Rz. 134

BGH, Urt. v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, zfs 2016, 434 = VersR 2016, 479

Zitat

StVG § 17; StVO §§ 1, 9 Abs. 5

a) Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO ist auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1 StVO.
b) Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärtsfährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann.
c) Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Verschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat.

a) Der Fall

 

Rz. 135

Die Klägerin nahm die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf restlichen Schadensersatz in Anspruch.

Im Dezember 2012 kollidierte die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw mit dem Pkw der Klägerin. Der Zusammenstoß ereignete sich auf dem Kundenparkplatz eines Einkaufszentrums. Mit der Behauptung, die Klägerin treffe eine Mithaftung von 40 %, regulierte die Beklagte zu 2 den am Fahrzeug der Klägerin entstandenen, der Höhe nach unstreitigen Schaden zu 60 %. Die restlichen 40 %, einen Betrag von 939,88 EUR, machte die Klägerin – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse – mit ihrer Klage geltend.

 

Rz. 136

Die Klägerin hat behauptet, sie sei zunächst hinter dem Fahrzeug der Beklagten zu 1 hergefahren. Diese habe dann versucht, in eine Parklücke einzuparken. Sie, die Klägerin, sei dabei mit ihrem Pkw – quer zur Parklücke – hinter dem Fahrzeug der Beklagten zu 1 gestanden. Da es der Beklagten zu 1 nicht gelungen sei, ganz in die Parklücke einzufahren, habe diese den Rückwärtsgang eingelegt und sei aus der Parklücke rückwärts wieder herausgefahren. Dabei sei das Fahrzeug der Beklagten zu 1 mit demjenigen der Klägerin, das zu diesem Zeitpunkt gestanden habe, kollidiert. Sie, die Klägerin, habe diesen Unfall nicht vermeiden können. Ein Zurücksetzen ihrerseits sei schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil sich hinter ihr ein anderes Fahrzeug befunden habe; ein Hupen, um die Beklagte zu 1 auf sich aufmerksam zu machen, sei ihr ebenfalls nicht möglich gewesen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die von der Klägerin dagegen geführte Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 137

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe aus dem Unfallereignis kein über die bereits erfolgte Regulierung des Schadens hinausgehender Schadensersatzanspruch zu. Dies folge aus dem Ergebnis der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung. Einzustellen seien dabei im Streitfall allein die – gleich zu wertenden – Betriebsgefahren der beiden Fahrzeuge. Ein für den Unfall ursächliches Verschulden der Fahrzeugführer stehe indes nicht fest.

 

Rz. 138

Auf einen Verstoß der Beklagten zu 1 gegen § 9 Abs. 5 StVO könne sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil die Bestimmung auf Unfälle auf einem Parkplatz nicht unmittelbar anwendbar sei. Ein für den Unfall ursächlicher Verstoß der Beklagten zu 1 gegen § 1 StVO stehe nicht fest. Zwar könne nicht fraglich sein, dass vor dem (Rückwärts-)Ausparken neben dem von der Beklagten zu 1 angegebenen Blick über die rechte Schulter auch der Blick unmittelbar nach hinten und über die linke Schulter erforderlich sei. Das in einem unzureichenden Blick nach hinten liegende Verschulden hätte sich aber nur dann ausgewirkt, wenn bei Beginn des Ausparkvorgangs erkennbar gewesen wäre, dass mit dem Ausparken eine Gefährdung des gegnerischen Fahrzeugs einhergehe und der Ausparkvorgang deshalb hätte abgebrochen werden müssen bzw. gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen. Davon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden, da nicht feststehe, wo sich das Fahrzeug der Klägerin im Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung (spätestens bei Aufleuchten des Rückscheinwerfers am Fahrzeug der Beklagten zu 1) befunden habe und ob es in Bewegung gewesen sei.

 

Rz. 139

Schließlich nehme die Kammer einen Anscheinsbeweis dafür, dass ein Verschulden des rückwärts Ausparkenden ursächlich für den Unfall gewesen sei, nicht an. Es fehle im Hinblick auf die auf einem Parkplatz bestehenden Besonderheiten an einem hierfür erforderlichen typischen Geschehensablauf. Wenn es beim Rückwärtsausparken zu einem Unfall komme, sei es gerade nicht typisch, dass allein den Ausparkenden ein Vorwurf treffe und der Unfallgegner den ihm aufzuerlegenden, ebenfalls erhöhten Sorgfaltspflichten genügt habe.

 

Rz. 140

Das Berufungsurteil hielt revisi...

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