Rz. 56

An dieser Stelle sei zunächst nochmals auf die Vorhersehbarkeitsrechtsprechung des BGH verwiesen (siehe § 5 Rdn 53 ff.). Objektiv vorhersehbare gesundheitliche Folgeschäden sind mit der Zahlung eines Schmerzensgeldbetrages im Zusammenhang mit einer Abfindungserklärung umfassend abgegolten. Demgegenüber ist es jedoch auch zulässig, das Schmerzensgeld bis zum Zeitpunkt des Abfindungsvergleiches zu begrenzen und das gesamte Zukunftsrisiko über eine Feststellungserklärung aufzufangen (BGH NJW 1975, 1463, 1465). Außergerichtlich können also Teil-Abfindungsvergleiche in Bezug auf das Schmerzensgeld völlig unproblematisch vereinbart werden. Allerdings muss der restliche Schmerzensgeldanspruch wirksam gegen Verjährung geschützt werden.

Hier könnte wie folgt formuliert werden:

Muster 5: Immaterieller Zukunftsschadensvorbehalt bei Teilschmerzensgeldabfindung

 

Immaterieller Zukunftsschadensvorbehalt bei Teilschmerzensgeldabfindung

Mit der Zahlung von _________________________ EUR sind die Schmerzensgeldansprüche des Anspruchstellers bis zum _________________________ abgegolten. Zukünftige immaterielle Schäden, auch solche, die bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Abfindungserklärung objektiv vorhersehbar sind, bleiben ausdrücklich entgegen der Rechtsprechung des BGH vom 14.2.2006, VI ZR 322/04, vorbehalten. Grundlage für die Höhe des vereinbarten Schmerzensgeldes ist das Gutachten/der Arztbericht von Dr. _________________________ vom _________________________, insbesondere der darin festgestellte Dauerschaden. Nicht mit abgegolten sind zukünftige immaterielle Beeinträchtigungen, die über das Gutachten/den Arztbericht von Dr. _________________________ hinausgehen. Sollte der Zustand des Anspruchstellers sich gegenüber den Feststellungen von Dr. _________________________ verschlechtern, stehen ihm weitergehende immaterielle Ansprüche zu (oder alternativ: Sollte der Zustand des Anspruchstellers sich von derzeit 50 % MdE auf 60 % MdE verschlechtern, stehen ihm weitergehende immaterielle Ansprüche zu.) Bezüglich dieser Ansprüche wird sich der Versicherer so behandeln lassen, als sei gegen ihn am Tage der Unterzeichnung der Abfindungserklärung ein gerichtliches Feststellungsurteil ergangen.

 

Rz. 57

In dem vom Thüringischen OLG (9.8.2006 – 7 U 289/06 = zfs 2007, 27 ff.) entschiedenen Fall hatte der Rechtsanwalt im Wege einer "Sondervereinbarung" wie folgt formuliert:

Zitat

"Vorbehalten bleiben weitere immaterielle Ansprüche, für den Fall einer Verschlechterung der Beschwerden sowie Auslagen zur Wahrnehmung erforderlicher Heilbehandlungen, BGH-Rechtsprechung (VersR 1980, 975)."

In der Folge trat eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin ein, wobei durch einen Sachverständigen festgestellt worden war, dass schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleiches die Vergrößerung der Beschwerden vorhersehbar war. Das Thüringische OLG hat die Geltendmachung der weiteren Schmerzensgeldansprüche auf der Grundlage dieses Vorbehaltes (leider zu Recht) ausgeschlossen. Der Vorbehalt wurde nicht bedingungslos vereinbart, sondern unter den Voraussetzungen, die der BGH in seiner Entscheidung vom 8.7.1980 (VersR 1980, 975) an die Erlangung eines Schmerzensgeldes nach einer rechtskräftigen Entscheidung gestellt hat. Der Inhalt dieser Entscheidung war ausdrücklich Gegenstand der zwischen den Parteien getroffenen Abfindungsvereinbarung. Die Zitierung der BGH-Entscheidung ließ nur den Schluss zu, dass deren Grundsätze auch für das Verhältnis zwischen den Parteien Geltung haben sollte. Nach den Feststellungen des Sachverständigen (die bereits zum Zeitpunkt der Abfindungserklärung objektiv vorhersehbare Verschlechterung ist eingetreten) bestand damit kein Anspruch auf ein weiteres Schmerzensgeld.

 

Praxistipp

Wenn der Versicherer einwendet, dass die vom Anwalt vorgetragenen objektiv vorhersehbaren Folgen "völlig aus der Luft gegriffen" seien und mit deren Eintritt unter gar keinen Umständen zu rechnen wäre, dann sollte in einem Vorbehalt ausdrücklich geregelt werden, dass bei Eintritt der namentlich zu benennenden objektiv vorhersehbaren medizinischen Folgen entgegen der Rechtsprechung des BGH vom 14.2.2006 (zfs 2006, 381 ff.) gleichwohl ein weiterer Schmerzensgeldanspruch besteht und weiterhin zusätzlich immaterielle Ansprüche für objektiv nicht vorhersehbare Folgen vorbehalten bleiben. Dieser Vorbehalt ist mit der Wirkung eines am Tage der Unterzeichnung der Abfindungserklärung rechtskräftigen Feststellungsurteils abzugeben.

 

Hinweis

Bei der Formulierung eines immateriellen Schadensvorbehaltes ist größte Umsicht geboten. Je exakter der Vorbehalt formuliert ist, desto werthaltiger ist er für den Mandanten. Die Ausgangsbasis bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sieht oftmals so aus, dass der Geschädigtenvertreter das Schadensbild dramatisiert, hingegen der Versicherer exakt das gleiche Schadensbild bagatellisiert. Aus diesem Grunde ist die Inbezugnahme einer objektiven Feststellung des Gesundheitszustandes am Tage der Abfindung ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge