Rz. 35

Bereits bei der Annahme des Mandats muss zwingend geprüft werden, ob sich der Anwalt der Gefahr eines Parteiverrats gem. § 356 StGB aussetzt. Diese Frage besitzt gerade bei der Bearbeitung von Verkehrsunfallmandaten besondere Bedeutung. Ein Parteiverrat wird u.a. durch die Annahme eines Doppelmandats begründet. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn innerhalb desselben Anwaltsbüros die gegnerischen Parteien eines Verkehrsunfalls von unterschiedlichen Anwälten vertreten werden.

 

Rz. 36

Eine weitaus weniger bekannte Gefahr eines Parteiverrats steckt in der Vertretung mehrerer Insassen eines Unfallfahrzeugs. In dieser Konstellation wird regelmäßig übersehen, dass die Insassen nicht nur Ansprüche gegen den Unfallgegner, sondern u.U. auch gegenüber dem Fahrer und dem Halter des eigenen Fahrzeugs, bei Personenschäden auch gegenüber dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung besitzen. Um welche Ansprüche es sich dabei im Einzelnen handelt, wird in den Passagen zu der Haftung nach den §§ 7, 18 StVG noch gesondert behandelt. Werden beispielsweise zwei Eheleute vertreten, von denen einer Fahrer und der andere Beifahrer eines Unfallfahrzeugs waren, müsste u.U. der Beifahrer darüber beraten werden, dass er auch gegenüber dem Fahrer, verschuldensunabhängig gegenüber dem Halter und bei Personenschäden auch gegenüber der Haftpflichtversicherung Ansprüche auf Schadensersatz besitzt. Schon das Zurverfügungstellen einer Ermittlungsakte im Rahmen einer Akteneinsicht an eine weitere Partei kann bei einer Interessenkollision einen Parteiverrat darstellen.[2] Ferner ist zu beachten, dass die Sache dem Rechtsanwalt auch dann i.S.d. § 356 StGB anvertraut bleibt, wenn das Mandat beendet ist ("Was dem Rechtsanwalt einmal anvertraut wurde, bleibt dies auch für die Zukunft"). Demzufolge ist ein Parteiverrat längst nicht auf die zeitgleiche Vertretung zweier Parteien mit gegensätzlichen Interessen beschränkt.

Die Annahme eines solchen Mandats birgt erhebliche Risiken für den Anwalt. So hat beispielhaft das LG Saarbrücken[3] hier einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO gesehen. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Beratung gegenüber dem anderen Mandanten einen Parteiverrat darstellt. Ein Geschädigter einerseits und ein unfallverursachender Fahrer bzw. ein nach § 7 Abs. 1 StVG haftender Halter andererseits haben insoweit grundsätzlich unterschiedliche Interessen. Verfolgt ein Rechtsanwalt beide verschieden gelagerten Interessen, dient er in derselben Rechtssache pflichtwidrig mehreren Parteien.[4] Gleichfalls würde es eine Falschberatung begründen, den Beifahrer über seine Rechte zum Schadensersatz gegen Fahrer und Halter des "eigenen Fahrzeuges" nicht aufzuklären. Diese Gefahr besteht nach der durch das 2. Gesetz zur Reform des Schadensersatzrechts begründeten Erweiterung der Halterhaftung umso mehr, da der Halter eines Kfz nach § 7 Abs. 1 StVG und entsprechend der Fahrer nach §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG nunmehr (unabhängig von einer entgeltlichen Personenbeförderung) gegenüber allen Insassen seines Fahrzeugs haften.

 

Rz. 37

 

Hinweis

Bei derartigen Konstellationen gibt es zwei Lösungswege: Entweder muss von Beginn an klargestellt werden, dass der Anwalt grundsätzlich nur einen Insassen eines Fahrzeugs vertreten kann. Oder es wird eine Vollmacht erteilt, wonach der Anwalt lediglich zur Verfolgung der Ersatzansprüche des Beifahrers gegenüber Anspruchsgegnern ermächtigt wird, die weder Halter noch Fahrer des benutzten Fahrzeugs oder dessen Haftpflichtversicherung darstellen. Eine solche Beschränkung der Vollmacht ist grundsätzlich zulässig und kann auch noch im Prozess erfolgen.[5]

[2] OLG Hamburg, Urt. v. 16.12.2014 – 1 Rev 49/14 – juris.
[3] LG Saarbrücken Urt. v.16.1.2015 – 13 S 124/14 – juris.
[4] BayObLG NJW 1995, 606 ff.
[5] BGH, Urt. v. 12.3.2019 – VI ZR 227/18 = VersR 2019, 701.

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