Rz. 15
Die Ausführungen des Berufungsgerichts hielten der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
Rz. 16
Im Ergebnis zutreffend hatte das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers gegen den Beklagten nach § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB dem Grunde nach besteht.
Eine Gesundheitsverletzung des Klägers i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB lag nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen in Form einer psychischen Störung vor.
Rz. 17
Nach ständiger Senatsrechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Dieser Grundsatz hat nach der bisherigen Senatsrechtsprechung, die auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hatte, im Bereich der sogenannten "Schockschäden" allerdings eine gewisse Einschränkung erfahren. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne weiteres eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Psychische Beeinträchtigungen sollen in diesen Fällen nur dann als Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Rz. 18
An dieser einschränkenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung, die in der Literatur verbreitet auf Kritik gestoßen ist, hält der Senat nicht länger fest. Bei sogenannten "Schockschäden" stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Rz. 19
Der Senat hält diese Änderung im Sinne einer konsequenten Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB für geboten. Soweit der Senat zur Begründung seiner bisherigen Rechtsprechung die in den §§ 844, 845 BGB zum Ausdruck kommende Wertung herangezogen hat, wonach Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsguts bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der in diesen Vorschriften genannten Fälle ersatzlos bleiben, steht diese Wertung einer Gleichbehandlung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen nicht entgegen. In den Fällen sogenannter "Schockschäden" ist Grundlage der Haftung nicht die Verletzung eines Rechtsguts bei einem Dritten, sondern eine eigene – psychische – Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers.
Rz. 20
Zudem sieht der Senat die Gefahr, dass der nach der bisherigen Senatsrechtsprechung bei der Prüfung des Vorliegens einer Gesundheitsverletzung in Form eines "Schockschadens" anzustellende Vergleich zwischen der Beeinträchtigung des Anspruchstellers und der zu erwartenden Reaktion von Angehörigen in vergleichbarer Lage zu unbilligen Ergebnissen führen kann. Dies wird exemplarisch deutlich, wenn als Auslöser des "Schockschadens" eine vorsätzliche Straftat in Rede steht. Es wäre schon für sich genommen unbillig, etwa im Falle einer besonders schwerwiegenden Straftat, die bei nahen Angehörigen des Opfers mittelbar eindeutig pathologische psychische Beeinträchtigungen (etwa schwere Depressionen) verursacht hat, diese deshalb nicht als tatbestandsmäßige Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB anzusehen, weil sie im Regelfall als Reaktion auf vergleichbare Straftaten zu erwarten sind. Darüber hinaus würde es zu Wertungswidersprüchen führen, in derartigen Fällen eine Gesundheitsverletzung zu verneinen, diese aber umgekehrt bei mittelbarer Verursachung einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert durch eine geringfügige Straftat deshalb zu bejahen, weil sie bei Angehörigen in vergleichbarer Lage regelmäßig nicht auftritt.
Rz. 21
Dem der bisherigen Senatsrechtsprechung zugrundeliegenden und berechtigten Anliegen, die Haftung für lediglich mittelbar verursachte psychische Beeinträchtigungen – insbesondere bei lediglich fahrlässiger Herbeiführung – nicht ins Uferlose auszuweiten, kann bei sorgfältiger Prüfung der haftungsbegründenden Merkmale des § 823 Abs. 1 BGB in anderer Weise als durch einschränkende Voraussetzungen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung Rechnung getragen werden. So is...