Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 17.02.1993; Aktenzeichen L 6 An 25/92)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Februar 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Kläger ein unter Berücksichtigung von Urlaubsgeld berechnetes höheres Krankengeld zusteht.

Der als Tischler beschäftigte Kläger war vom 21. September 1988 bis 2. Juli 1989 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte gewährte ihm nach Ende der Lohnfortzahlung ab 24. Oktober 1988 Krankengeld für 250 Tage in Höhe von 75,71 DM täglich. Die Berechnung erfolgte auf der Grundlage der Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 14. November 1988, nach der im Lohnabrechnungszeitraum vom 1. – 31. August 1988 4.087,30 DM brutto/2.458,14 DM netto bei 185,5 Arbeitsstunden (bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden) erzielt worden waren. Neben dem Lohn wurde im August 1988 ein zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld von 114,95 DM gezahlt.

Nach „Vorbesprechungen” mit der Beklagten bezüglich der Einbeziehung des Urlaubsgeldes legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 20. September 1990 (Eingang am 5. November 1990) Widerspruch ein. Die Beklagte wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1990 als unbegründet zurück, da das Urlaubsgeld als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bei der Berechnung von Krankengeld nicht zu berücksichtigen sei.

Der daraufhin erhobenen Klage gab das Sozialgericht (SG) statt. Die dagegen gerichtete Berufung blieb ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) führte im wesentlichen aus, die Beklagte sei zur Neuberechnung des Krankengeldes unter Berücksichtigung des zusätzlichen Urlaubsgeldes verpflichtet, weil es sich bei dem Urlaubsgeld nach seiner tarifvertraglichen Ausgestaltung nicht um einmalig gezahltes, sondern um laufendes Arbeitsentgelt handele. Denn es komme darauf an, ob das gezahlte Entgelt die Vergütung für die in einem bestimmten Abrechnungszeitraum geleistete Arbeit sei. Dies müsse hier bejaht werden. Die als Urlaubsgeld gewährte Zuwendung von 0,79 DM pro Stunde sei nämlich an die erbrachten Arbeitsstunden geknüpft, während sie gerade für den Jahresurlaubsanspruch entfalle.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 182 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF und des § 47 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und führt ua aus: Trotz der tariflich vereinbarten monatlichen Zahlungsweise liege ein einmalig gezahltes Arbeitsentgelt vor. Zum einen werde der Stundensatz entsprechend der individuellen Urlaubsdauer errechnet, zum anderen könne sich wegen des 13-Wochen-Vorbehalts die Situation ergeben, daß die Krankenkasse zuviel zahle, wenn das Beschäftigungsverhältnis nicht mindestens 13 Wochen dauere.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Februar 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neuberechnung des Krankengeldes unter Berücksichtigung des im Berechnungszeitraum zusätzlich gewährten Urlaubsgeldes.

Das Klagebegehren scheitert nicht schon daran, daß der Kläger gegen die ab 24. Oktober 1988 für 250 Kalendertage erfolgten Zahlungen des Krankengeldes, die Verwaltungsakte iS des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstellen (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 103; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, Anhang nach § 54 RdNr 5; Schroeder-Printzen in Schroeder-Printzen ua, SGB X, § 31 Anm 2.4.5 jeweils mwN), erst am 5. November 1990 Widerspruch eingelegt hat. Selbst wenn der Kläger dadurch die Widerspruchsfrist versäumt haben sollte, ist dies unbeachtlich; denn die Beklagte hat sich nicht auf eine Fristversäumung berufen und den Widerspruch sachlich beschieden (vgl BSGE 49, 85, 87 mwN = SozR 1500 § 84 Nr 3).

Die Berechnung des Krankengeldes richtet sich für den Zeitraum vom 24. Oktober bis 31. Dezember 1988 nach § 182 RVO aF. Ob hier auch für die Zeit danach § 182 RVO aF oder § 47 SGB V anzuwenden ist, kann der Senat offenlassen. Nach beiden Vorschriften beträgt das Krankengeld 80 % des regelmäßigen Arbeitsentgeltes, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt/-lohn); es darf jedoch das Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 182 Abs 4 RVO aF, § 47 Abs 1 SGB V). Für die Berechnung des Regelentgeltes/-lohnes ist das im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 385 Abs 1a RVO aF, § 227 Abs 1 SGB V) verminderte Entgelt/Arbeitsentgelt maßgeblich (§ 182 Abs 5 RVO aF, § 47 Abs 2 SGB V).

Zu Recht hat das LSG – wie die Beklagte – als maßgebenden Berechnungszeitraum den Monat August 1988 herangezogen. Das in diesem Berechnungszeitraum gezahlte zusätzliche Urlaubsgeld ist hier laufendes Arbeitsentgelt und ist daher bei der Berechnung des Krankengeldes zu berücksichtigen.

Das Urlaubsgeld ist Arbeitsentgelt iS der obigen Vorschriften, denn nach § 14 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gehören zum Arbeitsentgelt alle laufenden und einmaligen Einnahmen, die unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Das Urlaubsgeld ist auch nicht gem § 17 SGB IV iVm der Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgeltes in der Sozialversicherung vom Arbeitsentgelt ausgenommen.

Das maßgebende Arbeitsentgelt iS des § 182 Abs 4 RVO aF/§ 47 Abs 1 SGB V (Regelentgelt/-lohn) wird unter Abzug des einmalig gezahlten Arbeitsentgeltes ermittelt. Nach der Definition in § 385 Abs 1a RVO aF/§ 227 Abs 1 SGB V, auf die in § 182 Abs 5 RVO aF/§ 47 Abs 2 SGB V Bezug genommen wird, sind unter einmalig gezahltem Arbeitsentgelt Zuwendungen zu verstehen, die dem Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) zuzurechnen sind und die nicht für die Arbeit in einem einzelnen Lohnabrechnungszeitraum gezahlt werden. Solche Zuwendungen sollten nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Änderung des § 182 Abs 5 RVO aF durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG 1984) vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) bei der Leistungsgewährung außer Betracht bleiben. Die Bezugnahme auf den durch das HBegleitG neu eingeführten § 385 Abs 1a RVO aF, der den Ausschluß von Zufälligkeiten in Bezug auf die Beitragszahlung bezweckte, sollte klarstellen, daß einmalig gezahltes Arbeitsentgelt entgegen der bisherigen Rechtsprechung (zB BSGE 52, 102, 104 = SozR 2200 § 182 Nr 75; BSG SozR 2200 § 182 Nr 85 mwN) und unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf die Zahlung besteht, aus dem Berechnungsmodus für den Leistungsbezug herausgenommen wird (BSGE 58, 243, 245 = SozR 2200 § 182 Nr 98; Gesetzesmaterialien zum HBegleitG 1984, BT-Drucks 10/335, Seite 70). Unter einmalig gezahltem Arbeitsentgelt werden vom Gesetzgeber insbesondere jährliche Sonderzuwendungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld uä verstanden (BT-Drucks aaO).

Charakteristisch für solche einmalig gezahlten Entgelte ist in der Regel ihre einmalige oder in größeren als monatlichen Abständen wiederholte Gewährung (BSGE 52, 102, 104; Heinze in GK-RVO, § 182 Anm 20b S 114/47; Krauskopf, SGB V, § 227 RdNr 3). Sonderzuwendungen weisen allerdings bezüglich Art, Höhe und Auszahlungsmodus derartige Unterschiede auf (vgl dazu Peters in KassKomm, § 227 SGB V, RdNr 4), daß es letztlich für die Abgrenzung zwischen laufendem und einmalig gezahltem Arbeitsentgelt nicht ausschlaggebend sein kann, welcher Zahlungsanlaß oder -modus von den Arbeitsvertragsparteien gewählt wurde (BSGE 52, 102, 104). Entscheidend ist vielmehr, ob das gezahlte Entgelt Vergütung für die in einem einzelnen, dh einem bestimmten, Abrechnungszeitraum geleistete Arbeit ist oder ob eine solche Beziehung zu einem einzelnen Abrechnungszeitraum nicht besteht (BSGE 66, 34, 42 = SozR 2200 § 385 Nr 22). Bei der Bestimmung, ob es sich um Vergütung für die in einzelnen Abrechnungszeiträumen geleistete Arbeit handelt, darf jedoch die arbeitsrechtliche Ausgestaltung nicht außer Betracht bleiben; denn neben der Beachtung von Zweck und Zahlungsweise der Zuwendung kann der Inhalt der Vereinbarungen über die Zuwendung für die Frage bedeutsam sein, welchen Charakter das (zusätzliche) Arbeitsentgelt hat.

Deshalb hat das LSG bei der Anwendung des § 182 Abs 5 RVO aF/§ 47 Abs 2 SGB V im vorliegenden Falle die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für das Berliner Tischlerhandwerk (MTV) und des Tarifvertrages über das zusätzliche Urlaubsgeld für das Berliner Tischlerhandwerk (Urlaubsgeld-TV) zu Recht in Betracht gezogen. Da diese Verträge nur im Bezirk des Berufungsgerichts gelten und es – soweit ersichtlich – außerhalb des Bezirkes des LSG Berlin keine Tarifverträge gibt, die bewußt und gewollt inhaltlich übereinstimmend gestaltet sind, gehören die anzuwendenden Tarifbestimmungen zum irrevisiblen Recht (BSGE 6, 41, 43; 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG). Das bedeutet: Der Senat hat bei seiner Entscheidung die Tarifverträge in der Auslegung des LSG zugrunde zu legen, es sei denn, das Berufungsgericht hätte eine anzuwendende Tarifbestimmung völlig unberücksichtigt gelassen (vgl BSGE 7, 122, 125 = SozR Nr 99 zu § 162 SGG) oder die Auslegung des LSG verstieße gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes (vgl BSGE 62, 131, 135 = SozR 4100 § 141b Nr 40). Beides ist jedoch nicht der Fall.

Bei Berücksichtigung der Auslegung des LSG ergibt sich, daß das monatlich gezahlte tarifliche Urlaubsgeld zum laufenden Arbeitsentgelt gehört, weil der Kläger es für die von ihm in einem bestimmten Abrechnungszeitraum geleistete Arbeit erhalten hat. Die Bezeichnung als Urlaubsgeld durch die Arbeitsvertrags-/Tarifvertragsparteien spricht zwar gegen eine Einordnung als laufendes Arbeitsentgelt und für eine solche als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, da Urlaubsgeld regelmäßig für die Zeit und zum Zweck des Urlaubs gezahlt wird, wobei es unerheblich ist, ob letztlich die Zuwendung tatsächlich für den Urlaub verwendet wird. Der Qualifizierung als einmaliges Arbeitsentgelt würde auch die monatliche Zahlungsweise nicht ohne weiteres widersprechen. Entscheidend ist im vorliegenden Fall aber die enge Kopplung des Urlaubsgeldes an die geleisteten Arbeitsstunden, wie sie sich aus dem Tarifvertrag vom 3. März 1988 in der für den Senat verbindlichen Auslegung des LSG ergibt. Danach berechnete sich die Höhe des Urlaubsgeldes, das monatlich gezahlt wurde, entsprechend der Dauer des Erholungsurlaubs und der monatlich erbrachten Zahl der Arbeitsstunden. Nach § 2 Nr 1 des Tarifvertrages ergab sich für den Kläger ein pro Arbeitsstunde einzusetzender Betrag von 0,79 DM nach der Formel: individueller Urlaubsanspruch (30 Tage), multipliziert mit drei Ecklöhnen (46,00 DM), geteilt durch geleistete tarifliche Jahresarbeitsstundenzahl (1.752 Stunden). Dieser Betrag wurde mit den monatlich erbrachten Arbeitsstunden multipliziert und die sich daraus ergebende Summe monatlich ausgezahlt. Es ergaben sich aufgrund dessen monatlich schwankende Beträge.

Selbst wenn man berücksichtigt, daß das Arbeitsverhältnis mindestens 13 Wochen bestanden haben muß (§ 4 Urlaubsgeld-TV), ehe der Anspruch auf Urlaubsgeld entsteht, ist die vorinstanzliche Auslegung des Tarifvertrages jedenfalls vertretbar und damit nicht willkürlich. Denn für die Qualifizierung des Urlaubsgeldes als einmaliges oder laufendes Arbeitsentgelt muß nicht zwingend auf die Regelungen des § 4 Urlaubsgeld-TV abgestellt werden. Das LSG hat es für maßgeblich angesehen, daß, obwohl der pro Stunde zu gewährende Betrag sich an dem individuellen Urlaubsanspruch orientiert (§ 2 Urlaubsgeld-TV), die Zahlung des Urlaubsgeldes gerade für den Jahresurlaub entfällt (§ 3 des Urlaubsgeld-TV), und die Auszahlung nur für die tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden erfolgt.

Aus dem MTV selbst läßt sich für die Einordnung des Urlaubsgeldes dagegen kein Hinweis entnehmen. Auch insoweit hat der Senat die Auslegung des LSG zugrunde zu legen. Das LSG hat angenommen, daß der MTV keine Anhaltspunkte für die Qualifizierung des Urlaubsgeldes enthält. Diese Annahme ist ebenfalls nicht willkürlich. Daß im Falle der Lohnfortzahlung das Urlaubsgeld nach Nr 33 MTV nicht weiterzuzahlen ist, hat für die hier streitige Frage keine Bedeutung. Die Tarifvertragsparteien haben mit dieser Regelung lediglich von der in § 2 Abs 3 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Umfang der Lohnfortzahlung zu beschränken.

Mit dem LSG ist daher davon auszugehen, daß das dem Kläger im Bemessungszeitraum gezahlte Urlaubsgeld eine Vergütung für die in einem einzelnen Abrechnungszeitraum geleistete Arbeit war. Es ist deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten bei der Berechnung des Krankengeldes zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173365

Breith. 1995, 177

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