Rz. 741

Hat der Insolvenzverwalter einen Betrieb vollständig zerschlagen und stillgelegt, so führt eine "Rekonstruktion" des Betriebs durch Erwerb der Betriebsmittel von Dritten durch einen neuen "Betriebsinhaber" nicht zu einem Betriebsübergang.[739]

 

Rz. 742

Andererseits können aber selbst Übertragungen im Rahmen einer freiwilligen Liquidationsabwicklung unter § 613a BGB fallen.[740] Die bloße Möglichkeit, einen Betrieb zu übernehmen, ist mit einer Betriebsübernahme jedoch nicht gleichzusetzen. Die Betriebsübernahme setzt vielmehr die tatsächliche Wahrung der Identität voraus.[741]

 

Rz. 743

 

Hinweis

Allerdings soll ein Rückfall des Betriebes an den Verpächter nach instanzgerichtlicher Rechtsprechung auch dann unter § 613a BGB fallen, wenn dieser den Betrieb nicht in Besitz nimmt.[742]

 

Rz. 744

Wenn der Insolvenzverwalter durch einen Dritten die Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin mit den übernommenen Betriebsmitteln fortführen lässt, kann ein Betriebsübergang gem. § 613a BGB vorliegen.[743] Stellt der Insolvenzverwalter die Betriebstätigkeit der Insolvenzschuldnerin ein, überlässt er aber einem Dritten die bisherigen Betriebsmittel zur Nutzung und führt dieser mit den Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin und den übernommenen Betriebsmitteln die wirtschaftliche Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin fort, liegt ein Betriebsübergang vor. Nicht erforderlich ist, dass die Betriebsmittel aufgrund eines wirksamen Kaufvertrages erworben worden sind und in das Eigentum des Dritten übergegangen sind. Ein Betriebsübergang liegt schon dann vor, wenn ein Insolvenzverwalter die Betriebstätigkeit der Insolvenzschuldnerin einstellt, deren bisherige Betriebsmittel einem Dritten zur Nutzung überlässt und dieser sie zur Erfüllung seiner Betriebszwecke einsetzt. Dabei ist es auch unbeachtlich, ob das zugrunde liegende Rechtsgeschäft bedingt oder mit einem Rücktrittsrecht versehen ist.[744]

 

Rz. 745

 

Hinweis

Schließt der Insolvenzverwalter mit einem Arbeitnehmer im zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang einen Aufhebungsvertrag, so ist dieser als unzulässige Umgehung des Kündigungsverbotes wegen Betriebsübergangs (§ 613a Abs. 4 BGB) unwirksam.[745]

 

Rz. 746

Der Übergang des Betriebes oder eines Betriebsteils ist als solches keine Betriebsänderung. Gliedert aber der Arbeitgeber oder der Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Betriebsteils diesen aus, um ihn auf ein anderes Unternehmen zu übertragen, so liegt in der organisatorischen Spaltung des Betriebes unter Umständen eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung.[746] Problematisch ist in solchen Fällen häufig die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse zu den Betriebsteilen.[747]

 

Rz. 747

Wird nicht der gesamte Betrieb übernommen, sondern werden nur einzelne Betriebsteile auf verschiedene Drittunternehmen übertragen, kommt es darauf an, ob das Arbeitsverhältnis einem übergehenden Betriebsteil i.S.v. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB zugeordnet werden kann. Ist das Arbeitsverhältnis bei einem stillgelegten Betriebsteil angesiedelt, ist die Kündigung gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG wegen Stilllegung eines Betriebsteils sozial gerechtfertigt.[748]

 

Rz. 748

 

Hinweis

Auch darauf soll sich die Vermutungswirkung eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 125 InsO (siehe § 2 Rdn 130 ff.) beziehen.[749]

 

Rz. 749

Wird aufgrund einer einheitlichen Entscheidung ein Betriebsteil stillgelegt und der andere Betriebsteil veräußert, so beschränkt sich nach Auffassung des LAG Hamburg die soziale Auswahl im stillgelegten Betriebsteil auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer. Insoweit kollidiert der Schutz der betriebsbezogenen Sozialauswahl mit dem Kündigungsschutz wegen (Teil-)Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 4 BGB. Diese Kollisionslage schließt eine Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer in beiden Betriebsteilen aus.[750]

 

Rz. 750

Entsprechend hat auch das LAG Hamm für den Fall einer Insolvenz entschieden: Wird wegen Insolvenz aufgrund einer einheitlichen Entscheidung ein Betriebsteil veräußert und der verbleibende Restbetrieb stillgelegt, sind die Arbeitnehmer des übergehenden Betriebsteils nicht in die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG einzubeziehen, da die soziale Auswahl betriebsbezogen durchzuführen ist. Ein gem. § 613a BGB übergegangener Betriebsteil zählt nicht mehr zum Restbetrieb.[751]

 

Rz. 751

Das BAG[752] hat in der Revisionsinstanz gegenteilig entschieden: Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl (siehe Rdn 404 ff.) durchzuführen. Dies gilt auch dann, wenn ein Betriebsteil stillgelegt und der andere Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen werden soll. Bei der betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers des stillzulegenden Betriebsteils ist daher bei der Sozialauswahl auch ein vergleichbarer Arbeitnehmer zu berücksichtigen, der zur Zeit der Kündigung dem später zu übertragenden Betriebsteil angehört. Dies folgt aus dem Schutzzweck der Sozialauswahl, den Arbeitsplatz des sozial schwächeren Arbe...

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