Rz. 274

Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

 

Rz. 275

Im Ansatz zutreffend legte das Berufungsgericht allerdings der von ihm vorgenommenen Prüfung, ob die von der Klägerin geklagten Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen seien, die strengen Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 ZPO zugrunde, denn die Frage, ob sich die Klägerin überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, betrifft den nach dieser Vorschrift zu führenden Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität (BGHZ 4, 192, 196; Senatsurt. v. 11.6.1968 – VI ZR 116/67, VersR 1968, 850, 851; v. 20.2.1975 – VI ZR 129/73, VersR 1975, 540, 541 und v. 21.10.1986 – VI ZR 15/85, VersR 1987, 310, jeweils m.w.N.).

 

Rz. 276

Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (st. Rspr.; vgl. BGHZ 53, 245, 256; BGH, Urt. v. 18.4.1977 – VIII ZR 286/75, VersR 1977, 721 und Senatsurt. v. 9.5.1989 – VI ZR 268/88, VersR 1989, 758, 759). Die Würdigung von Sachverständigengutachten ist als Bestandteil der Beweiswürdigung grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. z.B. BGHZ 160, 308, 317 m.w.N.; Senatsurt. v. 1.10.1996 – VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 364).

 

Rz. 277

Die Revision rügte eine unzureichende Sachaufklärung durch das Berufungsgericht und beanstandete, dass dieses seine Beurteilung, die Ursächlichkeit des Unfalls für die von der Klägerin geklagten Beschwerden sei nicht nachgewiesen, allein auf die Bewertung des Sachverständigen Dr. A. gestützt und von einer weiteren Sachaufklärung abgesehen hat.

 

Rz. 278

Dabei wandte sich die Revision nicht dagegen, dass eine Vernehmung der behandelnden Ärzte in den Tatsacheninstanzen unterblieben war. Sie rügte vielmehr, das Berufungsgericht habe die in den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attesten dokumentierten Diagnosen nicht in ausreichendem Maße gewürdigt.

 

Rz. 279

Welche Bedeutung der medizinischen Erstuntersuchung nach einem Verkehrsunfall zukommt, ist umstritten. So wird in der Rechtsprechung die Frage, inwieweit aus dem Ergebnis einer Erstuntersuchung – wie z.B. der hiernach erfolgten ärztlichen Verordnung einer so genannten Schanz’schen Krawatte – Schlüsse auf den damaligen Befund gezogen werden können, unterschiedlich beurteilt (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 2001, 511; OLG Hamm, VersR 2002, 992, 994; OLG München, r+s 2002, 370, 371; a.A. OLG Bamberg, NZV 2001, 470). Da der Arzt, der einen Unfallgeschädigten untersucht und behandelt, diesen nicht aus der Sicht eines Gutachters betrachtet, sondern ihn als Therapeut behandelt, steht für ihn die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt, während die Benennung der Diagnose als solche für ihn zunächst von untergeordneter Bedeutung ist. Deshalb sind zeitnah nach einem Unfall erstellte ärztliche Atteste für den medizinischen Sachverständigen eher von untergeordneter Bedeutung (Mazzotti/Castro, NZV 2008, 113, 114). Eine ausschlaggebende Bedeutung wird solchen Diagnosen im Allgemeinen jedenfalls nicht beizumessen sein (so aber OLG Bamberg, a.a.O.). Im Regelfall wird das Ergebnis einer solchen Untersuchung nur als eines unter mehreren Indizien für den Zustand des Geschädigten nach dem Unfall Berücksichtigung finden können (Müller, VersR 2003, 137, 146; ebenso v. Hadeln, NZV 2001, 457, 458 f.). Eine Vernehmung der behandelnden Ärzte als Zeugen oder sachverständige Zeugen ist zudem entbehrlich, wenn das Ergebnis ihrer Befundung schriftlich niedergelegt, vom Sachverständigen gewürdigt und in die Beweiswürdigung einbezogen worden ist, denn bei der Frage nach einem Zusammenhang der geltend gemachten Beschwerden mit dem Unfallgeschehen kommt es allein auf die Beurteilung durch Sachverständige und nicht auf die Aussagen von Zeugen an (Senatsurt. v. 16.11.1999 – VI ZR 257/98, VersR 2000, 372, 373 und v. 20.3.2007 – VI ZR 254/05, VersR 2008, 235, 237 f.).

 

Rz. 280

Entgegen der Auffassung der Revision hatte das Berufungsgericht den Beweiswert der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste nicht verkannt. Dass es die dort dokumentierten Befunde wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Bewegungseinschränkungen, Druckschmerzhaftigkeit und Muskelverhärtungen als wenig aussagekräftig gewürdigt hatte, war ...

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