Rz. 240

Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

 

Rz. 241

Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beamtin L. habe bei dem Unfall am 7.10.2003 eine HWS-Distorsion erlitten, ließ entgegen der Auffassung der Revision einen Rechtsfehler nicht erkennen.

 

Rz. 242

Das Berufungsgericht hatte nicht verkannt, dass die Frage, ob sich L. bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, die haftungsbegründende Kausalität betrifft und damit den strengen Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 ZPO unterliegt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 4, 192, 196; Senatsurt. v. 11.6.1968 – VI ZR 116/67, VersR 1968, 850, 851; v. 20.2.1975 – VI ZR 129/73, VersR 1975, 540, 541; v. 21.10.1986 – VI ZR 15/85, VersR 1987, 310 und v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, VersR 2003, 474, 475). Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", was die Revision meinte, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. BGHZ 53, 245, 256; Senatsurt. v. 9.5.1989 – VI ZR 268/88, VersR 1989, 758, 759 und v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, a.a.O. sowie BGH, Urt. v. 18.4.1977 – VIII ZR 286/75, VersR 1977, 721). Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. z.B. BGHZ 160, 308, 317 m.w.N.; Senatsurt. v. 1.10.1996 – VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 364). Ein solcher Fehler war nicht ersichtlich.

 

Rz. 243

Unter den gegebenen Umständen war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, mittels eines unfallanalytischen und eines biomechanischen Gutachtens zu klären, ob der Unfall geeignet war, eine HWS-Distorsion bei der Zeugin L. hervorzurufen. Das Berufungsgericht hatte sich seine Überzeugung auf der Grundlage der Bekundungen der Zeugin L. und des behandelnden Arztes Dr. G. gebildet und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Unfall für die geklagten Beschwerden ursächlich gewesen sei. Dagegen brachte die Revision keine durchgreifenden Beanstandungen vor. Ihr Einwand, dass die Beschwerden der Zeugin L. nicht objektivierbar seien, konnte die tatrichterliche Würdigung nicht in Frage stellen. Auch soweit sie sich darauf berief, dass bei geringfügiger Geschwindigkeit eine Verletzung der Halswirbelsäule ausgeschlossen sei, bleibt sie erfolglos.

 

Rz. 244

Der erkennende Senat hat eine "Harmlosigkeitsgrenze" in Form einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung für ungeeignet erachtet, um eine Verletzung der Halswirbelsäule trotz entgegenstehender konkreter Hinweise auf eine entsprechende Verletzung generell auszuschließen (vgl. Senatsurt. v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, a.a.O.). Dass bei einem Zusammenstoß im Frontbereich andere Erwägungen gelten müssten als bei einem Heckanstoß, zeigte die Revision nicht auf. Ebenso fehlte Vortrag der Revision zu gesicherten medizinischen Erkenntnissen, nach denen HWS-Verletzungen bei Unfällen mit niedriger Anstoßgeschwindigkeit und einer bestimmten Anordnung der beteiligten Fahrzeuge zueinander sehr unwahrscheinlich oder gar gänzlich unmöglich seien (vgl. hierzu Wedig, DAR 2003, 393, 397 ff.). Auch wenn die Bewegungen eines Fahrers bei einer Heck- und bei einer Frontalkollision unterschiedlich sein können, konnte der Senat mangels Feststellungen nicht ausschließen, dass es bei einer Frontalkollision zu einer Verletzung der Halswirbelsäule kommen kann. Die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung durch den Zusammenstoß zweier Fahrzeuge ist nicht die einzige Ursache für die Entstehung eines HWS-Syndroms, vielmehr sind hierfür eine Reihe weiterer gewichtiger Faktoren ausschlaggebend, etwa die konkrete Sitzposition des Fahrzeuginsassen oder auch die unbewusste Drehung des Kopfes. Deshalb ist eine "Harmlosigkeitsgrenze" der erwähnten Art auch für Verletzungsfolgen aus Frontalkollisionen ungeeignet. Bei der Prüfung, ob ein Unfall eine HWS-Verletzung verursacht hat, sind vielmehr stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (Senatsurt. v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, a.a.O. und v. 3.6.2008 – VI ZR 235/07 zur Veröff. best.).

 

Rz. 245

Die Einholung eines unfallanalytischen und biomechanischen Gutachtens war unter den Umständen des Streitfalls entbehrlich. Die Revision zeigte keinen Vortrag vor dem Tatrichter auf, der die Einholung solcher Gutachten erfordert hät...

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