzten Hauptverhandlung bzw. des Urteilserlasses (OLG Stuttgart DAR 2010, 403; OLG Düsseldorf DAR 2011, 471).

Eintragungen, die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung getilgt oder tilgungsreif sind, dürfen, selbst wenn die Tilgungsreife erst am Tag der letzten Tatsachenverhandlung (OLG Köln zfs 2000, 511) oder gar erst am Tag vor dem Urteilserlass (Schleswig-Holsteinisches OLG zfs 2006, 349) eingetreten ist, nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. Der Betroffene ist dann vielmehr als Ersttäter zu behandeln (OLG Bamberg DAR 2010, 332; OLG Bremen DAR 2011, 35), und die zugrundeliegenden Verstöße dürfen weder bei der Straf- bzw. Bußgeldzumessung noch bei der Frage, ob und ggf. für welche Dauer ein Fahrverbot zu verhängen ist, berücksichtigt werden.

Schließlich erlaubt auch die Vorschrift des § 52 Abs. 2 BZRG nicht die Berücksichtigung tilgungsreifer Vorverurteilung bei der Strafzumessung, zumal das früher bereits von der Rechtsprechung entwickelte Verwertungsverbot (OLG Celle NZV 2009, 570) jetzt in § 29 Abs. 7 StVG gesetzlich verankert ist.

 

Achtung: Verwertungsverbot gilt auch in der Überliegefrist

Im Zeitpunkt der Hauptverhandlung tilgungsreife Eintragungen dürfen somit auch dann nicht mehr zu Lasten des Betroffenen verwertet werden, wenn dem Gericht noch der Auszug vorliegt, der die Eintragungen enthält, die die Bußgeldbehörde (damals zu Recht) zur Begründung eines Fahrverbotes herangezogen hatte (OLG Bamberg zfs 2010, 291; OLG Düsseldorf NZV 2011, 316; OLG Hamm zfs 2015, 170).

 

Beispiel

A begeht am 5.7.2018 eine außerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung um 39 km/h. Am 1.10.2018 geht ihm ein Anhörbogen zu.

Mit Bescheid vom 27.12.2018 verhängt die Bußgeldbehörde im Hinblick auf eine im Register vorhandene und am 10.7.2017 rechtskräftig gewordene Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h eine Geldbuße von 200 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot.

Nach Einspruch des A gibt die Staatsanwaltschaft die Akte an das zuständige Amtsgericht ab, wo sie am 20.6.2019 eingeht. Das Amtsgericht bestimmt mit Verfügung vom 30.9.2019 den Hauptverhandlungstermin auf den 29.1.2020.

Ergebnis:

A ist als Ersttäter zu behandeln, so dass das Fahrverbot in Wegfall kommt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist alleine der Hauptverhandlungstermin. Deshalb dürfen ihm die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits in der Überliegefrist befindlichen und ursprünglich das Fahrverbot begründenden Eintragungen nicht mehr vorgehalten werden.

A kann lediglich zu einer Regelbuße von 120 EUR (ohne Fahrverbot) verurteilt werden.

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