Coronapandemiebedingte Entgeltfortzahlung: Anspruchskonkurrenz

Zur rechtlichen Einordnung des Verhältnisses zwischen dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EntgeltfortzahlungG und dem Entschädigungsanspruch gemäß § 56 IfSG bestehen unterschiedliche Rechtsauffassungen. In Fällen einer Erkrankung des Arbeitnehmers an Cov-19 bei gleichzeitigem Tätigkeitsverbot konkurrieren die Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mit dem Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG. Eine gesetzliche Regelung zum Konkurrenzverhältnis dieser Ansprüche fehlt.

Divergierende Auffassungen zur Anspruchskonkurrenz

Einige halten wegen des Begriffs „Verdienstausfall“ den Entschädigungsanspruch nach dem IfSG gegenüber der Entgeltfortzahlung für subsidiär, andere argumentieren exakt umgekehrt. Nach der wohl überwiegenden Meinung entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei einem behördlichen Beschäftigungsverbot (Quarantäneanordnung), weil dann das Beschäftigungsverbot und nicht die (vermutete) Erkrankung des Arbeitnehmers für die Arbeitsverhinderung kausal ist. Die Einzelheiten sind aber strittig. Ebenso streitig wird die Frage diskutiert, ob nach der Betriebsrisikolehre eine Betriebsschließung im Risikobereich des Unternehmers liegt und deshalb Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer bestehen bleiben.

Vergütungsanspruch nach § 616 BGB soll Entschädigungsanspruch verdrängen

Einige Verwaltungsgerichte haben sich bereits mit den Anspruchskonkurrenzen zwischen der infektionsrechtlichen Entschädigung und dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung befasst. Das Niedersächsische OVG hat entschieden, dass der Anspruch auf Lohnfortzahlung bei unverschuldeter, vorübergehender Arbeitsverhinderung gemäß § 616 BGB gegenüber dem Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG nicht subsidiär ist, sondern diesem vorgeht. Hiernach hat der Arbeitgeber keinen Erstattungsanspruch nach § 56 IfSG, wenn dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Fortführung der Vergütung nach § 616 BGB zusteht (Niedersächsisches OVG, Beschluss v. 1.7.2021, 13 LA 258/21).

Präzedenzfall Tönnies in NRW

Mit den Voraussetzungen der Entschädigung nach § 56 IfSG hatte sich kürzlich das VG Minden betreffend einen Antrag des Fleischfabrikanten Tönnies auf Erstattung der einem Arbeitnehmer gewährten Lohnfortzahlung für einen Zeitraum, in dem dieser sich in einer behördlich angeordneten Quarantäne befand, ohne selbst an Covid-19 erkrankt gewesen zu sein. In dem fleischverarbeitenden Unternehmen der Klägerin kam es im Jahr 2020 zu einem erheblichen Corona-Ausbruch, so dass der Betrieb vorübergehend komplett geschlossen werden musste.

Quarantäne für Arbeitsverhinderung bei Betriebsschließung nicht kausal

Das VG hat die Klage auf Entschädigung abgewiesen. Nach Auffassung der Kammer lagen die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 56 IfSG nicht vor. Die Vorschrift setze unter anderem voraus, dass ein Arbeitnehmer infolge seiner Absonderung oder Quarantäne an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert sei. Die Absonderung sei bei Anordnung einer kompletten Betriebsschließung für die Arbeitsverhinderung aber nicht kausal, da der betroffene Arbeitnehmer in diesem Fall ohnehin seine Arbeitsleistung nicht hätte erbringen können (VG Minden, Urteil v. 20.9.2022, 16 K 1086/21). Ähnlich urteilte das VG Karlsruhe im Falle der pandemiebedingten Nichtfortführung eines Hotelbetriebs (VG Karlsruhe, Urteil v. 20.6.2022, 14 K 480/21).

Quarantäne ohne Betriebsschließung löst Entschädigungsansprüche aus

Sowohl das VG Münster als auch das VG Minden haben im Falle behördlicher Quarantäneanordnungen ohne gleichzeitige Betriebsschließung mehrfach zu Gunsten des Fleischerarbeiters Tönnies entschieden (VG Münster, Urteil v. 5.5.2022, 5a K 854/21). Allein bei den Verwaltungsgerichten Minden und Münster sind ca. 7.000 Klagen auf Entschädigung nach dem IfSG anhängig.

Noch viele ungeklärte Fragen in Verhältnis Arbeitsrecht/Infektionsschutz

Die Vielzahl der bundesweit anhängigen Klagen und die zum größten Teil noch nicht rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zeigen deutlich, dass im Verhältnis der öffentlichen-rechtlichen, infektionsrechtlichen Entschädigungsansprüche zu den arbeitsrechtlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung noch viele Fragen offen sind und dringend einer höchstrichterlichen Entscheidung oder aber einer Klärung durch den Gesetzgeber bedürfen.