Rz. 49

Der Versuch einer gütlichen Einigung im Rahmen eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens stellt eine Prozessvoraussetzung dar, die vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist.[78] Dabei ist eine Klage, der ein obligatorisches Streitschlichtungsverfahren vorauszugehen hat, stets dann als zulässig anzusehen, wenn der Kläger mit der Klageschrift eine von der Gütestelle ausgestellte Bescheinigung über einen erfolglosen Einigungsversuch eingereicht hat.

 

Rz. 50

In den landesrechtlichen Vorschriften finden sich zum Teil nähere Anforderungen an den Inhalt der Bescheinigung. So muss die Bescheinigung nach § 53 Abs. 2 JustG NRW Name und Anschrift der Parteien sowie Angaben über den Gegenstand des Streits, insbesondere die Anträge, enthalten; außerdem sollen Beginn und Ende des Verfahrens vermerkt werden. Nach Art. 4 Abs. 3 BaySchlG hat das Zeugnis die Namen und die Anschriften des Antragstellers und des Antragsgegners, eine kurze Darstellung des Streitgegenstands, Angaben zum Streitwert sowie den Zeitpunkt, zu dem das Verfahren beendet ist, zu enthalten; wird das Zeugnis ausgestellt, weil der Schlichter die Angelegenheit für eine Schlichtung für ungeeignet erachtet, sind die Gründe dafür im Zeugnis anzugeben.[79] Diese Bescheinigung ist auf Antrag auch auszustellen, wenn binnen einer Frist von drei Monaten das von ihm beantragte Einigungsverfahren nicht durchgeführt worden ist (§ 15a Abs. 1 S. 3 EGZPO).

 

Rz. 51

Das Prozessgericht ist bei der Prüfung dieser Prozessvoraussetzung an die ihm vorgelegte Bescheinigung auch dann gebunden, wenn es vor der Gütestelle zu einem Verfahrensverstoß gekommen ist. Es ist daher ohne Bedeutung, wenn die Schiedsperson entgegen der landesgesetzlichen Durchführungsbestimmungen aufgrund "erkennbarer Aussichtslosigkeit" des Schlichtungsversuchs von einem Schlichtungsgespräch abgesehen hat, da solche Verfahrensfehler nicht zulasten des Klägers gehen dürfen.[80] Ebenso wenig führt der Umstand, dass der Sohn des Klägers während des eigentlich nichtöffentlichen Schlichtungsverfahrens anwesend war, zur Unzulässigkeit der Klage.[81]

 

Rz. 52

Die Rechtspraxis musste sich aber gleichwohl immer wieder mit den Rechtsfolgen eines nicht durchgeführten Schlichtungsverfahrens beschäftigen. Angesichts des eingeschränkten Anwendungsbereichs des § 15a EGZPO sowie der verschiedenen landesrechtlichen Regelungen und des Umstands, dass Anwälte gemäß § 78 ZPO vor allen Gerichten (mit Ausnahme des BGH in Zivilsachen) postulationsfähig sind und daher bundesweit auftreten können, ist es keine Seltenheit, dass das Schlichtungsverfahren einfach vergessen wird. Daneben gibt es Versuche, das Verfahren bewusst zu umgehen.

Hierzu wurden folgende Leitlinien entwickelt:

[78] Zöller/Heßler, § 15a EGZPO Rn 24.
[79] Zum Inhalt einer Bescheinigung über die erfolglose Durchführung eines Schlichtungsverfahrens siehe Grziwotz/Peter, MDR 2017, 617, 622.
[81] AG Karlsruhe, Urt. v. 31.5.2013 – 4 C 482/12, BeckRS 2013, 13746.

I. Keine Nachholbarkeit eines Schlichtungsverfahrens

 

Rz. 53

Der VI. Zivilsenat des BGH hat den Wortlaut der Norm so interpretiert, dass der in den jeweiligen landesrechtlichen Ausführungsgesetzen vorgeschriebene Einigungsversuch zwingend der Klageerhebung vorausgehen muss und nicht nach der Klageerhebung nachgeholt werden kann. Eine ohne den Einigungsversuch erhobene Klage sei als unzulässig abzuweisen, da die Durchführung des Schlichtungsverfahrens nicht nur eine besondere Prozessvoraussetzung sei, die (erst) zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müsse, sondern Voraussetzung einer wirksamen Klageerhebung.[82]

 

Rz. 54

Der BGH begründet seine Auffassung nicht nur mit dem Wortlaut der Norm, sondern auch mit dem Sinn und Zweck des obligatorischen Schlichtungsverfahrens. Die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele, die Justiz zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen, könnten nur erreicht werden, wenn § 15a EGZPO konsequent derart ausgelegt werde, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen. Könnte ein Schlichtungsversuch noch nach Klageerhebung problemlos nachgeholt werden, ohne dass Rechtsnachteile befürchtet werden müssten, so wäre das Vorgehen der Rechtsuchenden vielfach schon von vornherein auf ein paralleles Vorgehen abgestellt mit dem festen Willen, eine Schlichtung scheitern zu lassen.[83]

 

Rz. 55

Aus diesen Gründen überzeuge der Hinweis der Gegenmeinung[84] auf den Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht. Prozessökonomische Überlegungen dürfen sich angesichts der aufgezeigten Problemlage nicht nur auf den gerichtlichen Prozess beziehen, sondern müssten im vorliegenden Zusammenhang auch die vom Gesetzgeber angestrebte Neuregelung des Verfahrensgangs unter Einschluss des zwingend vorgeschalteten Schlichtungsverfahrens in den Blick nehmen. Bei dieser Sichtweise erweise sich die Zulas...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge