Rz. 679

Als "Betrieb" im Sinne der arbeitsrechtlichen Definition bezeichnet man die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen oder immateriellen Mitteln arbeitstechnische Zwecke verfolgt.[650]

 

Rz. 680

Wie Hümmerich zutreffend ausgeführt hat, reicht diese sehr allgemeine Definition nicht für die erschöpfende Beantwortung der sich in der Praxis stellenden Zweifelsfragen aus.[651] Dies zeigt sich bei den – teilweise sehr schwierigen – Abgrenzungen zwischen

Betriebsübergang (§ 613a BGB),
Betriebsänderung (§§ 111 ff. BetrVG),
Betriebsverlagerung und
Betriebsschließung.[652]
 

Rz. 681

Das BAG geht davon aus, dass im Bereich des KSchG der allgemeine kündigungsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich ist.[653] Daher steht auch eine mögliche betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsteile einer betriebsteilübergreifenden Sozialauswahl nicht entgegen.[654]

 

Rz. 682

Betriebsstilllegung und Betriebsveräußerungen schließen sich systematisch aus. Gleiches gilt daher auch für geplante Maßnahmen. An dem erforderlichen endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes steht. Gleiches gilt, wenn für derartige Verhandlungen noch ein Unternehmensberater engagiert wird und potenzielle Investoren noch durch den Betrieb geführt werden.[655]

 

Rz. 683

Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können. Von einer Stilllegung kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt.[656]

 

Rz. 684

Ob es sich im Einzelfall um mehrere selbstständige Betriebe oder nur um unselbstständige Teile eines einheitlichen Betriebs handelt, richtet sich nach der Einheit der auf die Verfolgung der arbeitstechnischen Zwecke gerichteten Organisation. Die Einheit der Organisation ist zu bejahen, wenn ein einheitlicher Leitungsapparat vorhanden ist, der die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Gesamtzweckes eingesetzten Mittel lenkt.[657]

 

Rz. 685

Die den Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden.[658]

 

Rz. 686

Ein wesentliches Abgrenzungsproblem stellt sich auch im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage, ob mehrere Unternehmen einen sog. gemeinsamen Betrieb unterhalten bzw. bei der Beantwortung der Frage der Selbstständigkeit von Betriebsteilen und Nebenbetrieben nach § 4 BetrVG.[659] Anerkanntermaßen kann nämlich ein Unternehmen mehrere selbstständige Betriebe führen. Umgekehrt können mehrere selbstständige Unternehmen einen einheitlichen Betrieb führen.[660]

 

Rz. 687

Ein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB kann auch dann vorliegen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil an einen anderen Standort in das (grenznahe) Nicht-EU-Ausland verlagert wird. Eine erhebliche räumliche Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte kann die Wahrung der Identität zweifelhaft erscheinen lassen. Kann die Wegstrecke zur neuen Betriebsstätte von den Arbeitnehmern in weniger als einer Autostunde bewältigt werden, so handelt es sich nicht um eine erhebliche räumliche Entfernung. Das Arbeitsvertragsstatut eines Arbeitnehmers, in dessen Vertragsverhältnis keine Rechtswahl vereinbart ist, kann sich bei einem Wechsel von Deutschland in das Ausland infolge eines Betriebsübergangs ändern. Eine solche Änderung tritt erst ein, nachdem die Arbeitsverhältnisse übergegangen sind, also nach dem Betriebsübergang in das Ausland. Eine vor einem solchen Betriebsübergang ausgesprochene Kündigung ist nach dem Recht des bisherigen Arbeitsstatuts zu beurteilen.[661]

[651] Hümmerich/Spirolke, § 12 Rn 16.
[652] ErfK/Preis, § 613a BGB Rn 35 ff.
[653] BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, ZIP 2007, 2433; siehe auch ErfK/Eisemann, § 3 BetrVG Rn 12, 76.
[654] BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, AP Nr. 16 zu § ...

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