Rz. 291

Die Revision hatte Erfolg.

 

Rz. 292

Rechtsfehlerfrei ging das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der geltend gemachten Untersuchungs- und Behandlungskosten nur gegeben ist, wenn der Unfall zu einer Körperverletzung ihrer Versicherten geführt hat (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB). Ist eine Primärverletzung nicht bewiesen, fehlt es an einer Rechtsgutverletzung i.S.d. Haftungstatbestände der § 823 BGB, § 11 StVG. Der bloße Verletzungsverdacht steht einer Verletzung haftungsrechtlich nicht gleich (OLG Hamm r+s 2003, 434, 436; Jahnke, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., Vor § 249 BGB Rn 87 m.w.N.).

 

Rz. 293

Das Berufungsgericht hielt es für nicht bewiesen, dass die Versicherten G. und F. infolge des Unfalls eine HWS-Distorsion erlitten hatten. Diese – vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbare (vgl. Senatsurt. v. 8.7.2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126 Rn 7 m.w.N.) – tatrichterliche Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

 

Rz. 294

Die Revision wandte sich jedoch mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle im Streitfall an dem Nachweis jeglicher Verletzungen. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. Senatsurt. v. 16.4.2013 – VI ZR 44/12, VersR 2013, 1045 Rn 13 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügte die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nicht.

 

Rz. 295

Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Vorliegend hatte das Berufungsgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass die vom Amtsgericht als Zeuginnen vernommenen Versicherten G. und F. bekundet hatten, am Tag nach dem Unfall Beschwerden bzw. Schmerzen im Halsbereich verspürt zu haben. Das Amtsgericht hat diese Aussagen für glaubhaft erachtet und sich die Überzeugung gebildet, dass die von G. und F. geklagten Beschwerden unfallursächlich waren. Die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils ließen nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, ob das Berufungsgericht die Aussagen der Zeuginnen anders als das Amtsgericht für nicht glaubhaft und die Beschwerden deshalb für nicht bewiesen erachtet oder ob und ggf. weshalb es (nur) die Unfallursächlichkeit der geschilderten Beschwerden für nicht nachgewiesen hielt. Sollte es der Meinung gewesen sein, für den Beweis der Unfallursächlichkeit eines Körperschadens sei das Vorhandensein äußerlicher körperlicher Unfallspuren erforderlich, könnte dieser Auffassung nicht beigetreten werden.

 

Rz. 296

Mangels gegenteiliger Feststellungen war für das Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass die Versicherten G. und F. am Tag nach dem Unfall an Beschwerden im Halsbereich litten. Ob diese Beschwerden eher unspezifisch oder als unfallbedingte Körperverletzung zu bewerten waren, unterlag grundsätzlich der tatrichterlichen Beurteilung (vgl. Senatsurt. v. 3.6.2008 – VI ZR 235/07, VersR 2008, 1133). Die Revision wies jedoch mit Recht darauf hin, dass der Begriff der Körperverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, § 11 StVG weit auszulegen ist. Er umfasst jeden unbefugten, weil von der Einwilligung des Rechtsträgers nicht gedeckten Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (vgl. Senatsurt. v. 9.11.1993 – VI ZR 62/93, BGHZ 124, 52, 54 und v. 18.3.1980 – VI ZR 247/78, VersR 1980, 558, 559, insoweit in BGHZ 76, 259 nicht abgedruckt; vgl. auch Senatsurt. v. 12.2.2008 – VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn 9). Ob diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt waren, ließ sich den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.

 

Rz. 297

Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Befassung – ggf. nach erneuter Zeugenvernehmung – zu dem Ergebnis gelangen, dass die von den Versicherten G. und F. geklagten Beschwerden vorhanden und unfallbedingt waren, hätte die Klägerin Anspruch auf Ersatz der Kosten für erfolgte medizinische Untersuchungen und Behandlungen, soweit diese erforderlich waren. Dazu zählen solche Heilbehandlungsmaßnahmen, die aus medizinischer Sicht eine Heilung oder Linderung versprachen. Zu ersetzen sind ferner die damit verbundenen Aufwendungen, zu denen auch etwaige Attestkosten zähle...

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