Rz. 264

Bei der Prüfung dieses Kriteriums ist nicht nur auf die zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Betreuungssituation abzustellen, auch wenn den in der Vergangenheit durch einen Elternteil wahrgenommenen größeren Erziehungsanteilen erhebliche Bedeutung zukommt,[997] die sich im Falle bisher einvernehmlicher Rollenverteilung verstärkt.[998] Die Anwendung des Kontinuitätsprinzips darf nicht dazu führen, dass eine zwar gleichmäßige, letztlich aber schädliche Erziehung unter Vernachlässigung anderer Aspekte des Kindeswohls fortgeführt wird.[999] Es ist vielmehr eine in die Zukunft gerichtete Prognose vorzunehmen, wobei aber durchaus auch die gegenwärtige Betreuungssituation wesentliche Bedeutung in den Fällen hat, in denen beide Elternteile in gleichem Maße erziehungsgeeignet sind und auch hinsichtlich der kindlichen Belange keine Unterschiede zwischen ihnen bestehen.[1000]

 

Rz. 265

Es gibt insbesondere – und zwar auch bei Kleinkindern[1001] – keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Mütter grundsätzlich besser in der Lage sind das Sorgerecht auszuüben als Väter.[1002] Eine solche Festschreibung der Rollenverteilung ist mit Art. 3 Abs. 2 GG unvereinbar,[1003] was eigentlich selbstverständlich erscheinen mag. Indessen war und ist auch heute durchaus noch das gegenteilige Verständnis im Unterbewusstsein verschiedener Verfahrensbeteiligter beheimatet.

 

Rz. 266

Der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass gerade in den Fällen, in denen die elterliche Sorge jüngerer Kinder in Rede steht, dem Kontinuitätsgrundsatz erhebliche Bedeutung beigemessen wird,[1004] da bei jüngeren Kindern der häufige Wechsel einer Bezugs- und Betreuungsperson sowie des sozialen Umfelds als schädlich angesehen wird.[1005] Bei Kleinkindern kommt daher dem Kontinuitätsgrundsatz oft ausschlaggebende Bedeutung zu.[1006] Der Verlust des bisherigen räumlichen und sozialen Umfelds wird allerdings auch von Kindern, die das Kleinkindalter abgeschlossen haben, als einschneidend erlebt.[1007] Der Kontinuitätsgrundsatz wird umso gewichtiger, wenn ein Kind in der Vergangenheit nur zeitweise in einem geordneten Familienverbund aufgewachsen ist und durch einen Elternteil nun die notwendige Kontinuität gewährleistet werden kann.[1008] Ebenso hat dieser Grundsatz verstärkte Bedeutung, wenn ein Kind erst nach der Trennung der Eltern geboren wurde und seitdem beim selben Elternteil aufwächst.[1009]

[997] OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1668.
[998] OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1153.
[999] OLG München FamRZ 1991, 1343.
[1001] OLG Frankfurt FamRZ 2016, 1093.
[1002] OLG Celle FamRZ 1984, 1035.
[1003] BVerfG FamRZ 1996, 343; Oelkers, FamRZ 1997, 779.
[1004] A.A. OLG Celle FamRZ 1984, 1035.
[1005] BVerfG FamRZ 1982, 1179; BGH FamRZ 1990, 392; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.4.2015 – 6 UF 4/15 (n.v.).; OLG Brandenburg FuR 2009, 624.
[1006] OLG Frankfurt FamRZ 1990, 550; AG Landstuhl FamRZ 1990, 1025.
[1007] OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 184; OLG Köln FamRZ 1999, 181.
[1009] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 24.3.2011 – 6 UF 24/11 (n.v.).

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