Rz. 307

§ 113 Abs. 1 InsO verweist nicht mehr – wie dies früher in der KO der Fall war – auf die "gesetzlichen" Kündigungsfristen, sondern trifft eine eigene Regelung, nach der die Kündigungsfrist allgemein auf drei Monate zum Monatsende festgesetzt wird, falls keine kürzere Frist maßgeblich ist.[317] Das gilt nicht nur für verlängerte vertragliche oder gesetzliche Kündigungsfristen, sondern auch für tarifliche Kündigungsfristen.[318] Das gilt auch für erst vom Insolvenzverwalter selbst begründete Arbeitsverhältnisse.[319]

 

Rz. 308

§ 113 Abs. 1 InsO beseitigt auch weitergehende Kündigungseinschränkungen und gilt auch für

ansonsten ordentlich nicht kündbare Arbeitsverhältnisse, z.B. auch bei der Vereinbarung eines befristeten Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen in einem Sanierungstarifvertrag.[320]
ohne Kündigungsoption vereinbarte befristete Arbeitsverhältnisse,[321]
tariflich unkündbare Arbeitsverhältnisse,[322]
Kündigungen, die ansonsten nur unter qualifizierten Voraussetzungen ausgesprochen werden können, beispielsweise nach tariflichvertraglicher Regelung nur gegen Zahlung einer Abfindung.[323]
 

Rz. 309

Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung war nach dem (vorgezogenen) Inkrafttreten der arbeitsrechtlichen Vorschriften der InsO zum 1.10.1996 zunächst heftig umstritten. Instanzgerichte hatten wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verkürzung tariflicher bzw. gesetzlicher Kündigungsfristen dem BVerfG Vorlagebeschlüsse vorgelegt.[324] Das BVerfG hat sie aber als unzulässig verworfen.[325] Das LAG Hamm,[326] das LAG Hamburg,[327] das LAG Baden-Württemberg[328] und das LAG Düsseldorf[329] hielten die Vorschrift allerdings auch in seiner weitreichenden Auslegung für verfassungsgemäß; das BAG[330] hat diese Auffassung dann auch bestätigt.

 

Rz. 310

Nach der Auffassung des ArbG Kiel soll § 113 Abs. 1 InsO aber ausnahmsweise dann keine Anwendung finden, wenn der Arbeitnehmer über zehn Jahre mit Abwicklungsarbeiten im Rahmen der Auflösung des Betriebes beschäftigt wurde.[331]

 

Rz. 311

Auch der Insolvenzverwalter muss die Kündigung bestimmt und unmissverständlich erklären. Der gekündigte Arbeitnehmer muss das vom Arbeitgeber beabsichtigte Ende des Arbeitsverhältnisses erkennen können. Für eine hinreichend bestimmte Erklärung genügt bei einer ordentlichen Kündigung regelmäßig die Angabe des Kündigungstermins oder der Kündigungsfrist. Der Arbeitgeber kann sich auch darauf beschränken, auf die maßgebliche gesetzliche Regelung hinzuweisen, wenn der Arbeitnehmer dadurch unschwer ermitteln kann, zu welchem Termin das Arbeitsverhältnis enden soll. Der Insolvenzverwalter hatte im Streitfall das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich "zum nächstmöglichen Zeitpunkt" gekündigt. Das Kündigungsschreiben führte im Weiteren aus, welche Kündigungsfristen sich aus § 622 BGB ergeben und dass § 113 InsO eine Begrenzung der gesetzlichen, tariflichen oder arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist auf drei Monate bewirke, sofern sich eine längere Frist ergebe. Das BAG sah dies als hinreichend bestimmt an.[332] Eine Kündigung enthält als einseitiges Rechtsgeschäft des verwendenden Arbeitgebers keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Sie ist deshalb keiner Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu unterziehen.

 

Rz. 312

§ 113 InsO ist eine in sich geschlossene Regelung, die dem Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf gewährt, dass der Insolvenzverwalter von der Höchstfrist des § 113 S. 2 InsO im Rahmen einer Billigkeitskontrolle keinen oder nur eingeschränkten Gebrauch macht, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sozialversicherungsrechtliche Nachteile nach sich zieht. Das Gesetz sieht insoweit allein den Schadenersatzanspruch nach § 113 S. 3 InsO vor.[333]

 

Rz. 313

Der Insolvenzverwalter muss den Zeitpunkt zur Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht so wählen, dass mögliche sozialversicherungsrechtliche Nachteile ausgeschlossen sind. Das gilt auch in der Elternzeit, wenn durch die (vorzeitige) Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit, sich weiter beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern (§ 192 SGB V), verloren geht. Dass § 113 InsO für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur einen Schadenersatzanspruch vorsieht, steht im Einklang mit Art. 6 GG.

 

Rz. 314

Aus dem Umstand, dass das Restrukturierungsverfahren nach Chapter 11 US Bankruptcy Code nach § 343 Abs. 1 InsO als Insolvenzverfahren anzuerkennen ist,[334] ist nach der Auffassung des LAG Frankfurt dem Schuldner über §§ 335352 InsO die ­Möglichkeit eröffnet, beim Ausspruch von Kündigungen mit der kürzeren Kündigungsfrist des § 113 InsO, statt mit längeren arbeitsvertraglichen Kündigungsfristen zu ­kün­digen.[335]

 

Rz. 315

Zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach § 113 InsO in einem Chapter-11-Verfahren durch Schuldner als "debtor in possession" hat inzwischen auch das BAG in der Revisionsinstanz entschieden: Der Schuldner in einem eigenverwalteten Reorganisationsverfahren ...

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