Rz. 642
Das BAG hat die Verwirkung des Rechts des Arbeitnehmers, sich im Prozess auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung nach § 85 SGB IX a.F. geltend zu machen, nach strengen Grundsätzen beurteilt.[625] Danach musste der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX a.F. erhalten wollte, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die regelmäßig einen Monat beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber seine bereits festgestellte (oder zur Feststellung beantragte) Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen. Unterließ der Arbeitnehmer diese Mitteilung, war die Kündigung jedenfalls nicht bereits wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Der Arbeitnehmer hatte dann den besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderter verwirkt.
Rz. 643
Die Monatsfrist galt dabei nicht nur bei der ordentlichen Kündigung. Auch wenn der Arbeitgeber bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung keine Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem entsprechenden Feststellungsantrag des Arbeitnehmers hatte, genügte es für den Erhalt des besonderen Kündigungsschutzes, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb der Monatsfrist seine bereits festgestellte oder beantragte Schwerbehinderteneigenschaft mitteilte.[626]
Rz. 644
Der 2. Senat des BAG hat noch nicht abschließend entschieden, ob an der Monatsfrist auch seit der Neufassung des SGB IX und des § 4 KSchG festzuhalten ist. In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass dies zu einem Wertungswiderspruch führen würde.[627]
Rz. 645
Nach § 4 KSchG muss der Arbeitnehmer nunmehr innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erheben, wenn er die Unwirksamkeit der Kündigung wegen seiner Schwerbehinderung geltend machen will; andernfalls ist die Kündigung nach §§ 4, 7 KSchG wirksam. Ein Arbeitnehmer, der demgegenüber dem Arbeitgeber einen Monat nach Zugang der Kündigung seine Schwerbehinderung mitteilt und zugleich Klage erhebt, hätte zwar die Monatsfrist eingehalten; die Kündigung wäre aber trotzdem wegen Versäumung der Frist des § 4 KSchG wirksam.[628]
Rz. 646
Sinnvoll wäre es, wenn der Gesetzgeber möglichst gleichlautende Fristen sowohl für die Mitteilung der Schwangerschaft nach dem MuSchG als auch für die Mitteilung der Schwerbehinderung regeln würde. Ohne eine gesetzliche Regelung der entsprechenden Mitteilungspflichten des Arbeitnehmers erwägt der 2. Senat deshalb, in Zukunft von einer Regelfrist von drei Wochen auszugehen, innerhalb derer der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung mitteilen muss.[629]
Rz. 647
Auch das Kündigungsschutzgesetz geht in einem vergleichbaren Fall, nämlich der Vorbehaltsannahme einer Änderungskündigung nach § 2 S. 2 KSchG davon aus, dass die Planungs- und Rechtssicherheit des Arbeitgebers eine entsprechende Erklärung des Arbeitnehmers spätestens innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erfordert. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 69 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX.
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