Rz. 63

Beruht die internationale Zuständigkeit des Gerichts nicht auf den Vorschriften des KSÜ, so ist zu unterscheiden. Folgt die Zuständigkeit aus der Brüssel IIa-VO, so richtet sich das anwendbare Recht trotzdem nach Art. 15 Abs. 1KSÜ (sog. Gleichlauf);[147] denn das KSÜ ist erkennbar weitgehend auf die Brüssel IIa-VO abgestimmt. Anders, wenn die Zuständigkeit etwa auf das MSA oder das rein nationale Recht gegründet werden muss; dann ist Art. 15 KSÜ nicht anwendbar. Aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 15 Abs. 1 KSÜ ("ihre[r] Zuständigkeit nach Kapitel II") können Ausnahmen hiervon nicht zugelassen werden.[148] In diesem Fall finden sich die Kollisionsnormen in den Art. 16–22.

Nach Art. 16 KSÜ beurteilen sich die Zuweisung und das Erlöschen der elterlichen Verantwortung nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Dabei enthält Art. 16 Abs. 2 KSÜ eine spezielle Regelung, die – unwandelbar – an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in dem Moment anknüpft, in dem die Sorgerechtsgestaltung kraft elterlicher Handlung, etwa durch Sorgeerklärungen, wirksam wird.[149] Dies ist für vorgeburtliche Sorgeerklärungen in Deutschland erst ab Geburt des Kindes der Fall.[150] Art. 16 Abs. 3 KSÜ ordnet die Fortdauer des bisherigen Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes bei dessen Wechsel in einen anderen Vertragsstaat an.[151] Diese greift auch, wenn ein (Mit-)Inhaber der elterlichen Verantwortung nach dem Recht des Vertragsstaates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts kein Mitsorgerecht hätte, wie dies in Deutschland etwa bei einem Vater der Fall sein kann, der mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet ist.[152] Streitig ist, ob die Art. 16 Abs. 2 und 3 KSÜ auch für einen durch Inkrafttreten des KSÜ zum 1.1.2011 eintretenden Statutenwechsel gelten.[153] Formal sprechen die besseren Gründe dagegen.[154] Auch Art. 16 Abs. 1 KSÜ ist dahingehend auszulegen, dass sein Inkrafttreten nicht zu einem Wegfall eines von einem Vertragsstaat bislang nach Art. 3 MSA anerkannten Gewaltverhältnisses und damit zu einem Statuswechsel führt.[155]

Art. 17 KSÜ erstreckt dies auch auf die Ausübung der elterlichen Verantwortung. Beide Vorschriften sind auch dann anzuwenden, wenn das nach ihnen berufene Recht das eines Nichtvertragsstaates ist, Art. 20 KSÜ.

Die Art. 16 und 17 sind grundsätzlich Sachnormverweisungen (Art. 21 Abs. 1 KSÜ), mit Ausnahme der Sonderkonstellation des Art. 21 Abs. 2 KSÜ: Verweist Art. 16 KSÜ (auf Art. 17 ist Art. 21 Abs. 2 KSÜ nicht anwendbar!) auf das Recht eines Nichtvertragsstaats und verweist das IPR dieses Staates auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaats, der sein eigenes Recht anwenden würde, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden, andernfalls das nach Art. 16 KSÜ bestimmte Recht.

Art. 22 KSÜ enthält die für Haager Übereinkommen typische ordre-public-Klausel, die aber in Deutschland kaum einmal eine Rolle spielen dürfte, weil ohnehin meist deutsches Recht anzuwenden ist.[156]

[147] So inzident – ohne Vertiefung – BGH FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker; Anm. Coester, FF 2011, 285 m.w.N.; ebenso OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 1238; Schulz, FamRZ 2011, 156, 159 m.w.N. (sog. Gleichlaufprinzip).
[148] Sehr streitig, wie hier Rauscher/Rauscher, Art. 3 Brüssel IIa-VO Rn 3 m.w.N.
[149] Dazu Coester, FF 2011, 285, 286.
[152] Schulz, FamRZ 2011, 156, 159; zum Sonderfall der Leihmutterschaft siehe AG Regensburg FamRZ 2014, 1556.
[153] Ablehnend Staudinger/Pirrung, Vorbem G 199 zu Art. 19 EGBGB; dazu neigend auch OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 1238; offen lassend BGH FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker; Anm. Rauscher, NJW 2011, 2332, 2333; OLG Karlsruhe FamRZ 2011, 1963 mit Bespr. Looschelders, IPRax 2014, 152; Coester, FF 2011, 285, 287.
[154] OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 1238 m. Bespr. Heiderhoff, IPRax 2015, 326.
[156] Schulz, FamRZ 2011, 156, 160.

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