Rz. 184

§ 1666 Abs. 1 BGB normiert als Generalklausel die Eingriffstatbestände, bei deren Vorliegen Sorgerechtsmaßnahmen zu Lasten des Sorgeberechtigten getroffen werden können. Diese Generalklausel schützt sowohl die persönlichen Belange des Kindes als auch seine Vermögensinteressen.[619] Sie dient als einheitliche Ermächtigungsgrundlage für gerichtliche Eingriffe. Daher muss § 1666 BGB auch unter anderem von § 1696 BGB abgegrenzt werden. In den Fällen, in denen es nicht darum geht, eine getroffene Sorgerechtsregelung wegen veränderter Umstände abzuändern, sondern zumindest auch ein Eingreifen wegen Gefährdung des Kindeswohles erfolgen muss, ist § 1666 BGB vorrangig vor § 1696 BGB anzuwenden.[620] Soll allerdings eine Kindeswohlgefährdung gerade durch (Teil-)Übertragung des Sorgerechts von einem Elternteil auf den anderen abgewendet werden, greift § 1696 Abs. 1 BGB.[621]

Ruht die elterliche Sorge nach § 1673 BGB, so kommen Maßnahmen nach §§ 1666 f. BGB grundsätzlich nicht in Betracht.[622]

 

Rz. 185

Bei Gefährdung des Kindeswohls hat das Familiengericht die zur Gefahrenabwehr notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen. Hierbei hat sich das Gericht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren.[623] Bevor es daher das gesamte Sorgerecht entzieht, ist gegebenenfalls – sofern mildere, im Einvernehmen mit dem betroffenen Elternteil veranlasste Maßnahmen (etwa eine sozial-pädagogische Familienhilfe oder eine Eltern-Kind-Unterbringung) zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht ausreichen[624] – zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht und gegebenenfalls weitere Teilbereiche der Personensorge (in der Praxis insbesondere Gesundheitsfürsorge und Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII) zu entziehen oder die Personensorge – nicht die Vermögenssorge – zu entziehen.[625] Dann ist insoweit Ergänzungspflegschaft anzuordnen. Aus Verhältnismäßigkeitsgründen muss auch in Erwägung gezogen werden, dass von mehreren im elterlichen Haushalt lebenden Kindern lediglich bezüglich eines Kindes die elterliche Sorge entzogen wird, wenn aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der anderen Kinder ein Verbleib im elterlichen Haushalt – unter Auflagen – mit dem Kindeswohl vereinbar ist.[626] Zieht das Gericht in Erwägung, dem betreuenden Elternteil die elterliche Sorge zu entziehen und diese nach § 1696 Abs. 1 BGB auf den anderen Elternteil zu übertragen, so muss sichergestellt sein, dass dieser Elternteil zur Ausübung der Sorge geeignet ist.[627]

 

Rz. 186

Einen – nicht abschließenden – Katalog möglicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls enthält § 1666 Abs. 3 BGB (siehe Rdn 206 f.).

 

Rz. 187

In Angelegenheiten der Personensorge kann das Familiengericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen (siehe dazu Rdn 208).

 

Rz. 188

Hat das Familiengericht länger dauernde Maßnahmen angeordnet, so sieht § 1696 Abs. 2 BGB in der seit dem 1.9.2009 geltenden Fassung vor, dass diese Maßnahme aufzuheben ist, wenn die Gefahr für das Kindeswohl nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist.[628] Damit korrespondiert § 166 Abs. 2 FamFG, der bestimmt, dass das Familiengericht eine länger dauernde kindesschutzrechtliche Maßnahme in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen hat.[629] Aufgrund der Rechtsprechung des EuGHMR muss eine solche Überprüfung regelmäßig mindestens jährlich vorgenommen werden.[630] Während nach früherem Recht lediglich die Möglichkeit vorgesehen war, eine getroffene Maßnahme zu überprüfen, hat der Gesetzgeber im neuen Recht eine solche Obliegenheit – in der Regel nach drei Monaten – auch für den Fall statuiert, dass das Familiengericht von einer Maßnahme abgesehen hat (§ 166 Abs. 3 FamFG). Dies berücksichtigt, dass Eltern die Ablehnung des Erlasses entsprechender Maßnahmen durch das Familiengericht zuweilen missverstehen und sich ermutigt fühlen, ihr unzulängliches Erziehungsverhalten fortzusetzen.

 

Rz. 189

Zwischen den Maßnahmen zum Entzug der Personensorge und dem Entzug der Vermögenssorge ist strikt zu differenzieren.[631] Der Entzug der elterlichen Sorge in seiner Gesamtheit ist nur gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen sowohl zum Entzug der Personensorge nach § 1666 Abs. 1 BGB als auch der Vermögenssorge nach § 1666 Abs. 2 BGB vorliegen und ein milderes Mittel nicht ausreichend ist, um die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden.[632] Erfolgt der Entzug der gesamten elterlichen Sorge, so ist die Erforderlichkeit dessen gesondert in der gerichtlichen Entscheidung zu begründen.[633] Der Eingriff in die Personensorge setzt eine objektive Gefährdung des Kindeswohls voraus, die auch von Dritten ausgehen kann und vom Verschulden der Eltern unabhängig ist.[634] Demgegenüber ist tatbestandliche Voraussetzung für den Eingriff in die Vermögenssorge allein die Gefährdung des Kindesvermögens (siehe Rdn 209 ff.).

 

Rz. 190

Unbeschadet der Tatsache, dass nach § 162 Abs. 1 FamFG das Jugendamt ohnehin in allen Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, anzuhören ist, entsprach es bereits bisheriger Rechtsp...

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