Rz. 565

Eine besondere Form des Urkundenbeweises stellt die Beiziehung von Akten dar, welche sich bei einem anderen Gericht oder einer anderen Behörde befinden.

 

Rz. 566

Das Gericht zieht die Akten nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bei, wenn ihm dies zur sachgerechten Vorbereitung der mündlichen Verhandlung sinnvoll erscheint und eine Partei sich (nicht notwendigerweise ausdrücklich, aber wenigstens durch Benennung des behördlichen Vorgangs) hierauf bezogen hat.[350]

 

Rz. 567

 

Beispiel

In Verkehrsunfallsachen stellt die polizeiliche Verkehrsunfallanzeige oder die darauf angelegte Straf- oder Bußgeldakte der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. Bußgeldstelle regelmäßig eine solche Urkunde dar.

Wird über die Eintrittsverpflichtung einer privaten Unfallversicherung gestritten, können die Akten des sozialgerichtlichen Verfahrens die für die Entscheidung des Rechtsstreites wesentlichen Urkunden enthalten.

Ist ein Rechtsstreit umgekehrten Rubrums oder bezüglich einer vorgreiflichen Frage anhängig, können die entsprechenden Gerichtsakten beigezogen werden.

 

Rz. 568

Allein die Beiziehung dieser Akten stellt allerdings noch keine Beweisaufnahme dar, sofern der Inhalt der Akten unstreitig bleibt.[351] Das Gericht kann diese Akten also allein zu Informationszwecken beiziehen.

 

Rz. 569

 

Beispiel

So ist i.d.R. nicht streitig, dass die Polizeibeamten die in der Unfallakte getroffenen Feststellungen tatsächlich vor Ort getroffen haben. Auch dass ein Unfallbeteiligter oder ein Unfallzeuge eine entsprechende Erklärung abgegeben hat, ist nicht streitig. Streitig ist vielmehr allein, ob die aus den Feststellungen oder Aussagen gezogenen Schlussfolgerungen zutreffend sind.

 

Rz. 570

 

Tipp

Der Bevollmächtigte ist hier nicht gehalten, vollständige Abschriften der Akten zu fertigen und für das Gericht und den Gegner vorzulegen. Vielmehr kann er sich darauf beschränken, die Beiziehung der Akten unter Angabe des Aktenzeichens durch das Gericht zu beantragen. Der Bevollmächtigte selbst wie der Gegner können dann Einsicht in die Gerichtsakten nebst der beigezogenen Akte nehmen.

 

Rz. 571

Zieht das Gericht in Bezug genommene Akten nicht schon von Amts wegen nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bei, erfolgt der diesbezügliche Beweisantritt in Form der Vorlage einer im Besitz einer Behörde befindlichen Urkunde nach § 432 ZPO mit dem Antrag, die Behörde um die Vorlage der Urkunde zu ersuchen.[352]

 

Rz. 572

Voraussetzung für einen solchen Antrag ist, dass:

die Behörde nicht selbst am Prozess beteiligt, sondern Dritte ist,
die im Besitz der Behörde befindliche Urkunde nicht ohne die Mitwirkung des Gerichts beschafft werden kann und
ein materiell-rechtlicher Herausgabeanspruch gegen die Behörde nicht besteht.
 

Rz. 573

Im Urkundenprozess ist ein Antrag nach § 432 ZPO allerdings nicht statthaft.[353] Regelmäßig ermöglicht die urkundenbeweisliche Verwertung der Niederschrift über eine Zeugenaussage in einem anderen Verfahren auch keine verfahrensrechtlich zulässige Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen.[354]

[350] Zöller/Greger, § 273 Rn 7a.
[351] Hierzu ausführlich Meyke/Saueressig, Darlegen und Beweisen im Zivilprozess, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn 289.
[352] Muster eines Antrages auf das Ersuchen an eine Behörde, eine Urkunde vorzulegen, unter Rdn 760.
[353] BGH VersR 1994, 1231 = NJW 1994, 3295.

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