Rz. 124

Unter einem Exzess versteht man eine das gewöhnliche Maß erheblich überschreitende Handlung. Dies gilt auch bei der Nutzung moderner Kommunikationsmittel. Nutzt ein Arbeitnehmer die ihm zur Verfügung gestellten Betriebsmittel, insbesondere den Internetzugang und/oder das E-Mail-Programm in einer Art und Weise, die das übliche Maß erheblich überschreitet, handelt er exzessiv. Unabhängig von dem Inhalt der Seiten kann der Arbeitnehmer während dieser privaten Nutzung seiner vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht nicht nachkommen. Dabei wird man davon ausgehen müssen, dass bei einer exzessiven Nutzung während der Arbeitszeit dem Betroffenen die Tragweite seines Handelns bewusst ist.[149] Es ist keinesfalls eine sozialtypische Erscheinung, sich während des überwiegenden Teiles der Arbeitszeit mit privaten Dingen zu beschäftigen (vgl. oben Rdn 91 f.), dies gilt auch dann, wenn die private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit dem Grunde nach erlaubt war.[150]

 

Rz. 125

Auch bei erlaubter privater Nutzung wird damit ein exzessiver Gebrauch regelmäßig einen wichtigen Grund an sich darstellen. Allerdings bestehen im letzteren Fall höhere Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers. Im Rahmen der Interessenabwägung kann ein mehr als 30-jähriger beanstandungsfreier Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Überwiegen der Arbeitnehmerinteressen an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führen, auch beim Aufruf pornografischer Seiten.[151] Hat der Arbeitgeber die private Nutzung während der Arbeitszeit grundsätzlich zugelassen, muss er sich dies auch bei ausschweifender Nutzung entgegenhalten lassen. Die Grenzen zur nicht mehr hinzunehmenden exzessiven Nutzung sind fließend und nur schwer zeitlich einzugrenzen. Anhaltspunkte geben die folgenden exemplarischen Einzelfälle aus der Rechtsprechung.

 

Rz. 126

Zu dem Umfang der täglichen Nutzung liegen einige Urteile vor, die allerdings überwiegend eine außerordentliche Kündigung im konkreten Fall für unwirksam erklärt haben. Dennoch sind diese Urteile geeignet, einen hinreichenden Aufschluss darüber zu geben, welche Anforderungen mindestens erfüllt sein müssen, um eine Kündigung in Erwägung zu ziehen. Das Landesarbeitsgericht Köln hat eine unerlaubte Nutzung des Internets während der Arbeitszeit bei einer durchschnittlichen Tagesnutzung von ca. zehn Minuten noch als angemessen angesehen.[152] Selbst bei einem doppelt so hohen zeitlichen Aufwand, also 20 Minuten am Tag, ist nach Auffassung des Arbeitsgerichts Wesel noch nicht ein Ausmaß erreicht, in dem der Arbeitnehmer zwingend damit rechnen muss, dass die Duldung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen ist.[153] Nach Auffassung des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz sollen nicht einmal Surfzeiten von ca. 30 bis 60 Minuten je Arbeitstag ausreichen, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.[154] Eine Nutzung des Internets in einem Zeitraum von nahezu sechs Monaten über insgesamt fünf Stunden wurde nicht als "ausschweifende" bzw. "exzessive" Nutzung angesehen.[155] Dasselbe Gericht hat allerdings einen wichtigen Grund bei Surfzeiten von insgesamt 51 Stunden und 25 Minuten bejaht.[156] Das Arbeitsgericht Frankfurt hatte in einem Fall, in dem ca. 50 % der Arbeitszeit mit privaten Tätigkeiten im Internet verbracht wurde, nur über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung zu entscheiden, diese aber eindeutig bejaht.[157] Dies ist sicherlich ein Umfang, der auch eine fristlose Kündigung ohne weiteres gerechtfertigt hätte. Das LAG Hamm verneinte eine exzessive Privatnutzung bei dem Führen und Speichern von insgesamt 287 privaten Dateien mit einer Gesamtspeicherkapazität von 169,76 MB. Alleine die Menge der privaten Dateien und die Speicherkapazität seien wenig aussagekräftig hinsichtlich des Umfangs der privaten Nutzung.[158] Das Bundesarbeitsgericht ist deutlich strenger.[159] Bei verbotener privater Nutzung surfte ein Mitarbeiter unstreitig an einem Tag 27 Minuten und an einem weiteren Tag 74 Minuten während der Arbeitszeit privat im Internet. Das Bundesarbeitsgericht bezeichnete dies als ungewöhnlich umfangreiche private Nutzung des Internets. Von einer Sozialadäquanz könne keine Rede sein. Dies gelte selbst dann, wenn der Arbeitgeber keine klarstellende Nutzungsregelung für den Betrieb aufgestellt habe. Bei einer fehlenden ausdrücklichen Gestattung oder Duldung sei eine private Nutzung grundsätzlich nicht erlaubt. In einem weiteren BAG-Urteil nutzte der Arbeitnehmer mehr als zwei Monate lang fast täglich das Internet in einem Umfang zwischen ca. 15 Minuten und knapp drei Stunden verbotswidrig privat; in ca. zehn Wochen betrug die Zeit der privaten Internetnutzung insgesamt mehr als eine Woche.[160] Selbst bei Abzug möglicher Pausenzeiten lag hier eine erhebliche Arbeitspflichtverletzung vor, die eine fristlose Kündigung an sich rechtfertigte. Das BAG hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass es nicht Aufgabe des Arbeitgebers sei, im Einzelnen vorzutragen, ob und inwiefern der Arbeitnehmer auch sei...

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