Rz. 18

Bei Arbeitnehmern, die einzel- oder tarifvertraglich ordentlich unkündbar sind (vgl. z. B. § 34 Abs. 2 TVöD[1]), kann dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen aufgrund dessen langer Dauer unzumutbar sein, sodass eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässig ist (sog. Orlando-Kündigung); sie kann weder arbeits- noch tarifvertraglich ausgeschlossen werden (hierzu Rz. 97 ff.). Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, hat der Arbeitgeber allerdings eine (soziale) Auslauffrist zu gewähren, wenn einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne gesteigerten Kündigungsschutz bei gleicher Sachlage nur fristgerecht gekündigt werden könnte. Das Arbeitsverhältnis endet nicht mit Zugang der Kündigung, sondern mit dem Kündigungstermin, der bestünde, wenn es sich um eine ordentliche Kündigung handelte.[2]

 

Rz. 19

Dementsprechend gelten insoweit auch die Vorschriften der ordentlichen Kündigung über die Sozialauswahl sowie die Betriebsrats- oder Personalratsbeteiligung, sofern diese für den Arbeitnehmer günstiger sind; dies ist i. d. R. der Fall (vgl. § 102 BetrVG).[3] Besonderheiten ergeben sich für die Ausschlussfrist des Abs. 2 (hierzu Rz. 72 ff. und insbesondere Rz. 80).

 
Hinweis

Das Fehlen jeglicher anderer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gehört bei einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung schon zum wichtigen Grund i. S. d. Abs. 1. Im Kündigungsschutzprozess hat der Arbeitgeber daher von sich aus – und nicht erst auf entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers hin – darzustellen, dass überhaupt keine Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – und sei es zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen.[4]

 

Rz. 20

Diese ursprünglich für betriebsbedingte außerordentliche Kündigungen (z. B. Betriebsstilllegungen) entwickelten Grundsätze sollen auch auf andere Kündigungsgründe übertragbar sein.[5]

Ob sich dabei der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung und die hierdurch i. d. R. bedingte langfristige Vertragsbindung zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken, sei im Einzelfall unter Beachtung des Zwecks des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung sowie unter Berücksichtigung der Art des Kündigungsgrunds zu entscheiden. Bei einmaligen Vorfällen ohne Wiederholungsgefahr wirke sich die längere Vertragsbindung zugunsten des Arbeitnehmers aus. Bei Dauertatbeständen oder Vorfällen mit Wiederholungsgefahr könne die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung dagegen unter Umständen eher unzumutbar sein als bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer.[6]

[1] Tarifliche Unkündbarkeitsregeln, die auch an ein bestimmtes Lebensalter anknüpfen, stellen zwar eine unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters dar i. S. d. §§ 7 Abs. 1 und 2, 2, 1 AGG. Diese ist aber nach § 10 AGG gerechtfertigt. Dabei ist die tarifliche Unkündbarkeitsregelung allerdings so auszulegen, dass grobe Auswahlfehler vermieden werden (BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208 Rz. 41 ff.).
[4] BAG, Urteil v. 30.9.2004, 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43, 50; BAG, Urteil v. 26.3.2015, 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866, 870; HaKo-KSchG/Zimmermann, 7. Aufl. 2021, § 1 KSchG, Rz. 756.
[5] Vgl. zu einer verhaltensbedingten Kündigung: BAG, Urteil v. 13.5.2015, 2 AZR 531/14, NJOZ 2015, 1783; zur krankheitsbedingten Kündigung wegen lang andauernder Krankheit: BAG, Urteil v. 21.3.1996, 2 AZR 455/95, NZA 1996, 871 f., zur krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen: BAG, Urteil v. 23.1.2014, 2 AZR 582/13, NZA 2014, 962, 963 f.
[6] BAG, Urteil v. 21.6.2001, 2 AZR 30/00, NJOZ 2002, 508, 516, NZA 2002, 232 (LS).

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