Rz. 165

Die elterliche Sorge ruht in ihrer Gesamtheit oder in Teilbereichen, wenn ein Elternteil

tatsächlich an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert ist (§ 1674 Abs. 1 BGB),[564]
aus rechtlichen Gründen an der Sorgerechtsausübung gehindert ist, weil er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt (§§ 1673 Abs. 2, 106 BGB) oder geschäftsunfähig ist (§§ 1673 Abs. 1, 104 BGB)[565] oder
in die Adoption seines Kindes eingewilligt hat[566] (§ 1751 Abs. 1 S. 1 BGB), wobei die Einwilligung in die Adoptionspflege noch nicht genügt.[567]
 

Rz. 166

Grundlegende Voraussetzung für das Ruhen der elterlichen Sorge aus tatsächlichen Gründen (§ 1674 BGB) ist danach, dass die Sorge über einen längeren Zeitraum faktisch nicht ausgeübt werden kann. Ein solches tatsächliches Ausübungshindernis ist anzunehmen, wenn der wesentliche Teil der Sorgerechtsverantwortung nicht mehr von dem Elternteil selbst ausgeübt werden kann. Eine bloße physische Abwesenheit ist nicht ausreichend, wenn der Elternteil seine Kinder gut versorgt weiß und auf der Grundlage moderner Kommunikationsmittel oder Reisemöglichkeiten auch aus der Ferne Einfluß auf die Ausübung der elterlichen Sorge nehmen kann. Bei langfristiger Abwesenheit von der Familie ist deswegen entscheidend darauf abzustellen, ob dem Elternteil die Möglichkeit verblieben ist, entweder im Wege der Aufsicht oder durch jederzeitige Übernahme der Personen- und Vermögenssorge zur eigenverantwortlichen Ausübung zurückzukehren.[568] Eine lediglich theoretische Möglichkeit der Kontaktaufnahme über Dritte (Bruder des Jugendlichen) reicht nicht aus, den ständig gebotenen Einfluss auszuüben.[569] Entsprechend liegt ein tatsächliches Hindernis etwa bei einer längeren Inhaftierung eines Elternteils im Inland[570] oder Ausland vor.[571] Aktuell sind vor allem sehr zahlreiche Fälle unbegleitet einreisender minderjähriger Flüchtlinge typische Anwendungsfälle (zu den Problemen und dem Verfahren bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen siehe eingehend § 12 Rdn 119 ff.).[572] Aufgrund einer entsprechenden Prognose ergeht ein familiengerichtlicher Feststellungsbeschluss. Ist anzunehmen, dass sich die tatsächliche Verhinderung der Eltern oder eines Elternteils nur über einen kurzen Zeitraum erstrecken wird, so kann dieser Umstand möglicherweise die Rechtsfolge des § 1678 BGB auslösen, allerdings keine Grundlage für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge im Sinn des § 1674 BGB bilden.[573] Ist eine Ruhensanordnung unumgänglich, so ist diese aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglichst auf Teilbereiche der elterlichen Sorge zu beschränken.[574] Kommt es zu einem Ruhen der elterlichen Sorge, so hat der betroffene Elternteil das Sorgerecht zwar noch inne, ist aber nach § 1675 BGB zu dessen Ausübung – auch bezüglich der Benennung eines Vormundes[575] – nicht berechtigt.[576] Dies hindert es nicht, auf der Grundlage von §§ 1666 ff. BGB in sein – nur ruhendes, aber fortbestehendes – Sorgerecht einzugreifen.[577] Von einem Ruhen der elterlichen Sorge ist allerdings nicht auszugehen, wenn sich ein Kind – in der Regel aus einem ausländischen Staat – lediglich aus medizinischen Gründen in der Bundesrepublik aufhält und die Eltern die Verantwortung für die Ausübung der elterlichen Sorge behalten und lediglich zur Ausübung auf Dritte übertragen haben (vgl. auch § 4 Rdn 29).[578]

 

Rz. 167

Ist der Elternteil in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so steht ihm nach § 1673 Abs. 2 BGB trotz Ruhens der elterlichen Sorge aus rechtlichen Gründen neben dem gesetzlichen Vertreter des Kindes die Personensorge zu. Allerdings ist er in den Angelegenheiten der Personensorge von der Vertretung ausgeschlossen. Bestehen mit dem gesetzlichen Vertreter Meinungsverschiedenheiten, so gilt § 1673 Abs. 2 BGB. Der andere Elternteil übt die elterliche Sorge allein aus, soweit sie ihm nicht nach §§ 1666 ff. BGB entzogen ist oder entzogen werden müsste. Für das Familiengericht gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 1693 BGB, § 26 FamFG),[579] gerichtet auf die Anordnung von Maßnahmen zur Unterbringung des Kindes, Bestellung eines Pflegers oder auch die Abgabe von Erklärungen im Namen des Kindes in eilbedürftigen Fällen. Im Fall der Verhinderung eines Elternteils greift § 1693 BGB nur ein, wenn die elterliche Sorge nicht dem anderen Elternteil obliegt und von ihm ausgeübt werden kann. Es soll hierdurch sichergestellt werden, dass die strengen Eingriffsvoraussetzungen des § 1666 BGB nicht unter Anwendung des § 1693 BGB umgangen werden.[580]

Ist der Elternteil geschäftsunfähig, so ruht seine Sorge zwar schon von Gesetzes wegen; dennoch bestehen keine Bedenken, dass das Familiengericht das Ruhen – deklaratorisch – feststellt, weil hierfür ein praktisches Bedürfnis besteht.[581]

 

Rz. 168

Steht die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam zu und ist ein Elternteil an ihrer Ausübung tatsächlich verhindert oder ruht sie, so übt der andere Elternteil die Sorge allein aus. Sind beide gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile aus tatsächlich...

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