Rz. 200

Diese Variante der Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn die Eltern oder auch nur ein Elternteil in – nach der Neufassung des § 1666 Abs. 1 BGB nicht mehr notwendiger Weise schuldhaft – untätig bleiben, sie also die Maßnahmen unterlassen, die unter Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation der Familie eine ungestörte und beständige Erziehung, Beaufsichtigung und Pflege des Kindes gewährleisten sollen. Besonders schwerwiegend wirkt sich eine chronische, wenngleich nicht lebensbedrohliche Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren aus.[709]

Typische Ausprägungen einer Vernachlässigung des Kindes sind etwa:

mangelhafte Ernährung,[710]
mangelhafte Bekleidung und Hygiene des Kindes,[711]
fortdauernde, unter normalen Umständen heilbare Erkrankungen des Kindes,[712]
ein deutlicher Entwicklungsrückstand des Kindes,[713]
erhebliche Schulfehlzeiten,
Nichtwahrnehmung von Arzt- oder Klinikterminen[714] sowie von Therapiemaßnahmen.[715]
 

Rz. 201

Auf ein Verschulden der Eltern kommt es seit der Neufassung von § 1666 BGB nicht mehr an (siehe Rdn 196). Der Umstand einer anderweitigen Betreuung durch eine Tagesmutter während der Arbeitszeit der Eltern kann die Annahme einer Vernachlässigung nicht begründen,[716] anders u.U. bei deren unzureichender Beaufsichtigung, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Tagesmutter sich kindeswohlgefährdend verhält.

Zwar besteht eine Gefahr für das Kindeswohl, wenn der Elternteil nicht in der Lage ist, das Kind eigenständig zu versorgen. Ein Ausschluss des Sorgerechts wegen Vernachlässigung des Kindes kommt gleichwohl nicht in Betracht, wenn diesem Risiko auf andere Art begegnet werden kann, etwa durch Maßnahmen der Familienhilfe. Eine Hilfe von außen kann indessen nur greifen, wenn die Eltern diese akzeptieren und an dem Erwerb und der Verbesserung von Erziehungskompetenzen mitarbeiten.[717] Auch in der Fallkonstellation, dass der betreuende Elternteil eine enge emotionale Bindung zu dem Kind aufgebaut hat und ersichtlich bestrebt ist, sich die zur Versorgung und Betreuung erforderlichen Fähigkeiten anzueignen, muss geprüft werden, ob er auch die Bereitschaft hat, teilweise aus der eigenen Erziehung herrührende Defizite abzubauen.[718]

Die Personensorge darf nicht entzogen werden, wenn ein Kind von den Großeltern zwar besser betreut werden kann als bei den Eltern, diesen aber weder eine Gefährdung des Kindeswohls noch ein Missbrauch des Sorgerechts angelastet werden kann.[719]

[709] Kindler, Kinderschutz im BGB, FPR 2012, 422; Doukkani-Bördner, Kindesmisshandlungen im Haushalt der Eltern und elterliche Sorge, FamRZ 2016, 12; Behnisch/Dilthey, "Das Elend der Wiederholung" – Zur familiären Psychodynamik in Fällen von Kindesmisshandlung, ZKJ 2016, 4; siehe zu den Auswirkungen auf Bindungs- und Beziehungsqualitäten bei Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch auch Lengning/Lüpschen, FPR 2013, 213.
[710] BayObLG FamRZ 1988, 748.
[711] OLG Hamm FamRZ 2002, 691; Rotax, FPR 2001, 251.
[712] Siehe auch Finke, Sorgerecht und Umgang bei Erkrankung des Kindes, NZFam 2015, 1114.
[713] BayObLG FamRZ 1997, 1533.
[714] Palandt/Götz, § 1666 Rn 11 m.w.N.; zur Nichtteilnahme an Vorsorgeuntersuchungen siehe OLG Frankfurt ZKJ 2014, 31 und Mortsiefer, NJW 2014, 3543.
[716] BayObLG NJW-RR 1990, 70.
[717] BGH, Beschl. v. 6.7.2016 – XII ZB 47/15, juris.
[718] OLG Köln FamRZ 1999, 530.
[719] BayObLG FamRZ 1996, 1031; OLG Karlsruhe FamRZ 1996, 1233.

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