Rz. 124

Gem. § 60 Abs. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach diesem Gesetz obliegen, wobei er für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen hat. Er haftet nach § 60 InsO nur für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten und ist insbesondere verpflichtet, die Ansprüche der Massegläubiger vorab aus der Masse zu befriedigen. Vor der Befriedigung einzelner Massegläubiger hat der Verwalter aber zu prüfen, ob, in welchem Umfang und in welcher Reihenfolge Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind und ob die Masse überhaupt ausreicht, um alle Masseforderungen zu bedienen. Er hat sich einen Überblick über die Aktiva und Passiva zu verschaffen und dann zu entscheiden, inwieweit Forderungen befriedigt werden können, ohne andere – ggf. vorrangig oder gleichrangig zu befriedigende – Gläubiger zu benachteiligen.[139] Ferner hat er vermeidbare Belastungen der Masse – etwa durch Vergütungs­ansprüche von Arbeitnehmern – zu verhindern.[140]

 

Rz. 125

 

Hinweis

Ein solcher Anspruch nach § 60 InsO ist nicht nur gegenüber dem Erfüllungsanspruch gegen die Masse, sondern auch gegenüber der Haftung eines Betriebserwerbers grundsätzlich gleichrangig.[141]

 

Rz. 126

Für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten haftet der Insolvenzverwalter gegenüber Dritten nach § 60 Abs. 1 InsO, für die schuldhafte Verletzung nichtinsolvenzspezifischer Pflichten dagegen nach allgemeinem Recht. In Betracht kommen hier vor allem

die deliktsrechtlichen Vorschriften der §§ 823 ff. BGB,
Verschulden bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2 BGB),
Verletzung von Verkehrssicherungspflichten,
und positive Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB).[142]
Fehler bei Gefälligkeitshandlungen des Insolvenzverwalters begründen dagegen keine Haftung.[143]
 

Rz. 127

Der Insolvenzverwalter, der den Betrieb des Schuldners fortführt, unterliegt nach § 60 InsO besonderen insolvenzrechtlichen Pflichten bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten im Rahmen der Betriebsfortführung. Er hat die potenziellen Massegläubiger vor Schäden infolge erkennbarer Masseinsuffizienz zu bewahren. Dazu gehört insbesondere die sorgfältige Analyse der Ausgangssituation und der wirtschaftlichen Perspektiven der Betriebsfortführung. Der Insolvenzverwalter hat daher einen Finanzplan zu erstellen, aus dem sich die Entwicklung der Liquidität und Kassenlage ergibt. Außerdem muss er im Rahmen einer Prognose planen, welche weiteren Einnahmen er durch die Ausführung von Aufträgen im Rahmen des Betriebs erzielen kann. Auf Basis dieser Analyse und Bewertung muss eine realistische Chance verbleiben, den Betrieb ohne nachhaltige Schädigung der Masse fortzuführen.[144]

 

Rz. 128

Ist die Fortführung des Betriebs ohne Gefahr der Masseunzulänglichkeit nicht möglich, kann das Ziel einer übertragenden Sanierung und die damit verbundene Planung, dass der Betriebserwerber für die rückständigen Löhne aus der Zeit der Betriebsfortführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einstehen solle, nur dann die Fortführung des Betriebs rechtfertigen, wenn es eine realistische Chance der zeitnahen Betriebsübernahme durch einen Investor gibt. Ein solches Fortführungskonzept kann allenfalls dann als realistisch bewertet werden, wenn es mit den anderen Gläubigern (insbesondere mit den beteiligten Banken) abgestimmt ist, da das Einstehenmüssen für die rückständigen Löhne den Kaufpreis, den der Erwerber zu entrichten bereit ist, negativ beeinflusst. Außerdem müssen sich die Übernahmeverhandlungen bereits so weit verdichtet haben, dass mit ihrem Abschluss innerhalb eines Monats ab der letzten noch erfolgten Lohnzahlung zu rechnen ist.[145]

 

Rz. 129

Wird der Betrieb vom Insolvenzverwalter ohne tragfähiges Konzept fortgeführt und kommt es deshalb vor Fälligkeit der Löhne zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit, sind die betroffenen Arbeitnehmer zumindest in Höhe des durch die Weiterbeschäftigung entgangenen Arbeitslosengeldes geschädigt. Dieser Schaden kann nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung nicht mit dem möglichen Vorteil eines Arbeitnehmers verrechnet werden, der darin gesehen werden könnte, dass wegen des späteren Beginns der Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld I der Bezug von Arbeitslosengeld I auch entsprechend erst später endet.[146]

 

Rz. 130

Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 3 ArbGG auch in den Fällen, in denen ein Insolvenzverwalter für einen von ihm begründeten arbeitsrechtlichen Anspruch gem. § 60 InsO persönlich haftet. Haftet ein Insolvenzverwalter für einen von ihm begründeten arbeitsrechtlichen Anspruch persönlich, kommt ihm nämlich gleichsam die Stellung eines "Ersatzarbeitgebers" zu.[147]

 

Rz. 131

Ein Rechtsstreit, in dem der Arbeitnehmer den Insolvenzverwalter auf Zahlung von Schadensersatz wegen dessen persönlicher Haftung nach § 60 InsO aufgrund pflichtwidriger Fortführung des Betriebs ohne tragfähiges Konzept ver...

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