Rz. 86

Abs. 2 stellt auf die Kenntnis des "Kündigungsberechtigte(n)" ab. Die Frist beginnt daher nicht nur, wenn der Arbeitgeber selbst (bzw. die Mitglieder der Organe bei juristischen Personen) von dem kündigungsrelevanten Sachverhalt Kenntnis nimmt, sondern auch, wenn ein Mitarbeiter hiervon Kenntnis hat, dem der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat.[1]

 

Rz. 87

Die Kenntnis Dritter vom Kündigungssachverhalt findet dagegen nur ausnahmsweise Berücksichtigung. Dem BAG zufolge führt deshalb die Tatsache, dass ein nicht kündigungsberechtigter Mitarbeiter eine arbeitgeberähnliche Funktion im Betrieb wahrnimmt, alleine nicht dazu, dass dem Arbeitgeber dessen Kenntnis zugerechnet wird.[2] Vielmehr muss gerade die betriebliche Struktur Mängel aufweisen, die dazu geführt haben, dass jemand, von dem man es erwartet, den Kündigungssachverhalt nicht an den Kündigungsberechtigten weitergibt. Im Einzelnen hat das BAG 2 Voraussetzungen aufgestellt, die (kumulativ) erfüllt sein müssen:

 

Rz. 88

Es ist zum einen zu erwarten, dass der Mitarbeiter aufgrund seiner Stellung im Betrieb den Kündigungsberechtigten von dem Kündigungssachverhalt unterrichten wird. Hierzu muss er eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben und tatsächlich sowie rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt – der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet – so umfassend zu klären, dass mit seiner Meldung der Kündigungsberechtigte ohne weitere Erhebungen und Ermittlungen seine (Kündigungs-)Entscheidung treffen kann.[3] Dementsprechend muss der Mitarbeiter in einer ähnlich selbstständigen Stellung sein wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Stellvertreter des Arbeitgebers.[4] Dies setzt zumindest voraus, dass dieser Mitarbeiter Vorgesetzter desjenigen ist, dem gekündigt wird. Arbeitnehmer auf gleicher Hierarchieebene (oder sogar "Untergebene") brächte man sonst in schwierige Konfliktsituationen, die Denunziantentum förderten.[5]

 

Beispiel

Der Schulleiter eines nordrhein-westfälischen Gymnasiums erfüllt diese Voraussetzungen dem BAG zufolge regelmäßig nicht.[6] Ihm oblägen nach der Allgemeinen Dienstordnung des Kultusministeriums nur Melde- bzw. Unterrichtungspflichten. Wer aber nur Meldepflichten besäße, sei nicht mit einer ähnlich selbstständigen Funktion ausgestattet wie ein Kündigungsberechtigter.

 

Rz. 89

Hinzu kommen muss, dass die verspätet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs beruht, die den Informationsfluss zwischen der Aufsichtsperson und dem Kündigungsberechtigten erheblich behindert bzw. verhindert, obwohl eine andere betriebliche Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre.[7] Der Gekündigte muss substanziiert darlegen, wie der Arbeitgeber in zumutbarer Weise seine Betriebsabläufe so hätte organisieren sollen, dass eine Verzögerung nicht eingetreten wäre.[8]

[2] Der 2. Senat des BAG hat in seinem Urteil v. 5.5.2022, 2 AZR 483/21, AP Nr. 282 zu § 626 BGB, Rz. 15, darauf hingewiesen, dass es sich hier nicht um eine Wissenszurechnung analog § 166 BGB handele, sondern um die Rechtsfolge, dass sich der Arbeitgeber unter den Voraussetzungen einer nach Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung nicht darauf berufen kann, eine für ihn kündigungsberechtigte Person habe erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis gehabt.

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