Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahme eines Arbeitsverhältnisses bei fehlender Bezeichnung anhand tatsächlicher Durchführung. Bewertung als Arbeitsverhältnis als Folge der Bezeichnung des Vertrags. Keine Dispositionsbefugnis der Vertragsparteien für Eröffnung des Rechtswegs zum Arbeitsgericht. Bezeichnung und Durchführung eines Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Annahme eines Arbeitsverhältnisses steht es nicht entgegen, wenn der Vertrag der Parteien nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet ist. In diesem Fall kommt es auf die tatsächliche Vertragsdurchführung und nicht auf die Bezeichnung im Vertrag an. Durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts nicht eingeschränkt werden.

2. Anders ist dies jedoch im umgekehrten Fall, in dem die Vertragsparteien einen als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrag abschließen und für ein Arbeitsverhältnis typische Rechte und Pflichten im Vertrag regeln. Haben die Parteien ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es auch regelmäßig als solches einzuordnen. Die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses ist nur maßgebend, wenn die Parteien ein Vertragsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet haben, tatsächlich jedoch ein solche gelebt wurde. Wollen die Parteien eines Arbeitsverhältnisses ihre Rechtsbeziehungen künftig als freies Dienstverhältnis fortsetzen, müssen sie das hinreichend klar unter Beachtung von § 623 BGB vereinbaren.

3. Hieran hat sich durch die Kodifizierung des Arbeitsvertrags in § 611a BGB nichts geändert. § 611a Abs. 1 S. 6 BGB regelt nur, dass die abweichende Bezeichnung des Vertrags dann nicht maßgeblich ist, wenn die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses ergibt, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt. Den umgekehrten Fall, dass der Vertrag als Arbeitsvertrag bezeichnet ist und in diesem ein Arbeitsverhältnis vertraglich geregelt ist, betrifft § 611a Abs. 1 S. 6 BGB nicht.

4. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist in einem solchen Fall eröffnet.

 

Normenkette

GVG § 17a; BGB § 611a; ArbGG § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1; BGB § 623; GewO § 106; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 02.07.2021; Aktenzeichen 7 Ca 1576/21)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juli 2021 – Aktenzeichen 7 Ca 1576/21 – abgeändert, soweit über die Zulässigkeit des Rechtswegs betreffend der Beklagten zu 1. entschieden worden ist.

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist, soweit die Klage sich gegen die Beklagte zu 1. richtet, das heißt hinsichtlich der Klageanträge zu 1., 2., 3., 5., 6., 7. und 8., zulässig.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahrens haben der Kläger zu 53 % und die Beklagte zu 1. zu 47 % tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. im Beschwerdeverfahren hat die Beklagte zu 1. zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. im Beschwerdeverfahren hat der Kläger zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger und die Beklagte zu 1. streiten über den Fortbestand des Vertragsverhältnisses zwischen ihnen sowie über Ansprüche auf Zahlung von Vergütung, Abrechnungsansprüche sowie im Rahmen von Hilfsanträgen über Urlaubsgewährung und weitere Vergütung. Darüber hinaus streiten der Kläger und die Beklagte zu 2. über Provisionsansprüche.

Der Kläger ist seit dem 1. August 2020 für die Beklagte als Managing Director tätig. Grundlage dieser Tätigkeit ist der Vertrag der Parteien vom 30. Juli 2020 / 9. August 2020 in englischer Sprache. Dieser Vertrag ist als „EMPLOYMENT CONTRACT“ überschrieben. Der Vertrag der Parteien enthält in § 1 Regelungen dazu, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis der Parteien um ein Vollzeitarbeitsvertrag mit einem Festgehalt handelt. In § 3 des Vertrags ist die Anwendung von Tarifverträgen vereinbart. § 4 des Vertrags enthält Regelungen zu einer Probezeit und § 5 des Vertrags Regelungen zum Arbeitsort des Klägers und zur Konkretisierung der Tätigkeit des Klägers. § 7 des Vertrags regelt die Arbeitszeit des Klägers. Demnach schuldet er eine Tätigkeit im Umfang von 40 Stunden wöchentlich. Hinsichtlich der täglichen Arbeitszeit enthält der Vertrag eine Regelung, dass die Arbeit montags von 08:00 Uhr bis 17:00 Uhr zu erbringen ist. In den §§ 12 und 23 sind Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und zum Umfang und der Gewährung von Urlaub enthalten. In § 6 des Vertrags wird der Beklagten zu 1. das Recht eingeräumt dem Kläger andere Aufgaben zuzuweisen sowie seinen Arbeitsort und seine Arbeitszeit zu ändern und näher zu bestimmen. Der Kläger wird in dem Vertrag der Parteien als „employee“ (zu Deutsch Arbeitnehmer / Mitarbeiter) und die Beklagte zu 1. als „employer“ (zu Deutsch Arbeitgeber) bezeichnet. Das Vertragsverhältnis der Parteien selbst wird in dem Vertrag als „employment...

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