Rz. 33

 

§ 843 BGB – Geldrente oder Kapitalabfindung

(3) Statt der Rente kann der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
 

Rz. 34

Wem nach §§ 843 Abs. 1, 844 Abs. 2 BGB Geldrenten zustehen, kann (nur!)[19] bei Vorliegen eines wichtigen Grundes anstelle der Rente (wegen vermehrter Bedürfnisse, Erwerbs- und Unterhaltsschadens) eine Abfindung in Kapital verlangen (§ 843 Abs. 3 BGB; ähnlich: § 845 S. 2 BGB, § 8 Abs. 2 HaftPflG, § 38 Abs. 2 LuftVG, § 13 Abs. 2 StVG, § 9 ProdHaftG, § 14 UmweltHG; siehe auch § 110 Abs. 1 S. 2 SGB VII [dazu ergänzend Rdn 57]).

 

Rz. 35

Wichtige Gründe[20] für eine Kapitalisierung von Rentenansprüchen i.S.v. § 843 Abs. 3 BGB können sich sowohl aus der Sphäre des Ersatzpflichtigen als auch des Geschädigten ergeben.[21] Es müssen Gründe von erheblichem Gewicht vorliegen, die eine Kapitalabfindung als geboten erscheinen lassen.[22] Die Erforderlichkeit einer Kapitalabfindung steht nicht zur unüberprüfbaren Disposition des Geschädigten; vielmehr ist der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes durch die Gerichte voll überprüfbar.[23] Eine Gesamtkapitalisierung ist aber nicht schon dann zulässig, wenn nur für einzelne Schadensposten ein Kapitalisierungsbedürfnis vorliegt.[24]

 

Rz. 36

Im Rahmen der Kapitalisierung ist es nicht zwingend, sämtliche Ansprüche zu kapitalisieren. Es können auch einzelne Schadenspositionen (bei Vorliegen eines hierauf bezogenen wichtigen Grundes) kapitalisiert werden. Es ist zulässig, einzelne Schadenspositionen (z.B. aus den vermehrten Bedürfnissen) zu kapitalisieren und andere als Rente zu gewähren; ferner kann auch eine Kombination aus Rente und Kapitalabfindung für verschiedene Zeitabschnitte zugesprochen werden.[25]

 

Rz. 37

Als "wichtigen Grund" erkennt die Rechtsprechung in der Sphäre des Geschädigten u.a. den Aufbau einer neuen Existenz oder einen günstigen Einfluss auf den Zustand des Verletzten an.[26] Im Einzelfall wurde außerdem ein wichtiger Grund bejaht: bei einem unfallbedingt erforderlichen Aufbau einer neuen Existenz oder beim Erwerb bzw. Ausbau eines Hauses,[27] ferner bei der einmaligen Anschaffung eines Hilfsmittels, um die konkreten vermehrten Bedürfnisse angemessen und nachhaltig auszugleichen.[28]

 

Rz. 38

Aus der Sphäre des Ersatzpflichtigen kommt als "wichtiger Grund" in Betracht, dass mit Schwierigkeiten bei der Anspruchsdurchsetzung zu rechnen ist.[29] Eine zu befürchtende Verschlechterung der Bonität des Ersatzschuldners kann also einen solchen "wichtigen Grund" darstellen.[30] Ist der Ersatzanspruch durch eine inländische Haftpflichtversicherung gedeckt, sind Zweifel an deren zukünftiger Leistungsfähigkeit aber in aller Regel unbegründet.[31]

 

Rz. 39

Ein kleinliches und schikanöses Regulierungsverhalten der Versicherung kann ebenfalls ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse des Geschädigten an einer Kapitalabfindung begründen.[32]

 

Rz. 40

Regelmäßig hat auch der Haftpflichtversicherer ein Interesse an der Kapitalabfindung, so dass sich ein Versicherer nur in seltenen Fällen gegen ein Kapitalisierungsbegehren des Ersatzberechtigten sträuben dürfte.[33] Dies kann dann der Fall sein, wenn das künftige Risiko, gerade auch mit Blick auf eine mögliche oder nicht ausschließbare Eintrittspflicht eines SHT (z.B. bei Pflege, Kinderunfall; § 2 Rdn 1027 f.), nicht – oder nicht ausreichend – überschaubar ist und insbesondere die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Schadenersatzpflichtigen in sich birgt.[34]

[19] Der 19. VGT 1981 (Arbeitskreis V, Empfehlung 1) und der 43. VGT 2005 (Arbeitskreis III, Empfehlung 1) kamen zutreffend zum Ergebnis, dass eine Gesetzesänderung und ein uneingeschränkter Anspruch auf Kapitalisierung im Hinblick auf die funktionierende Regulierungspraxis nicht erforderlich sind.
[20] Siehe aus der Rechtsprechung: BGH v. 19.5.1981 – VI ZR 108/79 – DAR 1982, 156 = MDR 1982, 569 = NJW 1982, 757 = r+s 1982, 127 = VersR 1982, 238 = VRS 63, 401; BGH v. 8.1.1981 – VI ZR 128/79 – BGHZ 79, 187 = DAR 1981, 46 = DB 1981, 786 = NJW 1981, 818 = MDR 1981, 306 = VersR 1981, 283 (Anm. Nehls) = VRS 65, 182 = zfs 1981, 105; OLG Köln v. 11.8.2011 – 5 U 74/11 – MedR 2012, 601 (Anm. Huber) = NJOZ 2012, 1752 = VersR 2012, 907 (Anm. Jaeger); OLG Celle v. 30.11.2011 – 14 U 182/10 – jurisPR-VerkR 11/2012 Anm. 3 (Anm. Lang) = NZV 2012, 547 (BGH hat Nichtzulassungsbeschwerde nicht angenommen, Beschl. v. 10.7.2012 – VI ZR 354/11); OLG Stuttgart v. 30.1.1997 – 14 U 45/95 – VersR 1998, 366 (BGH hat Revision nicht angenommen, Beschl. v. 14.10.1997 – VI ZR 62/97); OLG Koblenz v. 7.7.1997 – 12 U 276/96 – OLGR Koblenz 1997, 332; LG Hamburg v. 26.7.2011 – 302 O 192/08 – BeckRS 2011, 78634 = NJW-Spezial 2012, 11 mit ausführliche Darstellung der bisherigen Rechtsprechung; LG Stuttgart v. 26.1.2005 – 14 O 542/01 – DAR 2007, 467 = SVR 2005, 186 (nur Ls.); LG Stuttgart v. 25.1.1991 – 21 O 586/89 – BeckRS 1991, 07782.
[21] LG Hamburg v. 26.7.2011 – 302 O 192/08 – BeckRS 2011, 78634 = NJW-Spezial 2012, 11.
[22] OLG Koblenz v. 7....

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