Rz. 79

Im Rahmen der Abfindungserklärung muss das Augenmerk auch auf die Aktivlegitimation des Geschädigten gerichtet werden: Soweit Sozialversicherungsträger, Arbeitgeber, Sozialhilfeträger und ggf. private Versicherer Leistungen aufgrund des Schadensereignisses erbracht haben und/oder erbringen werden, für deren Ersatz der Schädiger einzustehen hat, verfügt das Gesetz über einen Übergang dieser Ersatzansprüche vom Geschädigten auf den Leistenden. Damit soll ausgeschlossen werden, dass der Geschädigte zulasten der Sozialversicherungssysteme oder einer versicherten Gemeinschaft doppelt entschädigt wird (BGHZ 155, 342, 349). Insgesamt soll der Schaden nur einmal ausgeglichen werden, und zwar vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung. Gesetzliche Forderungsübergänge enthalten die §§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 1 SGB X, § 6 Abs. 1 EFZG und § 86 Abs. 1 VVG.

 

Rz. 80

Auf den privaten Krankenversicherer geht der Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer im Zeitpunkt der Erbringung der Versicherungsleistung gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG über. Für den Arbeitgeber ist dies der Zeitpunkt, zu dem er die Entgeltfortzahlung gem. § 6 Abs. 1 EFZG leistet. Auf den Sozialhilfeträger und auf die Bundesagentur für Arbeit geht der Anspruch nach § 116 Abs. 1 SGB X über, sobald mit der Hilfsbedürftigkeit des Geschädigten ernsthaft zu rechnen ist. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es für die Kenntnis des Versicherers vom Forderungsübergang (§§ 412, 407 Abs. 1 BGB) allein auf die Absehbarkeit künftiger Hilfsbedürftigkeit an (BGHZ 127, 120, 128; BGHZ 131, 274, 286).

 

Rz. 81

Eine erhebliche Haftungsfalle für den Anwalt entsteht, wenn er mit dem Versicherer die Abfindung des Geschädigten auch hinsichtlich der zukünftigen materiellen Schäden vorbehaltlos reguliert, weil er dann den privaten Krankenversicherer von seiner Leistungspflicht befreit (§ 86 Abs. 1 VVG) und der Anwalt des Geschädigten darüber hinaus den Arbeitgeber seines Mandanten zur Verweigerung künftiger Entgeltfortzahlung berechtigt (§ 7 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 EFZG).

 

Rz. 82

Leistet der Versicherer an den Geschädigten, ohne zu wissen, dass bereits ein Anspruchsübergang auf einen Sozialhilfeträger oder die Bundesagentur für Arbeit stattgefunden hat, muss der Geschädigte diese Leistungen erstatten, soweit sie wegen der Legalzession dem Sozialhilfeträger bzw. der Bundesagentur für Arbeit zustanden (§ 116 Abs. 7 SGB X).

 

Rz. 83

Immerhin kann der Sozialhilfeträger bzw. die Bundesagentur für Arbeit gegen laufende Ansprüche bis zur Pfändungsfreigrenze aufrechnen (§§ 51 Abs. 1, 52, 54 Abs. 4 SGB I). Wenn im Regress des Sozialhilfeträgers bzw. der Bundesagentur für Arbeit der Haftpflichtversicherer in Anspruch genommen wird, welcher die Hilfsbedürftigkeit voraussehen konnte, dann kann dieser einen Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Geschädigten geltend machen, weil er mit der Abfindungsleistung den bezweckten Erfolg nicht erreichen konnte.

 

Praxistipp

Wenn sich der Anwalt einen Überblick über die unfallbedingt bereits gezahlten Ersatzleistungen eines Sozialversicherungsträgers, des Arbeitgebers, eines privaten Versicherers, eines Sozialhilfeträgers oder der Bundesagentur für Arbeit verschafft hat, dann empfiehlt es sich, den Versicherer uneingeschränkt über diesen Sachverhalt aufzuklären, um den eigenen Mandanten nicht einem Anspruch des Haftpflichtversicherers nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB auszusetzen.

 

Praxistipp

Fernerhin muss der Rechtsanwalt eine Prognose darüber erstellen, ob mit der Inanspruchnahme von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit oder eines Sozialhilfeträgers zu rechnen ist. Um auch hier den sichersten Weg zu gehen, sollte der Geschädigtenvertreter einen Vorbehalt in den Vergleich aufnehmen, wonach zukünftig übergehende Ansprüche eines Sozialhilfeträgers bzw. der Bundesagentur für Arbeit oder eines privaten Versicherers mit der Abfindungszahlung nicht abgefunden sind.

Da nach § 116 SGB X die Ansprüche des Verletzten auf den Sozialversicherungsträger bereits im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls übergehen, ist der Geschädigtenvertreter für jedwede Vorbehaltsgestaltung nicht aktivlegitimiert, so dass die Formulierung, wonach übergegangene und zukünftig übergehende Ansprüche eines Sozialversicherungsträgers von der Abfindung nicht umfasst sind, ohnehin lediglich deklaratorischen Charakter hat.

 

Rz. 84

Um die übergegangenen und übergehenden Ansprüche wirksam im Rahmen einer Abfindungserklärung vorzubehalten, könnte wie folgt formuliert werden:

Muster 19: Formulierungsbeispiel: Vorbehalt übergegangener und übergehender Ansprüche auf Dritte – Variante 1

 

Formulierungsbeispiel: Vorbehalt übergegangener und übergehender Ansprüche auf Dritte – Variante 1

Alle bestehenden und zukünftigen Ansprüche des Verletzten, die auf seinen Arbeitgeber, auf Sozialversicherungsträger und Sozialhilfeträger einschließlich der Bundesagentur für Arbeit und auf private Versicherer kraft Gesetzes schon übergegangen sind oder künftig übergehen werden, bleiben von der geschlossenen Abfindung...

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