Rz. 118

BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, zfs 2016, 435 = VersR 2016, 410

Zitat

ZPO § 286; StVO §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 5

Die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs liegt regelmäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere – rückwärtsfahrende – Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.

a) Der Fall

 

Rz. 119

Der Kläger machte Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall am 6.6.2013 auf dem Parkplatz eines Baumarktes geltend.

Der Kläger parkte mit seinem Pkw rückwärts aus einer Parkbucht aus. Es kam zu einem Zusammenstoß in der zwischen zwei Parkbuchtreihen befindlichen Gasse mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw des Beklagten zu 1, der ebenfalls rückwärts aus einer gegenüberliegenden Parkbucht herausfuhr. Vorgerichtlich regulierte die Beklagte zu 2 die von ihr anerkannten Schadenspositionen des Klägers im Umfang von 50 %. Der Kläger beanspruchte eine Erstattung von 100 % der von ihm angemeldeten Schäden. Insoweit machte er auch einen höheren als den erstatteten Wiederbeschaffungsaufwand seines Fahrzeugs sowie nicht erstattete Kosten einer ergänzenden Stellungnahme des von ihm beauftragten Sachverständigen geltend.

 

Rz. 120

Der Kläger hat behauptet, sein Fahrzeug habe nach dem Ausparken bereits in Fahrtrichtung gestanden, als der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren sei. Die Beklagten haben behauptet, beide Fahrzeuge hätten sich im Zeitpunkt des Zusammenstoßes in Bewegung befunden.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seine Ansprüche weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 121

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stand dem Kläger über den von der Beklagten zu 2 regulierten Teilbetrag hinaus weder aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, 2 StVG noch aus § 823 Abs. 1 BGB, § 115 VVG ein weiterer Schadensersatzanspruch zu. Das Amtsgericht sei zu Recht von einer Haftungsquote der am Unfall beteiligten Fahrzeuge von jeweils 50 % ausgegangen. Gemäß der in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung streite der aus § 9 Abs. 5 StVO hergeleitete Anscheinsbeweis grundsätzlich auch dann für ein Verschulden des Zurücksetzenden, wenn dieser zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stehen gekommen sei, gleichwohl aber – wie hier – ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzen vorliege. Danach komme es nicht darauf an, ob das Fahrzeug des Klägers im rechten Winkel zu seiner Parkbucht gestanden habe und das Beklagtenfahrzeug auf sein stehendes Fahrzeug aufgefahren sei.

 

Rz. 122

Nicht zu beanstanden sei die vom Amtsgericht gemäß § 287 ZPO vorgenommene Schätzung des Wiederbeschaffungswerts des klägerischen Fahrzeugs abzüglich des Restwerts auf 730 EUR. Zu Recht habe das Amtsgericht die Kosten des Ergänzungsgutachtens des vom Kläger beauftragten Sachverständigen nicht als erstattungsfähig angesehen. Die alleinige Begutachtung des klägerischen Fahrzeugs sei wenig aussagekräftig gewesen und es komme auf die Frage, ob das klägerische Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt gestanden habe, nicht an.

 

Rz. 123

Das angefochtene Urteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stritt nach den bisherigen Feststellungen ein Anscheinsbeweis nicht für ein (Mit-)Verschulden des Klägers. Nicht frei von Rechtsfehlern waren auch die Ausführungen zur Schätzung des Wiederbeschaffungsaufwands des klägerischen Fahrzeugs.

 

Rz. 124

Die Revision war unbeschränkt zulässig. Die Entscheidungsformel des Berufungsurteils enthielt keinen Zusatz, der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Eine Beschränkung der Revisionszulassung ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht genannten Begründung der Zulassung, eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Haftungsverteilung bei Unfällen zwischen rückwärts ausparkenden Pkw zu ermöglichen. Eine Beschränkung der Revisionszulassung ist nur im Hinblick auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Streitgegenstands zulässig, nicht aber auf einzelne Rechtsfragen. Hier ergab sich eine Beschränkung auf den Haftungsgrund nicht eindeutig aus der Benennung des Zulassungsgrundes, zumal die angesprochene Rechtsfrage nach der Begründung des Berufungsurteils auch für den Ersatz der im Revisionsrechtszug von den Beklagten anerkannten Kosten des Ergänzungsgutachtens erheblich sein konnte.

 

Rz. 125

Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden war der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 A...

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