Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rentenversicherung. Angestellte. Beschäftigung. Ehegatte. Beschäftigungsverhältnis. Arbeitsvertrag. Arzthelferin. Gesamtwürdigung. Betrieb. Eingliederung. Weisungsrecht. familienhaft. Mithilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses von der familienhaften Mithilfe bei der Tätigkeit einer Ehefrau für die Arztpraxis ihres Ehemannes.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 (Fassung bis 31. 12. 1970), Abs. 2 S. 1 (Fassung bis 31. 12. 1970), § 175 (Fassung bis 31. 12. 1970); AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1; SGB IV § 7 Abs. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1, § 125 Nr. 2, § 133; BGB § 117 (Fassung bis 30. 6. 1977), § 1356 Abs. 2 (Fassung bis 30. 6. 1977), § 1360 S. 2; SGG § 128

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 17.11.1992; Aktenzeichen L 1 Kr 28/92)

SG Lübeck (Urteil vom 12.09.1989; Aktenzeichen S 7 Kr 56/88)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. November 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin bei ihrem Ehemann versicherungspflichtig beschäftigt ist.

Die 1953 geborene, früher als Finanzbeamtin des gehobenen Dienstes tätige Klägerin beantragte am 12. April 1988 bei der beklagten Ersatzkasse, sie als Mitglied aufzunehmen. Hierzu gab sie an, sie sei seit dem 1. April 1988 mit einem Bruttoarbeitsverdienst von monatlich 516 DM und einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden als Aushilfskraft im Angestelltenverhältnis bei ihrem Ehemann beschäftigt, der seit Januar 1988 als niedergelassener Frauenarzt tätig ist. Nachdem die Beklagte zunächst die Mitgliedschaft der Klägerin bestätigt und den Ehemann zu Beitragszahlungen aufgefordert hatte, bat sie im Juni 1988 darum, zur Prüfung des Versicherungsverhältnisses Fragen zu beantworten. Nach Erhalt des ausgefüllten Fragebogens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 1988 gegenüber der Klägerin fest, sie sei bei ihrem Ehemann nicht kranken- und rentenversicherungspflichtig beschäftigt; ihre Tätigkeit gehe über den Rahmen einer familienhaften Mitarbeit nicht hinaus. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. August 1988).

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung des Ehemannes (Beigeladener zu 1) und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (≪BfA≫ Beigeladene zu 2) den Bescheid vom 16. Juni 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 1988 mit Urteil vom 12. September 1989 aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin seit dem 1. April 1988 bei ihrem Ehemann in einem kranken- und rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht. Das Landessozialgericht (LSG) hat zum Inhalt und Umfang der Arbeiten, die die Klägerin für die Arztpraxis verrichtet, den Ehemann und die bei ihm beschäftigten Arzthelferinnen befragt sowie die Klägerin angehört. Es hat sodann durch Urteil vom 17. November 1992 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung, wie sie von der Rechtsprechung entwickelt worden seien, wobei allerdings nicht gefordert werden dürfe, daß die Klägerin auf die Verwertung ihrer Arbeitskraft angewiesen sei.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 165 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), des § 5 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), des § 2 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und des § 1 Satz 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), des § 7 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) sowie des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 17. November 1992 und das Urteil des SG vom 12. September 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Der beigeladene Ehemann der Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die beigeladene BfA schließt sich dem Antrag der Beklagten an und rügt ebenfalls die Verletzung der von der Beklagten genannten Vorschriften sowie darüber hinaus eine Verletzung des § 103 SGG.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin bei ihrem Ehemann versicherungspflichtig beschäftigt ist.

Die Versicherungspflicht der Klägerin beruht in der Krankenversicherung für die Zeit vom 1. April 1988 bis zum 31. Dezember 1988 auf § 165 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 Satz 1 RVO und für die Zeit danach auf § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, in der Rentenversicherung für die Zeit vom 1. April 1988 bis zum 31. Dezember 1991 auf § 2 Abs 1 Nr 1 AVG und für die Zeit danach auf § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Gemeinsame Voraussetzung für die Versicherungspflicht ist, daß der Betreffende gegen Entgelt beschäftigt wird. Beschäftigung in beiden Versicherungszweigen ist nach § 7 Abs 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Eine versicherungspflichtige Beschäftigung in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung wird grundsätzlich nicht dadurch ausgeschlossen, daß jemand für seinen Ehegatten tätig ist. Allerdings hatte das Reichsversicherungsamt (RVA) zu Beginn dieses Jahrhunderts angenommen, die Lebensgemeinschaft der Ehe schließe ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis aus (vgl RVA, Anleitung in AN 1900, 277, 287 Nr 18b; Entscheidung in AN 1905, 406 Nr 2095). Diese Auffassung ist inzwischen überholt. Es hat sich statt dessen die Überzeugung durchgesetzt, daß ernsthaft zwischen Ehegatten abgeschlossene Arbeitsverträge wirksam sind. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Steuerrecht entschieden, daß sachgerechte Gründe, welche die Nichtanerkennung nachweislich abgeschlossener, ernst gemeinter und vereinbarungsgemäß vollzogener Arbeitsverträge unter Ehegatten rechtfertigen würden, aus dem Wesen der Ehe nicht hergeleitet werden können (BVerfGE 9, 237, 244; 13, 290, 301 ff; 13, 318, 326 ff; 29, 104, 113). Nach dieser Rechtsprechung dürfen Arbeitsverhältnisse zwischen Eheleuten wegen Besonderheiten, die nicht auf wirtschaftlichem Gebiet liegen, steuerrechtlich nicht ungünstiger als vergleichbare Arbeitsverhältnisse sonstiger Personen behandelt werden. An den Nachweis echter Arbeitsverträge zwischen Ehegatten dürfen zwar besondere Anforderungen gestellt werden (BVerfGE 9, 237, 245 ff); dadurch darf aber die steuerliche Berücksichtigung solcher Verträge nicht so eingeschränkt werden, daß sie “kaum jemals” praktisch werden kann (BVerfGE 13, 318, 328). Dementsprechend sind auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Arbeitsverhältnisse zwischen Eheleuten steuerlich anzuerkennen, wenn sie ernsthaft, klar und eindeutig vereinbart sind und der Vereinbarung entsprechend tatsächlich vollzogen werden; Vertragsgestaltung und -durchführung sind darauf zu prüfen, ob sie auch zwischen Fremden üblich sind (BFHE 128, 207; 134, 293). Diese Grundsätze gelten auch für Beschäftigungsverhältnisse.

In der Rentenversicherung war bis zum 31. Dezember 1966 versicherungsfrei, wer bei seinem Ehegatten in Beschäftigung stand (§ 1228 Abs 1 Nr 1 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 ≪BGBl I S 45≫, § 4 Abs 1 Nr 2 AVG idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 ≪BGBl I S 88≫); ein Recht zur freiwilligen Versicherung bestand nicht. Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 26. November 1964 (BVerfGE 18, 257) die Vorschrift des § 4 Abs 1 Nr 2 AVG für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch Art 1 des Zweiten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (2. RVÄndG) vom 23. Dezember 1966 (BGBl I S 745) mit Wirkung vom 1. Januar 1967 ua § 1228 Abs 1 Nr 1 RVO und § 4 Abs 1 Nr 2 AVG gestrichen und dies damit begründet, dem Sinn des Beschlusses des BVerfG könne nur dadurch Rechnung getragen werden, daß Personen, die bei ihrem Ehegatten beschäftigt sind, versicherungspflichtig werden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs, Besonderer Teil, zu Art 1, BR-Drucks 183/66 S 4). In der Krankenversicherung begründete nach dem bis zum 31. Dezember 1970 geltenden Recht die Beschäftigung eines Ehegatten durch den anderen keine Versicherungspflicht; der beschäftigte Ehegatte war aber als Familienangehöriger des Arbeitgebers zur freiwilligen Versicherung berechtigt (§ 175 RVO idF der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts der Sozialversicherung vom 17. März 1945 ≪RGBl I S 41≫, § 176 Abs 1 Nr 2 RVO vom 19. Juli 1911 ≪RGBl I S 509≫). Das BVerfG hat in dem genannten Beschluß vom 26. November 1964 (aaO) die in § 175 RVO getroffene krankenversicherungsrechtliche Regelung mit Rücksicht auf das Recht zur freiwilligen Versicherung für verfassungsmäßig erklärt. Gleichwohl ist die Vorschrift durch Art 1 Nr 3 des Zweiten Krankenversicherungs-Änderungsgesetzes (2. KrVÄndG) vom 21. Dezember 1970 (BGBl I S 1770) mit Wirkung vom 1. Januar 1971 gestrichen worden. Zur Begründung hieß es: § 175 RVO stamme aus einer Zeit, als man davon ausgegangen sei, daß die Rechtsstellung von Eheleuten fast ausschließlich durch die familienrechtlichen Bindungen bestimmt werde, was nicht mehr den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen entspreche. Im Steuerrecht und im Arbeitsrecht seien schon vor Jahren die rechtlichen Konsequenzen daraus gezogen und es sei anerkannt worden, daß auch für die Rechtsbeziehungen zwischen Eheleuten weitgehend die allgemeine Rechtsordnung gelte, insbesondere, daß Arbeitsverhältnisse bestehen können, denen die Gesetze Rechnung tragen müßten (Begründung zu Art 1 Nr 2a des Entwurfs eines 2. KrVÄndG, BR-Drucks 276/70 S 4). Inzwischen ist in der Krankenversicherung hinzugekommen, daß ein Recht zur freiwilligen Versicherung der Familienangehörigen (§ 176 Abs 1 Nr 2 RVO), von dem das BVerfG in der erwähnten Entscheidung zu § 175 RVO ausgegangen war, seit dem 1. Januar 1989 nicht mehr besteht (vgl § 9 SGB V im Vergleich zu § 176 Abs 1 Nr 2 RVO).

Die Anerkennung wirksamer Arbeitsverhältnisse wie auch versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zwischen Ehegatten ist auch durch die Rechtsänderungen im Eherecht, insbesondere durch die Eherechtsreform des Jahres 1977, gefördert worden. So war bis zum 30. Juni 1977 nach § 1356 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der damals geltenden Fassung (aF) jeder Ehegatte verpflichtet, im Beruf oder Geschäft des anderen Ehegatten mitzuarbeiten, soweit dies nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten lebten, üblich war. Diese Regelung ist durch Art 1 Nr 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1421) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 entfallen (vgl demgegenüber zur Dienstleistungspflicht von Kindern im Geschäft ihrer Eltern § 1619 BGB). Seither sind nach der ausdrücklichen Regelung in § 1356 Abs 2 Satz 1 BGB beide Ehegatten berechtigt, erwerbstätig zu sein; bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen (Satz 2). Schließlich hat der Ehegatte, dem die Haushaltsführung überlassen ist, auch wegen § 1360 Satz 2 BGB nicht mehr die familienrechtliche Pflicht, durch Mitarbeit an der Erwerbstätigkeit seines Ehegatten mitzuwirken. Denn nach dieser Vorschrift wird seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt. Sofern er sich dennoch zur Mitarbeit bei seinem Ehegatten entschließt, steht ihm auch das Eingehen eines Beschäftigungsverhältnisses offen.

Somit können Beschäftigungsverhältnisse auch unter Ehegatten bestehen und in der Rentenversicherung seit 1967, in der Krankenversicherung seit 1970 eine Versicherungspflicht herbeiführen. Auch besteht keine (widerlegbare) Vermutung gegen die Versicherungspflicht, wie sie neuerdings § 20 Abs 4 des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl I S 1014) unter den dort genannten Voraussetzungen aufstellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Versicherungspflicht ist von Verwaltung und Rechtsprechung zu respektieren. Hiermit ist es nicht vereinbar, an den Nachweis der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht unangemessen hohe Anforderungen zu stellen. Dieses gilt auch für Teilzeitbeschäftigungen, sofern sie nicht wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei sind (§ 8 SGB IV iVm § 168, § 1228 Nr 4 RVO, § 7 SGB V und § 5 Abs 2 SGB VI), obwohl damit in der Krankenversicherung ein beitragsgünstiger Versicherungsschutz erworben werden kann. Allerdings ist auch bei einem Ehegattenbeschäftigungsverhältnis die Arbeitnehmereigenschaft zu prüfen und dabei auszuschließen, daß der Arbeitsvertrag zum Schein abgeschlossen wurde (§ 117 BGB), der Ehegatte Mitunternehmer oder Mitgesellschafter des anderen Ehegatten ist oder seine Tätigkeit lediglich eine familienhafte Mithilfe darstellt. Hierzu ist die Feststellung erforderlich, daß es sich um ein von den Eheleuten ernsthaft gewolltes und vereinbarungsgemäß durchgeführtes entgeltliches Beschäftigungsverhältnis handelt, das insbesondere die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten vom Arbeitgeber voraussetzt. Diese für die Abgrenzung zum Mitunternehmer oder Mitgesellschafter erforderliche Voraussetzung wird durch die Eingliederung in den Betrieb und die Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf Zeit, Ort und Art der Arbeitsausführung erfüllt (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4; BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 11 mwN). Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht dabei grundsätzlich nicht entgegen, daß die Abhängigkeit unter Ehegatten im allgemeinen weniger stark ausgeprägt ist und deshalb das Weisungsrecht möglicherweise nur mit gewissen Einschränkungen ausgeübt wird (BSGE 34, 207, 210 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; BSGE 66, 168, 171 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; SozR 3-4100 § 168 Nr 11).

Für die Abgrenzung des Ehegattenbeschäftigungsverhältnisses zur familienhaften Mithilfe kann auf die Rechtsprechung zum Beschäftigungsverhältnis zwischen nahen Verwandten zurückgegriffen werden, die durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. April 1956 (“Meistersohn”-Urteil BSGE 3, 30, 40) eingeleitet und durch eine Reihe weiterer Urteile fortgeführt worden ist (BSGE 12, 153, 156 = SozR Nr 18 zu § 165 RVO; 17, 1, 3 ff = SozR Nr 31 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 165 Nr 90). Danach hängt die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und familienhafter Mithilfe von den gesamten Umständen des Einzelfalles ab. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis setzt neben der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und dem gegebenenfalls abgeschwächten Weisungsrecht des Arbeitgebers voraus, daß der Beschäftigte ein Entgelt erhält, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt, mithin über einen freien Unterhalt, ein Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgeht. Weitere Abgrenzungskriterien sind nach dieser Rechtsprechung, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen worden ist, ob das gezahlte Entgelt der Lohnsteuerpflicht unterliegt, als Betriebsausgabe verbucht und dem Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wird, und schließlich, ob der Angehörige eine fremde Arbeitskraft ersetzt. Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, ist es für die Bejahung eines Ehegattenbeschäftigungsverhältnisses, wie das LSG mit Recht entschieden hat, nicht erforderlich, daß der Beschäftigte wirtschaftlich auf das Entgelt angewiesen ist. Solches ist zwar in der genannten Rechtsprechung zum Beschäftigungsverhältnis zwischen Verwandten als Indiz für die erforderliche Abhängigkeit des Beschäftigten anerkannt worden (BSG SozR 2200 § 165 Nr 90). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß dann, wenn es nicht gegeben ist, allein aus diesem Grunde eine abhängige Beschäftigung ausscheidet.

Von den vorstehenden Grundsätzen ist das LSG zutreffend ausgegangen und hat näher ausgeführt: “Aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin, die mit denen des Beigeladenen zu 1) und der bei ihm beschäftigten Arzthelferinnen übereinstimmen, steht fest, daß die Klägerin neben der Führung des Haushalts und der Betreuung und Erziehung ihrer beiden minderjährigen Kinder seit dem 1. April 1988 in der Arztpraxis des Beigeladenen zu 1) tätig ist. Ihr Aufgabenbereich umfaßt insbesondere die Kassenbuchführung einschließlich der Kontrolle und Ablage der Bank- und Kassenbelege, die Mitwirkung bei der Personalbuchführung, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, die Überwachung der Honorareingänge einschließlich Mahnwesen, den Einkauf des nichtmedizinischen Praxisbedarfs, den Kauf und die Pflege der Praxiswäsche sowie – bis zur Umstellung auf EDV Anfang des Jahres 1992 – die Mithilfe bei der Erstellung von Privatliquidationen. Zur Erledigung der schriftlichen Arbeiten steht der Klägerin in der Familienwohnung ein Arbeitszimmer zur Verfügung. Seit ihre beiden 1982 und 1984 geborenen Kinder den Kindergarten bzw die Schule besuchen, kann sie die ihr übertragenen Aufgaben vormittags erledigen, während sie früher dafür die Mittags- oder Abendstunden nutzen mußte. Für ihre Mitarbeit in der Praxis wendet sie im Durchschnitt zehn Stunden wöchentlich auf. Der erforderliche Zeitaufwand ist seit Beginn ihrer Tätigkeit gleich geblieben, obwohl sich der Umfang einzelner Arbeitsbereiche im Laufe der Zeit verändert hat. Auch die zur regelmäßigen Arbeitszeit getroffenen Feststellungen stützt der Senat auf die Angaben der Klägerin. Sie sind seit der Anmeldung am 12. April 1988 unverändert geblieben, frei von Widersprüchen, in sich schlüssig und nachvollziehbar. Die Glaubwürdigkeit der Klägerin steht insbesondere auch nach dem Eindruck, den sie bei ihrer Anhörung hinterlassen hat, außer Frage. Die Klägerin ist zwar in der Lage, sich die meisten ihrer Arbeiten, da diese nicht streng zeitgebunden sind, frei einzuteilen. Auch kann sie dank ihrer Sach- und Fachkenntnisse in den meisten Tätigkeitsbereichen weitgehend eigenverantwortlich handeln. Gleichwohl leistet sie fremdbestimmte Arbeiten. Denn sie ist wie die übrigen Mitarbeiterinnen in den Praxisbetrieb eingebunden, zwar teilweise nicht räumlich, wohl aber funktionell, und bei der Ausübung ihrer Tätigkeit wie diese dem Weisungsrecht des Praxisinhabers unterworfen. Das der Klägerin als Gegenleistung für ihre Arbeit gezahlte Entgelt von umgerechnet ca 12 DM (ab 1. November 1992: 14 DM) netto pro Stunde ist – verglichen mit dem Tarifgehalt einer Arzthelferin – angemessen. Die Klägerin und der Beigeladene zu 1) haben einen schriftlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Das der Klägerin gezahlte Arbeitsentgelt unterliegt der pauschalen Lohnsteuer. Es wird als Betriebsausgabe gebucht und auf ein Konto überwiesen, über das die Klägerin allein verfügungsberechtigt ist. Ohne die Beschäftigung der Klägerin müßte der Beigeladene zu 1) zur Bewältigung der anfallenden Arbeit eine fremde Arbeitskraft einstellen.”

Soweit dem Vorbringen der Beklagten zu entnehmen ist, das LSG sei von unzutreffenden rechtlichen Kriterien ausgegangen, trifft dieses nicht zu. So ist die Annahme der Eingliederung der Klägerin in den Praxisbetrieb ihres Ehemannes nicht zu beanstanden. Das LSG ist aufgrund seiner Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, daß die Klägerin funktionell in den Betrieb eingebunden ist. Der Umstand, daß sie überwiegend außerhalb der eigentlichen Praxisräume ihre Arbeiten ausführt, steht der Annahme einer Einbindung in den Betrieb schon deshalb nicht entgegen, weil für die praxisbezogenen schriftlichen Arbeiten ein besonderer Raum innerhalb der privaten Wohnung zur Verfügung steht und weil für Arbeiten, die ohnehin nicht in einer Arztpraxis erledigt zu werden pflegen (hier: Einkauf des nichtmedizinischen Praxisbedarfs, Pflege der Praxiswäsche), ein räumlicher Zusammenhang mit der Arztpraxis nicht gefordert werden kann. Die Feststellung des LSG, die Klägerin sei dem Weisungsrecht ihres Ehemannes als Arbeitgeber untergeordnet, ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Das LSG durfte hierbei nach der genannten Rechtsprechung (BSGE 34, 207, 210 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; BSGE 66, 168, 171 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; SozR 3-4100 § 168 Nr 11) berücksichtigen, daß die Abhängigkeit unter Ehegatten im allgemeinen weniger stark ausgeprägt ist und deshalb das Weisungsrecht mit gewissen Einschränkungen ausgeübt werden kann. Die Feststellung, die Klägerin leiste fremdbestimmte Arbeiten, kann im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen nur so verstanden werden, daß die Fremdbestimmung durch den Arbeitgeber gemeint ist.

Das LSG hat auch rechtsfehlerfrei entschieden, daß das gezahlte Entgelt eine angemessene Gegenleistung für ihre Arbeit darstellt. Die von der Klägerin zu verrichtenden Aufgaben hat das LSG zutreffend von der Wertigkeit her als die einer Arzthelferin angesehen. Dann aber stehen der Klägerin auch nur die Bezüge zu, die eine bei gleicher Arbeitszeit tätige Arzthelferin in etwa erhält. Ein ihrer Ausbildung als Finanzbeamtin des gehobenen Dienstes entsprechendes Gehalt kommt dagegen als Anknüpfungspunkt nicht in Betracht. Das gezahlte Entgelt, das über ein Taschengeld oder über Gefälligkeitsleistungen hinausgeht, braucht auch nicht genau dem Tarifgehalt einer Arzthelferin entsprechen, zumal Anhaltspunkte für eine Tarifbindung der Eheleute nicht gegeben sind und das Arbeitsentgelt zwischen den Vertragsparteien bei fehlender Tarifbindung frei vereinbart werden kann. Da die Höhe der Vergütung im vorliegenden Zusammenhang nur als Kriterium dafür dienen soll, daß die Ehegattenbeschäftigung weder auf einem Scheingeschäft beruht noch als familienhafte Mithilfe anzusehen ist, kann das vergleichbare Tarifgehalt nur als Richtschnur herangezogen werden. Eine geringfügige Unterschreitung des Tarifgehalts oder die Nichtgewährung des tariflich üblichen Weihnachts- und Urlaubsgeldes erlauben in der Regel noch nicht den Schluß, daß das gezahlte Entgelt keine Gegenleistung für die verrichtete Arbeit darstellt. Die vom LSG festgestellte allgemeine Ausrichtung des Entgelts am Tarifgehalt einer Arzthelferin ließ vielmehr die Feststellung zu, daß sie für ihre Arbeitsleistung eine im Arbeits- und Wirtschaftsleben adäquate Gegenleistung erhält.

Auch die übrigen Kriterien, die bei der Abgrenzung des Arbeitsvertrages zur familienhaften Mithilfe zu beachten sind, hat das LSG zutreffend angewandt. Seine weiter getroffene Feststellung, daß die Klägerin den Haushalt führt und zwei minderjährige Kinder erzieht und betreut, sieht das LSG mit Recht als zusätzliches Indiz für das Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses an; denn daraus folgt, daß die Klägerin unter den gegebenen Umständen familienrechtlich nicht verpflichtet ist, Tätigkeiten für die Arztpraxis ihres Ehemannes zu verrichten (§ 1360 Satz 2 BGB). Da das LSG das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat, bestand entgegen der Ansicht der Beklagten kein Anlaß, nach den Regeln über die Feststellungslast anders zu entscheiden.

Auch soweit die Beklagte und die Beigeladene zu 2) eine Verletzung des § 128 SGG (Beweiswürdigung) und des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) geltend machen, greifen ihre Rügen nicht durch. Von einer Begründung hierzu wird nach § 170 Abs 3 SGG abgesehen. Die Zulassung der Revision durch den Senat beruhte nicht auf diesen Verfahrensrügen, die im Verfahren der Nichtzulasungsbeschwerde auch noch nicht erhoben worden waren. Vielmehr war für die Zulassung der Revision die Rüge entscheidend, das LSG habe das Urteil nicht rechtzeitig abgefaßt, so daß es keine Gründe aufweise. Diese Rüge ist jedoch im Revisionsverfahren von der Beklagten nicht mehr erhoben und von der Beigeladenen zu 2) nicht mehr aufrechterhalten worden.

Die Klägerin ist in der Krankenversicherung nicht seit dem 1. Januar 1989 nach § 6 Abs 3 iVm § 6 Abs 1 Nr 2 SGB V versicherungsfrei; denn als beurlaubte Beamtin hatte sie keinen Anspruch auf Beihilfe. Auch ist der Arbeitsvertrag nicht etwa deshalb nichtig, weil ihr Dienstherr ihr eine Nebentätigkeit von acht Wochenstunden für die Dauer der Beurlaubung genehmigt, sie aber eine Arbeitszeit von zehn Wochenstunden vereinbart hatte. Die zeitliche Überschreitung der genehmigten Nebentätigkeit um nur zwei Stunden macht nämlich den zwischen ihr und ihrem Ehemann abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht nichtig (vgl BGH NJW 1974, 1374, 1377) und ist jedenfalls aus diesem Grunde auf das Beschäftigungsverhältnis ohne Einfluß.

Demnach haben die Vorinstanzen zu Recht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und dem Feststellungsantrag der Klägerin entsprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dem Beigeladenen zu 1) waren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, weil er sich am Verfahren nicht beteiligt hat.

 

Fundstellen

BSGE, 275

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