Rz. 11
Im Bereich der Verordnungsmitgliedstaaten – das sind alle EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark[35] – ist für die Regelungen von Angelegenheiten der sog. elterlichen Verantwortung (für Deutschland vor allem: Sorge-, Umgangsrechts- und Kindesherausgabesachen; aber auch die nach öffentlichem Recht erfolgte Inobhutnahme und Inpflegegabe eines Kindes[36] seine grenzüberschreitende geschlossene Unterbringung,[37] elterliche Streitigkeiten über die Zuweisung des Alleinentscheidungsrechts in Angelegenheiten des Kindes[38] sowie familiengerichtliche Genehmigungen[39]) seit 1.3.2005[40] die Brüssel IIa-VO[41] vorrangig zu berücksichtigen,[42] die grundsätzlich alle anderen internationalen und nationalen Zuständigkeitsregelungen verdrängt,[43] wenn nicht die Konkurrenzregel des Art. 60 Brüssel IIa-VO dem völkerrechtlichen Übereinkommen (siehe Rdn 6 und Rdn 10) den Vorrang einräumt (zum MSA siehe Rdn 38 ff.). Erfasst wird aber nur die internationale Zuständigkeit. Sachliche, funktionelle und örtliche Zuständigkeiten werden – vorbehaltlich besonderer Regelung in der Verordnung – nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht bestimmt.
Die Zuständigkeitsnormen der Verordnung gelten ohne Ansehung der Staatsangehörigkeit der Beteiligten,[44] zugleich muss nicht zwingend ein kompetenzrechtlicher Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat vorliegen.[45]
Die EU-Kommission hat am 30.6.2016 nach längeren Vorarbeiten einen Vorschlag für eine teilweise geänderte Brüssel IIa-VO vorgelegt (fortan: Reformvorschlag KOM).[46] Von besonderer Bedeutung sind insoweit die Vorschläge betreffend die zeitliche Straffung der Rückführungsverfahren im Falle internationaler Kindesentführung und die Beseitigung des Anerkennungshindernisses einer nicht nach den Standards des Anerkennungsstaats durchgeführten Kindesanhörung. Vorschriften des Vorschlags werden nachfolgend als Brüssel IIa-VO-E zitiert.
Rz. 12
Die Art. 8–15 Brüssel IIa-VO enthalten die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Die Grundregel findet sich in Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO – gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes. Dieser Zuständigkeit gehen aber gemäß Art. 8 Abs. 2 Brüssel IIa-VO die in Art. 9 Brüssel IIa-VO (Umgangsrecht bei rechtmäßigem Umzug des Kindes), Art. 10 Brüssel IIa-VO (Kindesentführung) und Art. 12 Brüssel IIa-VO (Prorogation) geregelten Ausnahmen vor. Greifen diese ebenso wenig wie Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO, so finden – nachrangig – die ergänzenden Zuständigkeiten in Art. 13 Brüssel IIa-VO und – nochmals subsidiär – Art. 14 Brüssel IIa-VO Anwendung. Stets möglich bleibt die in Art. 15 Brüssel IIa-VO vorgesehene grenzüberschreitende Verweisung.
1. Prüfungsschema internationale Zuständigkeit; Leitfaden zur Verordnung
Rz. 13
Folgende Prüfungsreihenfolge für die internationale Zuständigkeit – deren Fehlen auch noch in der Rechtsmittelinstanz gerügt werden kann[47] – empfiehlt sich:[48]
▪ | Zuständigkeit nach den Art. 9, 10 oder 12 Brüssel IIa-VO (nach Art. 8 Abs. 2 Brüssel IIa-VO vorrangig zu prüfen!)?
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▪ | Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO?
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▪ | Zuständigkeit nach Art. 13 Brüssel IIa-VO?
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▪ | Ist ein Gericht eines... |
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