1. Gesetzlicher Übergang, gesamtschuldnerische Haftung

 

Rz. 754

Ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG sowie i.S.v. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass

a) der Übergang eine auf Dauer angelegte, ihre Identität bewahrende wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit betrifft und
b) die für den Betrieb der wirtschaftlichen Einheit verantwortliche natürliche oder juristische Person, die in dieser Eigenschaft die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt.

Verantwortlich für den Betrieb einer wirtschaftlichen Einheit ist die Person, die die wirtschaftliche Einheit im eigenen Namen führt und nach außen als deren Inhaber auftritt.[754]

Wichtigste Rechtsfolge ist nach § 613a BGB, dass das Arbeitsverhältnis in seinem gesamten Bestand, insbesondere auch der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Beschäftigten, und mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber übergeht.

 

Rz. 755

Zur Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten beim Veräußerer bei der Berechnung der Kündigungsfrist nach einem Betriebsübergang hat der EuGH entschieden:[755]

Art. 3 RL 2001/23/EG ist dahin auszulegen, dass der Erwerber unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens bei der Kündigung eines Arbeitnehmers, die mehr als ein Jahr nach dem Übergang des Unternehmens erfolgt, in die Berechnung der Beschäftigungszeiten des betreffenden Arbeitnehmers, die für die Bestimmung der ihm zustehenden Kündigungsfrist maßgeblich sind, die Beschäftigungszeiten einzubeziehen hat, die dieser Arbeitnehmer beim Veräußerer zurückgelegt hat.

 

Rz. 756

Bei § 613a BGB handelt es sich um zwingendes Recht, der Übergang erfolgt von Rechts wegen und ungeachtet anderslautender Abmachungen.[756] Es ist ohne Bedeutung, welche Abreden die Vertragsparteien dazu treffen und in welchem (vermeintlichen) Rechtsverhältnis der Übernehmer die bisherigen Arbeitnehmer nach der Übernahme (weiter-) beschäftigt.[757]

[754] BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, BB 2018, 1719 = NZA 2018, 933; dazu NJW-Spezial 2018, 435.
[755] EuGH v. 6.4.2017 – Rs C-336/15 (Arbetsdomstolen (Arbeitsgerichtshof, Schweden), NZA 2017, 585 = ZIP 2017, 1037; dazu EWiR 2017, 379 (Mückl).
[756] EuGH v. 26.5.2005 – C-478/03 (Celtec), Slg. 2005, I-4389; EuGH v. 25.7.1991 – C-362/89 (d'Urso ua.), Slg. 1991, I-4105; EuGH v. 10.2. 1988 – C-324/86 (Foreningen af Arbejdsledere i Danmark, "Daddy's Dance Hall"), Slg. 1988, 739; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA 2013, 6.

2. Geschützte Beschäftigungsverhältnisse

 

Rz. 757

Unter den Schutz des § 613a BGB fallen die Arbeitnehmer des betroffenen Betriebes bzw. Betriebsteils. Erfasst werden auch Ausbildungsverhältnisse.[758]

 

Rz. 758

Erfasst werden auch Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die zur Zeit des Betriebsübergangs arbeits- oder erwerbsunfähig sind.[759]

 

Rz. 759

Sagt der Arbeitgeber vertraglich die Zahlung von Gratifikationen "entsprechend den Richtlinien der Gesellschaft" zu, kann die (ergänzende) Auslegung des Arbeitsvertrags ergeben, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die nach der jeweiligen Vergütungsordnung gezahlten Gratifikationen erwirbt. Werden die Richtlinien durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung abgelöst, richtet sich der Anspruch dann auf die nach Maßgabe der Gesamtbetriebsvereinbarung kalenderjährlich gezahlte zusätzliche variable Vergütung. Geht das Arbeitsverhältnis durch Betriebsübergang auf einen Erwerber über, muss dieser nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB den Anspruch erfüllen.[760]

 

Rz. 760

Der EuGH hat in der Entscheidung "Scattolon"[761] den Umfang des Schutzes von Arbeitnehmerrechten bei einem Übergang auf einen neuen Arbeitgeber präzisiert. Danach kann es dem europäischen Unionsrecht zuwiderlaufen, dass übergegangene Arbeitnehmer – auch diejenigen, die bei einer Behörde eines Mitgliedstaats beschäftigt gewesen sind und von einer anderen Behörde übernommen werden – allein aufgrund des Übergangs eine erhebliche Kürzung ihres Arbeitsentgelts hinnehmen müssen. Für den Erwerber blieben die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zu der Kündigung oder dem Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zu der Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrechterhalten, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

 

Rz. 761

Bei einem Übergang i.S.d. Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen eines einem Konzern angehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, kann nach der Auffassung des EuGH in der Entscheidung "Albron Catering"[762] als "Veräußerer" i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie auch das Konzernunternehmen, zu dem die Arbeitgeber ständ...

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