Rz. 53

Der VI. Zivilsenat des BGH hat den Wortlaut der Norm so interpretiert, dass der in den jeweiligen landesrechtlichen Ausführungsgesetzen vorgeschriebene Einigungsversuch zwingend der Klageerhebung vorausgehen muss und nicht nach der Klageerhebung nachgeholt werden kann. Eine ohne den Einigungsversuch erhobene Klage sei als unzulässig abzuweisen, da die Durchführung des Schlichtungsverfahrens nicht nur eine besondere Prozessvoraussetzung sei, die (erst) zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müsse, sondern Voraussetzung einer wirksamen Klageerhebung.[82]

 

Rz. 54

Der BGH begründet seine Auffassung nicht nur mit dem Wortlaut der Norm, sondern auch mit dem Sinn und Zweck des obligatorischen Schlichtungsverfahrens. Die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele, die Justiz zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen, könnten nur erreicht werden, wenn § 15a EGZPO konsequent derart ausgelegt werde, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen. Könnte ein Schlichtungsversuch noch nach Klageerhebung problemlos nachgeholt werden, ohne dass Rechtsnachteile befürchtet werden müssten, so wäre das Vorgehen der Rechtsuchenden vielfach schon von vornherein auf ein paralleles Vorgehen abgestellt mit dem festen Willen, eine Schlichtung scheitern zu lassen.[83]

 

Rz. 55

Aus diesen Gründen überzeuge der Hinweis der Gegenmeinung[84] auf den Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht. Prozessökonomische Überlegungen dürfen sich angesichts der aufgezeigten Problemlage nicht nur auf den gerichtlichen Prozess beziehen, sondern müssten im vorliegenden Zusammenhang auch die vom Gesetzgeber angestrebte Neuregelung des Verfahrensgangs unter Einschluss des zwingend vorgeschalteten Schlichtungsverfahrens in den Blick nehmen. Bei dieser Sichtweise erweise sich die Zulassung einer Nachholung des Verfahrens als geradezu kontraproduktiv und damit ersichtlich nicht prozessökonomisch.[85]

 

Rz. 56

 

Hinweis:

Eine Aussetzung des Rechtsstreits zur Nachholung des Schlichtungsverfahrens analog § 148 ZPO kommt damit nicht in Betracht.[86] Etwas anderes gilt auch nicht, weil die Parteien bereits zwischenzeitlich einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag abgelehnt haben.[87]

 

Rz. 57

Konsequenz dieses BGH-Beschlusses ist es, dass die Klage in der Berufungs- oder Revisionsinstanz auch dann als unzulässig abzuweisen ist, wenn vorinstanzlich ein Sachurteil ergangen ist. Ein anderes Ergebnis widerspräche den mit der Einführung des Schlichtungsverfahrens vor allem im öffentlichen Interesse verfolgten gesetzgeberischen Zielen. Diese ließen sich nicht verwirklichen, wenn das Unterbleiben der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzung der vorangegangenen Durchführung des Schlichtungsverfahrens durch das erstinstanzliche Gericht oder die durch dieses zu Unrecht erfolgte Verneinung des Erfordernisses einer vorhergehenden erfolglosen Streitschlichtung zur Folge hätte, dass den übergeordneten Instanzen die diesbezügliche Rechtskontrolle verwehrt wäre. Die fehlende Kontrolle in den Rechtsmittelinstanzen würde gerade verhindern, dass sich die gebotene Prüfung des Erfordernisses der obligatorischen Streitschlichtung im Bewusstsein sowohl der erstinstanzlich tätigen Gerichte als auch der Rechtsuchenden und ihrer Rechtsanwälte verankere.[88]

 

Rz. 58

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den §§ 513 Abs. 2, 545 Abs. 2 ZPO, nach denen die Berufung bzw. Revision nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften, Rechtsmittelstreitigkeiten auszuschließen, die allein die Frage der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts zum Gegenstand haben, schränken sie die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung nämlich nur ein, soweit allein der Festlegung des zuständigen Gerichts dienende Vorschriften in Rede stehen. Die Anwendung sonstiger Normen, die einen anderen Zweck verfolgen und dabei an die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts lediglich anknüpfen, ist dagegen nach allgemeinen Grundsätzen zu überprüfen.[89] Ein Kläger kann daher auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass ein Beklagter, der in zweiter Instanz erstmals die fehlende Durchführung des Streitschlichtungsverfahrens gerügt hat, mit seinem Vortrag präkludiert sei bzw. "rechtsmissbräuchlich" handele.[90]

 

Rz. 59

 

Hinweis:

Ebenso wenig kommt eine Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO in Betracht, nach dem die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen sind, wenn sie aufgrund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war. Denn bei der Durchführung des obligatorischen Schlichtungsverfahrens handelt es sich um eine von Amts wegen zu prüfende, unverzichtbare besondere Prozessvoraussetzung (Rdn 49), weshalb das erstinstanzliche Gericht auch ohne einen ents...

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