Orientierungssatz

Versicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern:

Ob die Geschäftsführer einer GmbH deren Gesellschaftern gegenüber persönlich abhängig sind, ist nicht allein danach zu beurteilen, inwieweit sie an Entscheidungen der Gesellschafter gebunden sind, die den Inhalt ihrer Geschäftsführertätigkeit betreffen. Wesentlicher ist - auch für die Frage nach dem "Gesamtbild" der Geschäftsführertätigkeit -, ob der äußere Rahmen dieser Tätigkeit, insbesondere was Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsleistung betrifft, durch einseitige Weisungen der Gesellschafter geregelt wird oder geregelt werden kann (vergleiche BSG vom 1960-12-13 3 RK 2/56 = BSGE 13, 196, 201). Insofern kommt es wiederum nicht so sehr auf den Wortlaut der einschlägigen Regelungen im Gesellschafts- und/oder im Anstellungsvertrag an, sondern vor allem auf die praktische Durchführung dieser Regelungen im Leben der Gesellschaft.

Im übrigen ist die Frage der Weisungsgebundenheit und damit der Versicherungspflicht von Geschäftsführern einer GmbH unterschiedlich zu beantworten, je nachdem, ob diese zugleich Gesellschafter der GmbH sind (Gesellschafter-Geschäftsführer) oder als Fremd-Geschäftsführer von außen kommen.

 

Normenkette

GmbHG § 35; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AFG § 168 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 20.06.1979; Aktenzeichen L 8 Kr 635/77)

SG Wiesbaden (Entscheidung vom 15.03.1977; Aktenzeichen S 4 Kr 28/75)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladenen H. und M. sowie der inzwischen verstorbene frühere Beigeladene T., die während der streitigen Zeit Gesellschafter und zugleich Geschäftsführer der Klägerin waren, dabei der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlagen und ob für sie und den Beigeladenen N. als weiteren Geschäftsführer der Klägerin Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) zu entrichten waren.

Die Klägerin ist mit Wirkung vom 1. Januar 1972 von einer Kommanditgesellschaft (KG) in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umgewandelt worden. Der Beigeladene M. und der frühere Beigeladene T. sowie die R. M. K. und N., deren Komplementär der Beigeladene N. ist, hielten jeweils 30 vH, der Beigeladene H. hielt 10 vH des Stammkapitals der Klägerin. Die genannten Beigeladenen sowie T. wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1972 zu Geschäftsführern der Klägerin bestellt. Diese schloß mit ihnen gleichlautende Anstellungsverträge ab. Danach war jeder Geschäftsführer zur alleinigen Vertretung der Klägerin befugt; die Tätigkeit jedes Geschäftsführers umfaßte die gesamte kaufmännische und technische Leitung der Firma in Zusammenarbeit mit den übrigen Geschäftsführern, wobei die Geschäftsführer die Verteilung ihrer Aufgaben einvernehmlich regeln sollten. Bestimmte Geschäfte (Grundstücksgeschäfte aller Art, Investitionen über 50.000,-- DM, Wechselgeschäfte über 10.000,-- DM, Bestellung von Prokuristen, Vergabe von Vertretungen und Aufnahme neuer Produktionen) sollten der Zustimmung aller Gesellschafter bedürfen. Die Geschäftsführer sollten ihre Arbeitszeit nach eigenem Ermessen bestimmen, aber ihre ganze Arbeitskraft ausschließlich in den Dienst der Klägerin stellen. Die Verträge waren auf sechs Jahre fest abgeschlossen; sie sollten sich um weitere fünf Jahre verlängern, wenn sie nicht vor Fristablauf gekündigt wurden; die Kündigungsfrist betrug für die Klägerin 12 Monate und für die Geschäftsführer jeweils sechs Monate. Den Geschäftsführern war ein monatliches Gehalt von 12.500,-- DM, ein 13. Monatsgehalt als Weihnachtsgratifikation und eine Tantieme zugesagt, deren Höhe vom jeweiligen Geschäftserfolg abhängen sollte. Festbezüge und Erfolgstantieme sollten auch im Krankheitsfalle und im Todesfalle an die Erben für 12 Monate fortgezahlt werden. Den Geschäftsführern stand jährlich ein sechswöchiger Urlaub und ein Urlaubsgeld von 100,-- DM täglich zu. Die Klägerin hatte sich weiter verpflichtet, 50 vH der jeweils höchsten Stufe der Angestelltenversicherungsbeiträge zu "übernehmen" und diese Beträge direkt an die Beigeladene zu 1) abzuführen. Tatsächlich ist dieser Betrag den Geschäftsführern ausgezahlt worden. Schließlich sicherte die Klägerin den Geschäftsführern eine betriebliche Altersversorgung zu.

Mit Bescheid vom 28. Mai 1975 forderte die Beklagte von der Klägerin ab 1. Dezember 1972 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Beigeladenen H. und M. sowie für T.; der Beigeladene N. hatte sich von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Eine Erstattung der bis Februar 1975 für alle Genannten entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung lehnte sie ab und forderte zugleich deren Weiterzahlung.

Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 23. September 1975; Urteil des Sozialgerichts -SG Wiesbaden vom 15. März 1977 und Urteil des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 20. Juni 1979). Das Berufungsgericht hielt H., M., T. und N. als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin für versicherungs- bzw beitragspflichtige leitende Angestellte. Keiner von ihnen könne aufgrund seines Kapitalanteils einen bestimmenden Einfluß auf die Gesellschaft ausüben. Mit dem Anstellungsvertrag sei auch ein Verhältnis persönlicher Abhängigkeit begründet worden, weil die Klägerin verpflichtet sei, ihren Geschäftsführern ein festes Gehalt, Weihnachts- und Urlaubsgeld zu zahlen und im Krankheitsfall sowie zur Alterssicherung die für Arbeitnehmer üblichen Leistungen zu gewähren. Die Geschäftsführer seien auch den Weisungen der Klägerin unterworfen, da alle wichtigen Geschäfte der Zustimmung durch die anderen Gesellschafter bedürften. Die Abhängigkeit der Geschäftsführer äußere sich ferner darin, daß sie ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der Klägerin zu stellen hätten und der Lohnsteuerpflicht unterlägen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom erkennenden Senat zugelassene - Revision der Klägerin. Sie hält die vom LSG vertretene Rechtsansicht für unzutreffend. Ihre Gesellschafter-Geschäftsführer seien als Selbständige tätig, weil jeder von ihnen seine Arbeitszeit frei gestalten könne. Für ihre Selbständigkeit spreche weiter, daß jeder Geschäftsführer allein vertretungsberechtigt und gegenüber den Arbeitnehmern der Klägerin weisungsbefugt sei. Aus dem Umfang ihrer Beteiligung am Stammkapital der Klägerin ergebe sich ein erhebliches eigenes Unternehmerrisiko der Gesellschafter-Geschäftsführer. Demgegenüber könne aus der Art der ihnen gewährten Vergütungen weder auf eine abhängige, noch auf eine selbständige Tätigkeit geschlossen werden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Juni 1979, das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. März 1977 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 1975 aufzuheben; ferner die Beklagte zur Erstattung von DM 7.870,40 gezahlter Arbeitslosenversicherungsbeiträge an die Klägerin zu verurteilen.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beigeladene zu 1) ist darüber hinaus der Ansicht, aus einer gesellschaftsrechtlichen Organstellung könne nicht auf eine fehlende Arbeitnehmereigenschaft im Sozialversicherungsrecht geschlossen werden. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis von Gesellschaftsorganen sei nur dann nicht anzunehmen, wenn das Organ auch die gesellschaftliche Willensbildung maßgeblich beeinflussen könne.

Die übrigen Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der klagenden GmbH ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG ist nach den bisher getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend zu entscheiden, ob die Beigeladenen H., M. und N. sowie der inzwischen verstorbene frühere Beigeladene T. während der streitigen Zeit (1. Dezember 1972 bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 20. Juni 1979) als Geschäftsführer der GmbH deren Arbeitnehmer (Angestellte) waren und deshalb - außer dem Beigeladenen N., der von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit ist - rentenversicherungspflichtig und beitragspflichtig zur BA waren (§ 2 Abs 1 Nr 1 iVm § 3 AVG; § 168 Abs 1 Satz 1 AFG).

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Arbeitnehmer (Angestellter) iS des Sozialversicherungsrechts ist, wer in einem Beschäftigungsverhältnis (Arbeitsverhältnis) steht, dh abhängige (nichtselbstständige) Arbeit leistet (vgl § 7 Abs 1 SGB 4). Dies gilt auch für Personen, die - wie die Geschäftsführer einer GmbH - gesetzliche Vertreter einer juristischen Person sind (§ 35 Abs 1 GmbH-Gesetz). Die Regelung in § 5 Abs 1 Satz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes, wonach ua die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person nicht als deren Arbeitnehmer gelten, beschränkt sich auf den Anwendungsbereich des Arbeitsgerichtsgesetzes; sie hat keine Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht. Das folgt insbesondere aus § 3 Abs 1a AVG, der aus den versicherungspflichtigen Angestellten iS des § 3 Abs 1 und damit aus den dort ausdrücklich genannten "Angestellten in leitender Stellung" (Nr 1) nur die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft ausnimmt. Geschäftsführer einer GmbH können mithin zu den leitenden Angestellten gehören.

Dem steht nicht entgegen, daß sie im Verhältnis zu den sonstigen Arbeitnehmern der GmbH Funktionen eines Arbeitgebers wahrnehmen. Auch wer selbst Arbeitgeberfunktionen ausübt, kann seinerseits - als leitender Angestellter - bei einem Dritten persönlich abhängig beschäftigt sein (BSGE 13, 196, 198). Ist dieser Dritte eine juristische Person, so muß die persönliche Abhängigkeit gegenüber dem willensbildenden Organ der juristischen Person bestehen, bei einer GmbH also gegenüber deren Gesellschaftern als dem "obersten Willensorgan" der GmbH (vgl Fischer, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 9. Aufl, § 45 Anm 2).

Ob nun die Geschäftsführer einer GmbH deren Gesellschaftern gegenüber persönlich abhängig sind, ist nicht allein danach zu beurteilen, inwieweit sie an Entscheidungen der Gesellschafter gebunden sind, die den Inhalt ihrer Geschäftsführertätigkeit betreffen; solchen Bindungen unterliegt uU auch ein selbständiger Beauftragter (Dienstpflichtiger), der Geschäfte für einen anderen zu besorgen hat (vgl §§ 665, 675 iVm § 611 BGB und BSGE 51, 164, 166 für einen selbständigen Handelsvertreter). Wesentlicher ist - auch für die Frage nach dem "Gesamtbild" der Geschäftsführertätigkeit -, ob der äußere Rahmen dieser Tätigkeit, insbesondere was Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsleistung betrifft, durch einseitige Weisungen der Gesellschafter geregelt wird oder geregelt werden kann (BSGE 13, 201 f unter Hinweis auf § 84 Abs 1 Satz 2 HGB und BGHZ 10, 190). Insofern kommt es wiederum nicht so sehr auf den Wortlaut der einschlägigen Regelungen im Gesellschafts- und/oder im Anstellungsvertrag an, sondern vor allem auf die praktische Durchführung dieser Regelungen im Leben der Gesellschaft.

Im übrigen ist die Frage der Weisungsgebundenheit und damit der Versicherungspflicht von Geschäftsführern einer GmbH unterschiedlich zu beantworten, je nachdem, ob diese zugleich Gesellschafter der GmbH sind (Gesellschafter/Geschäftsführer) oder als Fremd-Geschäftsführer von außen kommen. Im letzteren Fall wird in der Regel ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegen (vgl SozR AVG § 3 Nr 22, aber auch Hachenburg, Großkommentar zum GmbH-Gesetz, 7. Aufl, § 35 RdNr 75). Bei Gesellschafter-Geschäftsführern kommt es dagegen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für ihre Versicherungspflicht entscheidend darauf an, ob sie aufgrund ihrer Beteiligung am Stammkapital der GmbH einen maßgebenden Einfluß auf deren Willensbildung ausüben (SozR RVO § 165 Nr 68 und BSGE 38, 53, 57 unten). Trifft dies zu, so kann von einer Weisungsgebundenheit und damit einer persönlichen Abhängigkeit der Geschäftsführer keine Rede sein; eine versicherungspflichtige Beschäftigung scheidet hier von vornherein aus. Aber auch dort, wo die Kapitalbeteiligung an der GmbH für deren Beherrschung nicht ausreicht, wie insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die jeweiligen Kapitalanteile der Gesellschafter-Geschäftsführer unter 50 % liegen und die einfache Mehrheit der Stimmen für eine Beschlußfassung der Gesellschafter genügt, die Geschäftsführer auch bei der Vornahme bestimmter Geschäfte der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen, ist gleichwohl eine versicherungspflichtige Beschäftigung der Geschäftsführer zu verneinen, wenn sie nach der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen zur GmbH und der tatsächlichen Durchführung des Vertrages hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort ihrer Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei sind. In diesen Fällen wird auch die Kapitalbeteiligung der Gesellschafter-Geschäftsführer häufig so hoch sein, daß sie ein nicht unerhebliches Unternehmerrisiko tragen, so daß sie ihre Geschäftsführertätigkeit, wirtschaftlich gesehen, nicht für ein ihnen fremdes Unternehmen, sondern im eigenen Unternehmen ausüben (vgl dazu die beiden zuletzt genannten Entscheidungen des BSG und BSGE 51, 164, 170 f).

Ein Fall dieser Art könnte auch hier vorliegen, sofern die Bestimmung in den Anstellungsverträgen der Beigeladenen, daß sie als Geschäftsführer ihre Arbeitszeit "nach eigenem Ermessen" regeln, entsprechend dem Wortlaut praktiziert worden ist und sie ihre Tätigkeit auch im übrigen weitgehend frei haben gestalten können. Da insofern noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, die der Senat selbst nicht nachholen kann, hat er den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Dieses wird bei seiner neuen Entscheidung auch berücksichtigen können, daß die Beigeladenen H., M., N. und der Verstorbene T. während der streitigen Zeit die alleinigen Geschäftsführer und (bei dem Beigeladenen N. über eine anscheinend von ihm beherrschte Kommanditgesellschaft) zugleich die alleinigen Gesellschafter der Klägerin waren, so daß ihnen in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer dieselben Personen als Gesellschafter gegenüberstanden, daher ein - für ein Arbeitnehmer-Arbeitgeberverhältnis typischer - Interessengegensatz kaum denkbar war. Eine solche Identität von Gesellschaftern und Geschäftsführern legt im übrigen den Schluß nahe, daß die Geschäftsführer im "eigenen" Unternehmen tätig sind. Demgegenüber verlieren die vom LSG hier für eine Arbeitnehmereigenschaft der Geschäftsführer angeführten Umstände (Festgehalt, Weihnachtsgratifikation, Urlaubsregelung mit Urlaubsgeld, Fortzahlung des Gehalts im Krankheitsfall) an Bedeutung.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitentscheiden.

 

Fundstellen

RegNr, 11572

KVRS, A-1570/5

USK, 82160 (ST1)

DBlR 2812, AFG/§ 168 (ST1)

Die Beiträge 1986, 215-217 (OT1)

SozSich 1983, RsprNr 3750 (ST1)

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