Rz. 326

Bei diesem Modell[1201] erfolgt die Betreuung des Kindes abwechselnd und für ungefähr gleich lange zeitliche Phasen[1202] im Haushalt jeweils eines Elternteils, der in dieser Zeit für die Betreuung haupt- und eigenverantwortlich ist. Das wesentliche Problem dieses Modells besteht darin, dem Kind ausreichende Zeiträume zu eröffnen, damit es zu jedem Elternteil eine feste Beziehung aufbauen bzw. beibehalten kann.[1203] Zudem darf nicht verkannt werden, dass ein ständiger räumlicher Wechsel und das Einstellen auf den anderen Elternteil – einschließlich des Wechselbades ggf. verschiedener Erziehungsstile[1204] – für das Kind mit erheblichen Belastungen verbunden ist.[1205] Viele Kinder bitten nach einiger Zeit darum, nicht mehr pendeln zu müssen, weil sie das Gefühl haben, ständig aus dem Koffer zu leben, ihnen sei davon ganz "schwindlig".[1206] Auch auf der Elternebene birgt dieses Betreuungsmodell im Zusammenhang mit der Unterhaltsregelung[1207] nicht unerhebliches Streitpotential (siehe auch zu den Umgangskosten§ 2 Rdn 147 ff.); auch im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe entsteht eine Sondersituation.[1208] Das Modell setzt ferner eine räumliche Nähe der Eltern und eine gute Kommunikation zwischen ihnen voraus. Insgesamt erfordert das Wechselmodell die an den Bedürfnissen des Kindes ausgerichtete hohe Motivation und Fähigkeit der Eltern, miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren.[1209] Andernfalls wird der Loyalitätskonflikt des Kindes nicht ent-, sondern verschärft.[1210] Beide Eltern müssen zudem erziehungsfähig, die Bindungen des Kindes zu beiden Eltern nahezu gleichwertig und das Wechselmodell auch mit dem Kindeswillen in Einklang zu bringen sein.[1211] Dann kann in der Tat spannungsfrei eine enge Beziehung des Kindes zu beiden Eltern – jeweils unter Alltagsbedingungen – befördert werden und auch beide Eltern werden jeweils teilentlastet.[1212] Aus psychologischer Sicht wird allerdings von einem Wechselmodell auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen abgeraten, solange das Kind noch nicht drei Jahre alt ist, weil die Bindungsforschung zeigt, dass das Fehlen eines eindeutigen Lebensmittelpunkts für solche kleine Kinder ein Risikofaktor sein kann.[1213]

 

Rz. 327

Während ein einvernehmlich gelebtes Wechselmodell bei Vorliegen gemeinsamen Sorgerechts unproblematisch ist und diesseits der Grenze des § 1666 BGB keinen Anlass gibt, familiengerichtlich tätig zu werden,[1214] kann das Wechselmodell richterlich[1215] de lege lata im Streitfall weder angeordnet[1216] noch – wenn bislang praktiziert – durch Richterspruch beibehalten[1217] werden, weil das Aufenthaltsbestimmungsrecht nur einem Elternteil übertragen werden kann.[1218] Außerdem ist das Wechselmodell als Frage der Sorgerechtsausübung, nicht als solche der Sorgerechtsregelung einzustufen.[1219] Dies zu umgehen, indem man das Umgangsrecht des anderen Elternteils so ausgestaltet, dass die Zeiträume, während derer sich das Kind bei jedem seiner Elternteile aufhält, in ihrer Summe etwa gleich lang sind[1220] und zugleich eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ablehnt[1221] – oder gar "das Aufenthaltsbestimmungsrecht im wöchentlichen Wechsel aufzuteilen"[1222] –, umgeht diese klare gesetzgeberische Entscheidung und ist daher abzulehnen (zur Statthaftigkeit der Beschwerde gegen eine dahingehende einstweilige Anordnung siehe § 7 Rdn 45).[1223] Das Umgangsrecht dient nicht dazu, eine gleichberechtigte Teilhabe der Eltern am Leben ihres Kindes sicherzustellen.[1224] Hat sogar ein Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind, so würde eine Umgangsregelung mit Wechselmodell­charakter die Gestaltungsfreiheit dieses Elternteils, den Lebensmittelpunkt des Kindes zu bestimmen, verletzen.[1225]

 

Rz. 328

Wurde in der Vergangenheit ein Wechselmodell im Wesentlichen beanstandungsfrei praktiziert und entspricht dessen Fortsetzung dem Kindeswohl am besten, so muss dem allerdings nach zutreffender Auffassung[1226] – wegen des letztentscheidenden und allüberstrahlenden[1227] Kindeswohls – Rechnung getragen werden.[1228] Wenngleich die Fortsetzung des Wechselmodells nicht durch die bloße Zurückweisung des Antrags auf Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts des Elternteils, der das Modell beenden will, erzwungen werden darf,[1229] kann die Fortsetzung des Wechselmodells auf anderem Wege zumindest stark befördert werden.

 

Rz. 329

Dabei stellt sich allerdings ein etwa früher geschlossener "gerichtlich gebilligter Vergleich" über das Wechselmodell nicht als solcher i.S.d. § 156 Abs. 2 FamFG dar,[1230] weil in diesem Vergleich dann nicht das Umgangsrecht, sondern – abschließend – das (von dieser Vorschrift nicht erfasste,[1231] siehe dazu auch § 2 Rdn 237) Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind geregelt worden ist. Denn das Umgangsrecht dient nicht dazu, eine gleichberechtigte Teilhabe beider Eltern am Leben des Kindes in Form des Wechselmodells sicherzustellen, sondern der Aufrechterhaltung der persönlichen Beziehungen zum anderen Elternteil und d...

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