BAG-Urteil zu Equal Pay: Der Paarvergleich

Eine Arbeitnehmerin klagte, da ihr Entgelt geringer ist als das eines vergleichbaren männlichen Kollegen. Dieser "Paarvergleich" genügt für die Vermutung einer Geschlechtsdiskriminierung, stellte das BAG fest. Die Gründe sowie Auswirkungen des Urteils erklärt Rechtsanwalt Hans-Peter Löw.

Männer und Frauen haben bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Anspruch auf gleiches Entgelt. Klagt eine Arbeitnehmerin auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das eines männlichen Kollegen, der die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, regelmäßig die Vermutung, dass diese Benachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt ist. Kann der Arbeitgeber die aus einem solchen Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen, ist er zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, das er dem zum Vergleich herangezogenen Kollegen gezahlt hat. Dies gibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor.

Mit dieser Begründung (laut Pressemitteilung des BAG) hat der 8. Senat durch Urteil vom 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24 – eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 1. Oktober 2024 aufgehoben.

Arbeitnehmerin verlangt Entgeltdifferenz wegen Geschlechtsdiskriminierung

Die Klägerin war im streitigen Zeitraum in hälftiger Teilzeit auf der dritten Führungsebene des Unternehmens tätig. Ihr Entgelt lag sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe als auch unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe der dritten Führungsebene, wobei das weibliche Medianentgelt unterhalb des männlichen lag. Mit ihrer Klage verlangte sie in erster Linie die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten männlichen Vergleichskollegen, hilfsweise die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe.

Das LAG hatte ihr jedoch nur die Differenz zwischen dem weiblichen und dem männlichen Medianentgelt zugesprochen. Angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen bestehe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung und damit kein Indiz iSv. § 22 AGG. Dahinter stand die Überlegung, dass der Grundsatz der Entgeltgleichheit nicht dazu dient, unterdurchschnittliche Gehälter auf das Niveau überdurchschnittlicher Gehälter anzuheben.

BAG verweist an LAG zurück

Dem ist das BAG nicht gefolgt. Entgegen der Annahme des LAG bedürfe es bei einer Entgeltgleichheitsklage keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung. Die Klägerin habe in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten ließen. Es wird jetzt noch durch das LAG zu prüfen sein, ob die Beklagte diese Vermutung widerlegen kann.

Grundsätzlich hält also der 8. Senat den Paarvergleich für ausreichend, nicht nur, um eine geschlechtsbedingte Benachteiligung darzulegen, sondern auch, um die Höhe des Nachteilsausgleichs zu bestimmen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich der Auskunftsanspruch nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG lediglich auf das Vergleichsentgelt des Medians des anderen Geschlechts bezieht. Das lässt zunächst vermuten, dass üblicherweise Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Kenntnis von individuellen Gehältern haben. Es legt auch nahe, dass der Gesetzgeber den Median als Vergleichsmaßstab und damit auch als Messlatte für die Anpassung ansieht. So hatte auch das BAG in einer Entscheidung aus Januar 2021 entschieden, dass eine weibliche Beschäftigte ihrer Darlegungslast im Equal-Pay-Prozess genügt, wenn sie auf ihr gegenüber dem männlichen Medianentgelt niedrigeres Entgelt verweist.

Median hat nur begrenzte Aussagekraft 

Nun ist allerdings der Median ein nur sehr eingeschränkt taugliches Mittel, dessen Aussagekraft vielerorts – auch in Fachkreisen – falsch eingeschätzt wird. So hat etwa im vergangenen Jahr die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage mitgeteilt, 60 Prozent aller erwerbstätigen Frauen bezögen ein Entgelt unterhalb des männlichen Medians. Der Median, eine statistische Größe, ist der mittlere Wert in einer Folge von nach aufsteigender Größe sortierten Werten. Ober- und unterhalb des Median liegt jeweils die Hälfte der Werte. Das heißt, 50 Prozent aller erwerbstätigen Männer haben ebenfalls ein Entgelt unterhalb des Medians. Damit indiziert der Wert von 60 Prozent bei Frauen immer noch einen Anpassungsbedarf, verliert aber deutlich an Schrecken.

Kriterien zur Entgeltfindung müssen transparent sein

Daher legt die Entgelttransparenzrichtlinie, die bis Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss, den Durchschnitt und nicht mehr den Median als Bezugsgröße fest. Durch die Umsetzung der Richtlinie wird ein weiterer, in der Entscheidung nur am Rande anklingender, Aspekt beleuchtet. Das BAG nennt das Entgeltsystem der Beklagten intransparent. Nach der Richtlinie müssen Arbeitgeber über Entgeltstrukturen verfügen, durch die gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit gewährleistet ist. Die Kriterien zur Entgeltfindung müssen objektiv und geschlechtsneutral sein und mindestens Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und umfassen. Arbeitgeber, die über ein solches System verfügen, wären in der Lage, auch unter Zugrundelegung des vom BAG favorisierten "Paarvergleichs" die Unterschiedlichkeit der Gehälter zu rechtfertigen.

Arbeitgeber kann und muss Benachteiligungsvermutung widerlegen

Im konkreten Fall wird es genau darauf ankommen. Beide Parteien werden vor dem LAG Baden-Württemberg Gelegenheit haben, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Revisionsurteils zu ergänzen. Wenn etwa die unterdurchschnittliche Bezahlung der Klägerin im Vergleich zu ihren weiblichen Peers durch entsprechende Beurteilungen belegt werden kann, sollte die Widerlegung der Benachteiligungsvermutung insoweit gelingen. Das gleiche gilt für die überdurchschnittliche Bezahlung der männlichen Vergleichsperson im Verhältnis zu den männlichen Peers. Dann könnte das Ergebnis genauso ausfallen wie in der Ausgangsentscheidung des LAG.

In einigen ersten Kommentaren zu der Entscheidung wurde die Frage aufgeworfen, ob damit die Bestimmung der konkreten Lage im Band durch den Arbeitgeber unzulässig sei, weil damit die vom BAG aufgestellte Vermutungsregelung greife. Das halte ich für zu weitgehend. Natürlich muss es Kriterien für die Entscheidung des Arbeitgebers geben. Diese können aber auch im Verweis auf billiges Ermessen liegen, einem eingespielten Rechtsinstitut, nicht nur im Arbeitsrecht.


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