Rz. 212

Aufgrund der besonderen Situation in der Insolvenz ist der Insolvenzverwalter meist gezwungen unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Betriebsänderungen umzusetzen. Der übliche Verfahrensablauf, der außerhalb des Insolvenzverfahrens gegeben ist, kann einige Zeit in Anspruch nehmen, was für die mögliche Sanierung des insolventen Unternehmens jedoch schädlich wäre. Deshalb gibt die Insolvenzordnung dem Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Instrumente zur Beschleunigung des Verfahrens und zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs an die Hand. Mit der Insolvenzeröffnung tritt der Insolvenzverwalter in die Unternehmerstellung ein. Deshalb trifft auch ihn die Pflicht zur Unterrichtung und Beratung und zum Versuch eines Interessenausgleichs anstelle des Unternehmers. Der Insolvenzverwalter kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beteiligung des Betriebsrates wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation entbehrlich sei. Er hat grundsätzlich die Verfahren gem. § 111 ff. BetrVG einzuhalten, jedoch mit den besonderen Erleichterungen der Insolvenzordnung.[240] Maßgeblich ist auch hier, dass bei der Entscheidung über die Betriebsänderung ein Betriebsrat besteht. Unerheblich ist jedoch, ob dieser bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand oder erst nach dessen Eröffnung gewählt wurde.[241] Die Insolvenzgläubiger besitzen gerade kein rechtlich schützenswertes Interesse darauf, dass in einem bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens betriebsratslosen Betrieb keine Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG mehr entstehen können.

 

Rz. 213

Den Interessen der Insolvenzgläubiger wird demgegenüber mit der Beschleunigung des Verfahrens in § 121, 122 InsO Rechnung getragen. Da auch der Insolvenzverwalter eine geplante Betriebsänderung nicht durchführen darf, ohne vorher versucht zu haben, einen Interessenausgleich zu erzielen, ist er auch verpflichtet, das Beratungsverfahren mit dem Betriebsrat voll auszuschöpfen bis hin zum Abschluss des Verfahrens vor der Einigungsstelle.[242] Im eröffneten Insolvenzverfahren entfällt jedoch gem. § 121 InsO die Möglichkeit, dass jede Partei ein Vermittlungsverfahren beim Vorstand der Bundesagentur für Arbeit vor Einsetzung der Einigungsstelle einleitet, § 112 Abs. 2 BetrVG. Der Insolvenzverwalter kann also im eröffneten Insolvenzverfahren ohne diesen Vermittlungsversuch, der wieder Zeit kostet, unmittelbar die Einigungsstelle anrufen. Es bleibt ihm jedoch unbenommen, das Vermittlungsverfahren gleichwohl durchzuführen, wenn Insolvenzverwalter und Betriebsrat gemeinsam um eine solche Vermittlung ersuchen. Ebenfalls der Beschleunigung dient § 122 InsO. Die Norm gibt dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, die Betriebsänderung auch ohne Interessenausgleich jedoch mit gerichtlicher Zustimmung umzusetzen. Ist die Betriebsänderung geplant und kommt zwischen Insolvenzverwaltung und Betriebsrat der Interessenausgleich nach § 112 BetrVG nicht innerhalb von 3 Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande, obwohl der Verwalter den Betriebsrats rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat, dann kann der Verwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichtes dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist. Dies setzt natürlich voraus, dass zum einen der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat, so dass eine gerichtliche Genehmigung einer bereits begonnenen oder durchgeführten Betriebsänderung nicht mehr möglich ist. Die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrates stellt die Zulässigkeitsvoraussetzung für das gerichtliche Zustimmungsverfahren dar.

 

Rz. 214

 

Hinweis

Die Frage, ob der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet worden ist, ist anhand eines objektiv anzulegenden Maßstabs zu beurteilen. Fest steht jedoch, dass erst dann, wenn der Betriebsrat vollständig unterrichtet ist, auch die 3-Wochen-Frist zu laufen beginnen kann. Ist der Betriebsrat der Meinung, er sei nicht umfassend unterrichtet worden, dann muss er auf fehlende Unterlagen schon aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG folgend, hinweisen.[243]

 

Rz. 215

Maßgeblich für den Beginn der 3-Wochen-Frist ist nach erfolgter Unterrichtung der Verhandlungsbeginn oder die schriftliche Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen. In letzterem Fall ist der Zugang beim Betriebsratsvorsitzenden für den Fristbeginn maßgeblich, § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Selbst wenn der Insolvenzverwalter den Antrag beim Arbeitsgericht gestellt hat, kann er weiterhin mit dem Betriebsrat verhandeln. Einigen sich die Parteien auf einen Interessenausgleich oder wird noch vor der Entscheidung im Beschlussverfahren die Einigungsstelle besetzt und in dieser festgestellt, dass ein Interessenausgleich nicht zustande kommt, so ist der Antrag im Beschlussverfahren gem. § 122 InsO erledigt.

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