Rz. 316

 

Hinweis

Siehe Rdn 292 ff.

 

Rz. 317

Nach den Feststellungen der Rentenversicherer liegt das durchschnittliche Verrentungsalter bei Ar­beitern und Angestellten deutlich vor den gesetzlich vorgesehenen Altersgrenzen. Dem gegenüber ist nach der BGH-Rechtsprechung[223] bei unselbstständig Tätigen, in Anlehnung an die gesetzgeberische Wertung[224] und entgegen aller bekannter statistischer Erfahrungswerte,[225] grundsätzlich von einem Erwerbsleben-Endalter von 65/67 Jahren (Ende am letzten Tag desjenigen Monates, in dem der Arbeitnehmer sein 65./67. Lebensjahr vollendet) auszugehen.

 

Rz. 318

Nach der Rechtsprechung ist der Erwerbsschaden eines Arbeitnehmers nach § 35 Nr. 1 SGB VI i.d.R bis zum vollendeten 65./67. Lebensjahr (zu den Stufen siehe § 235 SGB VI) auszugleichen. Zwischen männlichen und weiblichen[226] Versicherten wird nicht mehr unterschieden.

 

Rz. 319

Eine vom Regelalter abweichende vorzeitige Beendigung des Erwerbslebens hat grundsätzlich der Ersatzverpflichtete darzulegen und zu beweisen.[227] Der Ersatzpflichtige kann seine Argumentation zum Lebensarbeitszeitende dabei nicht auf die durchschnittlichen Renten- bzw. Pensionsalter aller Arbeiter, Angestellten bzw. Beamten stützen.[228]

 

Rz. 320

Übliche Verhaltensweisen einer vergleichbaren Personengruppe sind bei der Ermittlung des hypothetischen Endes des Arbeitslebens aber zu berücksichtigen (siehe § 252 BGB).[229] Wenn der Ersatzpflichtige also ausreichend darlegen kann, dass aus einer eingegrenzten, überschaubaren und dem Geschädigten vergleichbaren Gruppe eine deutliche[230] Mehrheit z.B. vor dem 62. Lebensjahr ausscheidet, führt dieses jedenfalls zu einer Beweislastumkehr zu Lasten desjenigen, der eine längere Lebensarbeitszeit als in dieser Gruppe üblich vorträgt.[231] Eine Beweislastumkehr nimmt einer Partei, der sie zum Nachteil gereicht, nicht die Möglichkeit, den Beweis des Gegenteils zu führen.[232]

 

Rz. 321

Bei der Prognose zur voraussichtlichen Entwicklung der Erwerbstätigkeit des Geschädigten ohne das Unfallereignis sind auch solche Entwicklungen einzubeziehen, die sich erst nach dem Unfallgeschehen und bis zur letzten mündlichen Verhandlung ergeben.[233] Der BGH[234] führt hierzu aus:[235]

Zitat

"Bei der Ermittlung sowohl der Höhe als auch der Dauer des dem Geschädigten entstandenen Verdienstausfalls ist eine Prognose des gewöhnlichen Laufs der Dinge, wie sie sich ohne das Schadensereignis entwickelt hätten, anzustellen (§ 252 BGB). Es geht insoweit nicht nur um die Berücksichtigung eventueller überholender Kausalitäten, sondern um die Schadensermittlung als solche auf der Basis des Sachverhalts, wie er sich voraussichtlich in Zukunft dargestellt hätte. In diesem Rahmen kommt nicht nur der Frage Bedeutung zu, ob auch ohne das konkrete Schadensereignis beim Verletzten eine entsprechende gesundheitliche Entwicklung mit vergleichbaren beeinträchtigenden Auswirkungen zum Tragen gekommen wäre; es ist vielmehr auch das Risiko in die Betrachtung miteinzubeziehen, dass durch die bereits vorhandene Erkrankung für die künftige berufliche Situation des Geschädigten bestanden hat.[236]"

Dementsprechend ist eine Verdienstausfallrente auf die voraussichtliche Dauer der Erwerbstätigkeit des Geschädigten, wie sie sich ohne das haftungsbegründende Ereignis gestaltet hätte, zu begrenzen; hierbei sind Anhaltspunkte für eine vom gesetzlich vorgesehenen Normalfall abweichende voraussichtliche Entwicklung zu berücksichtigen.“[237]

 

Rz. 322

Konkrete individuelle Umstände (wahrscheinliche vorzeitige Invalidisierung, verletzungsunabhängige Erkrankung, unstete Arbeitsweise, Konkurs des Arbeitgebers in strukturschwacher Gegend, sonstige Gründe überholender Kausalität) können einen reduzierten Kapitalisierungsfaktor bedingen. Diese anderweitigen Umstände sind allerdings vom Schädiger vorzutragen und zu beweisen.

 

Rz. 323

Erwerbsobliegenheiten des Geschädigten sind zu beachten. Auch die Umschulung ist als mögliche Schadenbegrenzung ein Diskussionspunkt.

[223] BGH v. 27.1.2004 – VI ZR 342/02 – DAR 2004, 346 = FamRZ 2004, 777 = IVH 2004, 117 = MDR 2004, 810 (nur Ls.) = NJW-RR 2004, 821 = NZV 2004, 291 = r+s 2004, 342 = SP 2004, 190 = VersR 2004, 653 = VRS 106, 413 = zfs 2004, 260 (Für die Höhe der Geldrente aus § 844 Abs. 2 BGB ist das fiktive Nettoeinkommen des Getöteten nur bis zu seinem voraussichtlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben maßgeblich; derzeit ist dies bei einem nicht selbstständig Tätigen grundsätzlich die Vollendung des 65. Lebensjahres); BGH v. 4.6.1996 – VI ZR 227/94 – NJWE-VHR 1996, 141; BGH v. 26.9.1995 – VI ZR 245/94 – NJW 1995, 3313 = r+s 1995, 458 = SP 1995, 398 = VersR 1995, 1447 = zfs 1995, 451 (65. Lebensjahr auch bei Frauen maßgeblich; hier: Bewohnerin der ehemaligen DDR); BGH v. 27.6.1995 – VI ZR 165/94 – MDR 1995, 1218 = NJW-RR 1995, 1272 = r+s 1995, 383 (mit bemerkenswert – zu Recht – kritischer Anm. Lemcke) = SP 1995, 366 = VersR 1995, 1321 = zfs 1995, 369; BGH v. 19.10.1993 – VI ZR 56/93 – DAR 1994, 67 = MDR 1994, 673 = NJW 1994, 131 = NZV 19...

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