Rz. 38

Das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA)[87] bestimmt für Deutschland nur noch im Verhältnis zur Türkei (siehe Rdn 3) die internationale Zuständigkeit und das von den hiernach bestimmten Gerichten anzuwendende Recht in Sorge- und Umgangsrechtsangelegenheiten.

Da gerade in Deutschland Fälle mit Bezug zur Türkei häufig sind, darf eine Darstellung des MSA auch nach Inkrafttreten des KSÜ nicht fehlen.

 

Rz. 39

Wie die der Brüssel IIa-VO und des KSÜ gehen auch die Zuständigkeitsregelungen des MSA den allgemeinen Regeln des nationalen Rechts vor und verdrängen sie (zum Prüfungsschema siehe Rdn 6).[88] Das Abkommen gilt für Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens von Minderjährigen.[89] Es betrifft Regelungen der elterlichen Sorge, des Umgangsrechts, Anordnungen zur Herausgabe des Kindes und Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls oder des Kindesvermögens.[90] Erfasst wird aber nur die internationale Zuständigkeit. Sachliche, funktionelle und örtliche Zuständigkeiten werden nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht bestimmt.

 

Rz. 40

Nach Art. 1 MSA richtet sich die internationale Zuständigkeit vorbehaltlich der Bestimmungen der Art. 3, 4 und 5 MSA grundsätzlich nach dem Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes des Minderjährigen. Darunter ist der Ort zu verstehen, an dem der Schwerpunkt seiner Bindungen liegt, also der Lebensmittelpunkt (siehe Rdn 45).Der Sinn und Zweck der Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt liegt darin, die Verhältnisse des Kindes in der sozialen Umwelt, in der es tatsächlich eingebettet ist, zu lokalisieren. Durch die Regelung in Art. 1 MSA soll die Stellung des Minderjährigen verbessert werden. Es sollen deshalb primär die Behörden des Staates zuständig sein, in dem die Bedürfnisse des Minderjährigen am besten beurteilt werden können.[91]

 

Rz. 41

Nach Art. 13 Abs. 1 MSA ist das Abkommen auf alle Minderjährigen anzuwenden. Es kommt also weder auf die Staatsangehörigkeit des Kindes noch darauf an, ob dessen Heimatstaat zu den Vertragsstaaten gehört.[92]

Minderjährig im Sinne des MSA ist nach Art. 12 MSA ein Kind, das sowohl nach seinem Heimatrecht als auch nach dem Recht an dem gewöhnlichen Aufenthalt noch minderjährig ist.[93] Ein 19-Jähriger, der in seiner tunesischen Heimat noch minderjährig ist, unterliegt daher in Deutschland nicht dem MSA.[94]

 

Rz. 42

Die internationale Zuständigkeit eines deutschen Familiengerichts ist gegeben, wenn das minderjährige Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das deutsche Gericht.[95] Lebt das Kind im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts schon in einem anderen Staat, der dem MSA beigetreten ist, aber nicht Mitgliedstaat der Brüssel IIa-VO ist, sind wegen der Konkurrenzregel des Art. 60 Brüssel IIa-VO nur noch dessen Gerichte zuständig.[96] Das gilt selbst dann, wenn das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und sich seine Eltern in Deutschland scheiden lassen.[97]

 

Rz. 43

Der Begriff "Schutzmaßnahmen" umfasst alle Maßnahmen, die im Interesse des Kindes erforderlich sind. Unter Schutzmaßnahmen im Sinne von Art. 1 MSA sind daher neben den vielfältigen verwaltungsbehördlichen Möglichkeiten insbesondere die Entscheidungen des Familiengerichts zur Herausgabe des Kindes nach § 1632 BGB,[98] Anordnungen nach §§ 1666 ff. BGB,[99] Regelungen zur elterlichen Sorge bei Trennung oder Scheidung nach §§ 1671 und 1672 BGB[100] und Regelungen zum Umgangsrecht nach §§ 1684, 1685 BGB[101] sowie nach § 1686a BGB oder auch Abänderungsmaßnahmen nach § 1696 BGB[102] zu verstehen.

Nicht zu den Schutzmaßnahmen und daher nicht nach dem MSA zu beurteilen ist die gesetzliche Vertretung in einem Abstammungs- oder Unterhaltsverfahren.

Im Falle einer Entführung des Kindes ins Ausland ist die Herausgabe jedoch nach dem HKÜ zu verlangen.[103]

[87] Text abgedr. unter § 14 D.
[88] BGH FamRZ 1997, 1070; OLG Nürnberg FamRZ 2003, 163; OLG Köln FamRZ 1991, 363.
[89] OLG Karlsruhe FamRZ 1993, 96; OLG Köln FamRZ 1991, 363.
[90] Vgl. BGH FamRZ 1981, 135.
[91] OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 642; OLG Celle FamRZ 1993, 95; vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 1108.
[92] OLG Stuttgart FamRZ 1997, 51; OLG Karlsruhe FamRZ 1993, 96; OLG Köln FamRZ 1991, 363; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 1992, 208.
[93] BayObLG FamRZ 1997, 954, 955.
[94] AG Ingolstadt IPRax 1992, 326 m. Anm. Lorenz, IPRax 1992, 305.
[95] OLG Celle FamRZ 1993, 95.
[96] OLG Stuttgart, FamRZ 2013, 49; zust. Anm. Gruber, IPRax 2013, 409; OLG Zweibrücken FamRZ 2014, 1555; OLG Frankfurt OLGR 2005, 621; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 642.
[97] OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 1108.
[98] OLG Hamburg NJW-RR 1990, 1289; OLG Hamm FamRZ 1998, 447; OLG Stuttgart NJW 1985, 566; OLG Düsseldorf FamRZ 1980, 728; OLG Zweibrücken OLGZ 81, 146; OLG Karlsruhe NJW 1976, 485.
[99] BayObLG FamRZ 1997, 954; 1993, 230; 1991, 1219; OLG Frankfurt FamRZ 1997, 571; OLG Stuttgart FamRZ 1980, 1152; Heilmann/Schweppe, Art. 3 MSA Rn 2.
[100] BGH FamRZ 1984, 686; OLG Hamm FamRZ 1988,...

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