Rz. 276

Die Religionszugehörigkeit eines Elternteils kann geeignet sein, seine Erziehungseignung zu beeinträchtigen. Hier kommen in erster Linie die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas[1052] oder der Scientology-Organisation in Betracht.[1053] Eine Religions- oder Sektenzugehörigkeit als solche kann allerdings die Erziehungsfähigkeit dem Grunde nach nicht in Frage stellen. Denn durch das staatliche Wächteramt und die hieraus folgenden Eingriffsbefugnisse darf die verfassungsrechtlich geschützte Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG nicht unterlaufen werden. Andererseits beruht die religiöse Erziehung auf dem verfassungsrechtlich garantierten Erziehungsrecht und muss sich daher an den darin vorgesehenen Schranken messen lassen. Wenn auch bei toleranter, liberaler Sichtweise die Ausübung der Religionsfreiheit der Eltern dem Kindeswohl in seiner dargestellten Ausprägung nachteilig ist, so ist der Elternteil nicht davor geschützt, dass bei der Beurteilung seiner Erziehungseignung seine religionsgetragene Erziehungshaltung zu seinen Lasten berücksichtigt und gewichtet wird. Im Interesse des Kindes kann es angezeigt sein, von einer Übertragung der religiösen Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil vorläufig Abstand zu nehmen, etwa um dem Kind selbst ausreichende Möglichkeiten zu verschaffen, sich glaubensmäßig zu orientieren, bis es mit vollendetem 14. Lebensjahr eigene Entscheidungsfreiheit besitzt,[1054] insbesondere wenn das Kind ohnehin einen Freundeskreis im kirchlichen Umfeld hat.[1055]

 

Rz. 277

Das Familiengericht hat im Einzelfall zu prüfen, inwieweit eine repressive Religionslehre negativen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes nimmt[1056] oder eine Integration des Kindes in seine soziale Umwelt durch die alleinige religiöse Entscheidungskompetenz eines Elternteiles erschwert wird.[1057] Entscheidend ist dabei, ob und in welchem Umfang ein Elternteil das Kind in die Religionsausübung einbezieht;[1058] geschieht dies in einer dem Kind nachteiligen Weise, so muss von einem beeinträchtigenden Erziehungsstil ausgegangen werden.

 

Rz. 278

Zur Entschärfung der Problematik kann es angezeigt sei, einen oder mehrere Teilbereiche der elterlichen Sorge auf den anderen Elternteil zu übertragen.[1059] So kann diesem die Entscheidungsbefugnis übertragen werden, etwa medizinische Maßnahmen in die Wege zu leiten, die der andere Elternteil aus religiösen Gründen bislang abgelehnt hat. In Rede steht hier beispielsweise eine medizinisch indizierte Bluttransfusion, die strenggläubige Zeugen Jehovas auch um den Preis ihres eigenen Lebens strikt ablehnen.[1060] Allerdings wird dies nur angezeigt sein, wenn Anhaltspunkte für demnächst notwendige Transfusionen ersichtlich sind;[1061] denn andernfalls reichte eine dann einzuholende Eilentscheidung, bei Gefahr im Verzug eine solche der Ärzte.

[1052] Dazu – im Einzelfall im Ergebnis zugunsten des Zeugen Jehovas – OLG Hamm FamRZ 2011, 1306; Schwab, FamRZ 2014, 1, 7 f. m.z.w.N.
[1053] OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1728; OLG Frankfurt FamRZ 1997, 573; OLG Hamburg FamRZ 1985, 1284; AG Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 2009, 987; Schwab, FamRZ 2014, 1, 8 m.w.N..
[1055] Zur Reichweite des Bestimmungsrechts eines Vormundes über die religiöse Erziehung des Kindes und das diesbezügliche familiengerichtliche Verfahren siehe §§ 3, 7 RKEG und dazu OLG Hamm NZFam 2016, 671; OLG Koblenz ZKJ 2014, 291; OLG Düsseldorf FamRZ 2013, 140; OLG Saarbrücken ZKJ 2011, 328 m.w.N.; DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2014, 521.
[1056] Oelkers/Kraeft, FuR 1997, 161; anschaulich auch Schwab, FamRZ 2014, 1, 8.
[1059] AG Bad Schwalbach FamRZ 1999, 1158.
[1060] Vgl. dazu Bender, MedR 2000, 127.

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