Rz. 36

Die Beteiligungsrechte aus § 111 S. 1 BetrVG greifen nur dann, wenn wesentliche Nachteile die Folge der geplanten Betriebsänderung sein können. Lediglich geringfügige oder vorübergehende Nachteile sind nicht ausreichend.

 

Rz. 37

Zu beachten ist, dass der Eintritt dieser Nachteile infolge der geplanten Betriebsänderung nicht bereits im Vorfeld nachgewiesen werden muss. Vielmehr genügt es, dass sich bei objektiver Beurteilung einer Betriebsänderung solche Nachteile auch bei hypothetischer Betrachtung einstellen können.[34] Vor allem wird es sich um wirtschaftliche Nachteile handeln, die die Arbeitnehmer unmittelbar infolge der Betriebsänderung erleiden werden. Jedoch können auch alle anderen drohenden Beeinträchtigungen ausreichen. Je nach Ausgestaltung der unternehmerischen Maßnahme ist das Entstehen von Nachteilen vielfältig. Führt die Betriebsänderung etwa zum Arbeitsplatzverlust von Beschäftigten, dann besteht der Nachteil natürlich im Verlust des Arbeitsplatzes und den Folgewirkungen wie drohender Arbeitslosigkeit und damit verbundener Einkommensminderung. Selbst bei absehbarer Wiederaufnahme einer Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber würde der Nachteil ggf. in einer dann drohenden reduzierten Vergütung liegen oder im Neubeginn der Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz oder der Probezeit. Neben diesen relativ leicht greifbaren Nachteilen sind aber auch alle anderen Nachteile zu berücksichtigen, die infolge der Betriebsänderung entstehen können.

 

Rz. 38

Auch Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz nicht verlieren, können Nachteile erleiden, wenn sie innerhalb des Betriebes oder Unternehmens auf andere Arbeitsplätze versetzt werden. Zu denken ist hier an eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen etwa durch eine veränderte Arbeitszeitgestaltung, eine erhöhte Belastung durch die Arbeitsumgebung (z.B. Lärm, Staub, Schadstoffe etc.), durch erhöhte Leistungsanforderungen oder neue Vergütungssysteme, die andere Anforderungen stellen. Ein möglicher Nachteil kann auch darin gesehen werden, dass am neuen Arbeitsplatz andere Qualifikationsanforderungen gestellt werden oder die weitere berufliche Fortentwicklung eingeschränkt ist. Ebenfalls als Nachteil kann angesehen werden, insbesondere bei räumlicher Versetzung, der Verlust von Sozialeinrichtungen, etwa einer Kantine oder sonstiger auf den Betrieb beschränkte Sozialeinrichtungen, wie ein Betriebskindergarten etc. Wird aufgrund der Betriebsänderung der Arbeitsplatz räumlich verlegt, entstehen Nachteile durch verlängerte Wegezeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz und dadurch erhöhte Wegekosten, ggf. erhöhte Kosten durch einen Mehraufwand aufgrund einer doppelten Haushaltsführung, Aufwendungen für Heimfahrten, Umzugskosten und eine erhöhte Belastung durch ggf. Getrenntleben und mehr Reisezeiten. Ändert sich die Arbeitsorganisation kann dies sich nachteilig für die Beschäftigten auswirken durch eine Verschlechterung der Arbeitszeitgestaltung, also einen als nachteilig empfundenen Arbeitszeitrhythmus, durch Erhöhung der Arbeitsbelastung und dadurch erhöhte Belastungen und zunehmenden Stress, Leistungsverdichtung und damit einhergehende psychische Belastungen, schleichende Dequalifizierung, insbesondere wenn qualitativ höherwertige Tätigkeiten durch Maschinen ersetzt werden sollen, Verlust sozialer Beziehungen durch veränderte Arbeitsabläufe, Wegfall von Mitfahrmöglichkeiten und auch Verringerung von Einkommensmöglichkeiten, etwa durch Verkürzung der Arbeitszeit aufgrund anderer Arbeitsorganisation, Reduzierung der Vergütung aufgrund Eingruppierungsänderungen etc.

 

Rz. 39

 

Hinweis

Bei Betriebsänderungen wird viel zu oft lediglich auf Nachteile aufgrund des Arbeitsplatzverlustes abgestellt und im Rahmen von Verhandlungen die weniger griffigen Nachteile nicht beachtet. Gerade diese wirken sich jedoch häufig auf die gesamte übrige Belegschaft, die im Betrieb verbleiben "darf" negativ aus und sind im Besonderen in Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu thematisieren. Im Individualmandat ist daran zu denken, dass auch derartige Nachteile bei Geltendmachung eines Nachteilsausgleichs i.S.v. § 113 BetrVG berücksichtigt werden sollten.[35]

[35] Vgl. zum Nachteilsausgleich insgesamt Rn 237

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge