Rz. 200

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge des Beklagten zu 2 und des Vaters der Klägerin war aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen der § 254 BGB, § 9 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und ob der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind. Insoweit ließ das Berufungsurteil keinen durchgreiflichen Fehler erkennen.

 

Rz. 201

Zutreffend war der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass der Beklagte zu 2 entgegen dem von ihm einzuhaltenden Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO) nicht nur 70 km/h, sondern – wie von ihm selbst eingeräumt – 90 km/h gefahren ist und dadurch den Unfall schuldhaft verursacht hat. Hierbei war auch die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 2 zu berücksichtigen.

 

Rz. 202

Ohne Erfolg beanstandete die Revision, dass das Berufungsgericht auf Seiten des Beklagten zu 2 das Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis nicht bei der Abwägung berücksichtigt hatte.

 

Rz. 203

In die Abwägung nach § 254 BGB, § 9 StGB sind alle, aber auch nur diejenigen unstreitigen oder erwiesenen Faktoren einzubeziehen, die eingetreten sind, zur Entstehung des Schadens beigetragen haben und einem der Beteiligten zuzurechnen sind; einzelne Verursachungsbeiträge dürfen bei der Abwägung jedoch dann nicht summiert werden, wenn sie sich nur in demselben unfallursächlichen Umstand ausgewirkt haben. Nach diesen Grundsätzen wäre die Tatsache, dass der Beklagte zu 2 ohne Fahrerlaubnis gefahren ist, nur dann zu berücksichtigen gewesen, wenn festgestanden hätte, dass sich dieser Umstand in dem Unfall tatsächlich ausgewirkt hat. Das aber hatte das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen ohne Rechtsfehler verneint.

 

Rz. 204

Eine lediglich abstrakte Gefahrerhöhung (wie etwa im Falle des Verbots des Führens eines Kfz wegen absoluter Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses, vgl. dazu Senat, Urt. v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94) kann im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nur von Bedeutung sein, wenn sie sich bei dem Unfall ausgewirkt hat. Zwar war hier für den Unfall die überhöhte Geschwindigkeit unfallursächlich gewesen. Diese wurde durch das Fahren ohne die erforderliche Fahrerlaubnis ermöglicht, jedoch war das Fahren ohne Fahrerlaubnis darüber hinaus kein zusätzliches Gefahrenmoment, das sich bei dem Unfall ausgewirkt hatte.

 

Rz. 205

Dass der Beklagte nach dem Entzug der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit das Fahrzeug gar nicht erst führen durfte, war insoweit ohne Belang. Maßgebend war vielmehr, ob sich eine Fahruntüchtigkeit als Gefahrenmoment in dem Unfall niedergeschlagen hatte. In die Abwägung für die Haftungsverteilung nach § 9 StVG, § 254 BGB dürfen wie bei § 17 StVG nur diejenigen Tatbeiträge eingebracht werden, die sich tatsächlich auf die Schädigung ausgewirkt haben. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben.

 

Rz. 206

Für einen Beitrag des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu dem Unfallgeschehen sprach im hier zu entscheidenden Fall auch nicht ein Anscheinsbeweis. Zwar kann bei einem Fahrfehler des Schädigers zugunsten des Geschädigten grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für den Ursachenbeitrag einer fehlenden Fahrerlaubnis sprechen. Davon konnte im Streitfall nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen jedoch nicht ausgegangen werden. Dem Beklagten war zwar wegen Trunkenheit im Straßenverkehr die Fahrerlaubnis entzogen, er war aber im Zeitpunkt des Unfalls nüchtern gefahren und es waren darüber hinaus keine gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich, die sich zusätzlich zu dem Verstoß gegen das Sichtfahrgebot unfallursächlich ausgewirkt haben konnten. Dafür, dass seine überhöhte Geschwindigkeit mit der fehlenden Fahrerlaubnis in Zusammenhang gestanden hätte, sprach kein Satz der Lebenserfahrung. Soweit die Revision meinte, das Fahren ohne Fahrerlaubnis habe sich tatsächlich in der vom Beklagten gefahrenen, überhöhten Geschwindigkeit ausgewirkt, war eine mehrfache Berücksichtigung dieses Umstands in der Abwägung nicht möglich.

 

Rz. 207

Den hiernach zu berücksichtigenden Beiträgen des Beklagten zu 2 zu dem Unfallgeschehen (Verstoß gegen das Sichtfahrgebot; Betriebsgefahr) hatte das Berufungsgericht die Beiträge des Vaters der Klägerin gegenübergestellt (§ 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG, § 25 Abs. 1 StVO). Dieser hatte sich unter Verstoß gegen §§ 2 Abs. 1 S. 1, 69a Abs. 1 Nr. 1 StVZO a.F., § 24 StVG a.F. (nunmehr: §§ 2 Abs. 1 S. 1, 75 Nr. 1 FeV) mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,56 g Promille bei Nacht als Fußgänger auf der Fahrbahn – ca. 1 m vom (für den Beklagten zu 2) rechten Fah...

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