Rz. 1

Bei der Beurteilung eines älteren FE-Inhabers ist zunächst zu berücksichtigen, dass gewisse Leistungsminderungen bei allen Menschen im höheren Lebensalter zu erwarten sind. Demgegenüber kann damit gerechnet werden, dass ältere FE-Inhaber aufgrund ihrer langjährigen Verkehrserfahrungen und gewohnheitsmäßig geprägter Bedienungserfahrungen geringe Leistungsdefizite auszugleichen in der Lage sind. Damit die Fahreignung betroffen ist, müssen aber Leistungsmängel und Persönlichkeitsveränderungen bestehen und auch nachgewiesen werden. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Stand: Mai 2014) enthalten hierzu in Nr. 3.12.2 "Demenz und organische Persönlichkeitsveränderungen" sowie Nr. 3.12.3 "Altersdemenz und Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische Alterungsprozesse" weitergehende Grundsätze. So ist derjenige, der unter einer ausgeprägten senilen oder präsenilen Demenz oder unter einer schweren altersbedingten Persönlichkeitsveränderung leidet, nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet (Leitsatz Nr. 3.12.3).

 

Rz. 2

Hohes Alter von 81 Jahren und eine sehr vorsichtige Fahrweise für sich genommen dürfen damit noch keinen Anhalt bieten, begründete Zweifel an der uneingeschränkten Eignung zum Führen von Kfz zu hegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der FE-Inhaber bislang in keiner Weise verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist.[1] Auch nach der Neuregelung von StVG und FeV können allein aus dem fortgeschrittenen Alter eines Kraftfahrers keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für Fahreignungszweifel hergeleitet werden.[2] Hohes Alter allein ist kein ausreichender Grund für die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Dieser Gesichtspunkt allein trägt auch nicht die Anordnung der Beibringung eines Fahreignungsgutachtens. Auch die Unerklärlichkeit eines Verkehrsunfalls eines 85 Jahre alten FE-Inhabers berechtigt nicht, auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen.[3]

 

Rz. 3

Dass durch den fortschreitenden Alterungsprozess die Gefahr von fahrleistungserheblichen Defiziten zunimmt, liegt auf der Hand. Es müssen jedoch immer konkrete Eignungsmängel anhand der vorliegenden Umstände naheliegen; ein bloßer Verdacht reicht nicht aus und wäre eine unzulässige Gutachtensanforderung "ins Blaue". Liegen mehrere Eignungsmängel nahe, hat die Fahrerlaubnisbehörde den Mangel aufzuklären, der mit dem geringsten Eingriff verbunden ist. Das bedeutet, dass zunächst die Eignungsmängel aufzuklären sind, die sich durch ein medizinisches Gutachten aufklären lassen. Denn ein medizinisches Gutachten ist mit einem geringeren Eingriff für den Betroffenen verbunden als ein medizinisch-psychologisches Gutachten.[4]

Zur Klärung ob und welche Eignungsmängel bei möglichen verschiedenen Mängel naheliegen (z.B. Hör- und Sehmängel sowie internistische Erkrankung) kann die Behörde die Begutachtung durch einen Amtsarzt anordnen.

 

Rz. 4

Treten aber weitere Umstände hinzu (z.B. unangemessen langsames Fahren, zu nah an der Mittellinie und Missachtung der Anhalteversuche der Polizei über eine längere Fahrstrecke hin), so sind diese Gesichtspunkte in Verbindung mit dem hohen Lebensalter in der Gesamtschau jedenfalls so gewichtig, dass eine gesundheitliche Überprüfung zum Ausschluss eines möglicherweise stärkeren altersbedingten Leistungsabbaus angeordnet werden konnte. Dabei hatte die Behörde zum mildesten Mittel, der amtsärztlichen Gesundheitsüberprüfung, gegriffen und damit nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehandelt.[5] Insofern hat sich die Anforderung der Begutachtung an §§ 11, 13, 14 FeV zu orientieren. Gerade bei hochbetagten Fahrern muss bei aller Bedeutung der Verkehrssicherheit darauf geachtet werden, dass keine Begutachtung "ins Blaue hinein" erfolgt. Es müssen konkrete Eignungszweifel durch Tatsachen belegt sein. Die Begutachtung eines hochbetagten Kraftfahrers nach einem von ihm verursachten Verkehrsunfall ist dann nicht gerechtfertigt, wenn die Unfalltatsachen (Verwechslung von Bremse und Gaspedal, Schilderung eines "Blackouts") keinen hinreichenden Anlass für das Vorliegen einer eignungsrelevanten Erkrankung (kreislaufabhängige Störung der Hirntätigkeit) geben.[6]

Bei Leistungsdefiziten von betagten Führerscheininhabern ist oft unklar, welche Erkrankung im Rahmen einer Begutachtung aufzuklären ist. Eine pauschale Aufklärung, ob Erkrankungen im Sinn der Anlage 4 zur FeV vorliegen, ist unzulässig.[7] Es muss eine Eingrenzung auf eine oder mehrere Erkrankungen vorgenommen werden. Die Verkehrsbehörde, der die erforderliche Sachkenntnis regelmäßig fehlen dürfte, muss dann einen Amtsarzt hinzuziehen, der die Behörde bei der Festlegung der Fragestellung in medizinischer Hinsicht berät.[8]

 

Rz. 5

Bei der Anordnung einer augenärztlichen Begutachtung ist die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Wenn angegeben wird, dass ein Fahrer "nachts nicht mehr so gut sieht" oder "nachts ungern fährt", folgt daraus nicht die Erforderlichkeit einer umfassenden augenärztlichen Begutachtung. Auch in...

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