Leitsatz (amtlich)

Ein selbständiger Apotheker, der als Urlaubsvertreter eines anderen selbständigen Apothekers gegen Entgelt tätig wird, bezieht insoweit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 3 Nrn. 2, 4, § 15 Nr. 1, § 19 Abs. 1; LStDV § 1 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt eine Apotheke in A. In den Streitjahren 1971 und 1972 machte er jeweils im Dezember Urlaubsvertretungen in einer Apotheke in W.

Als Entgelt für die Vertretungen erhielt der Kläger 1971 2 950 DM und 1972 3 000 DM, wovon die Lohnsteuerabzugsbeträge einbehalten wurden.

Bei der Veranlagung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA -) diese Beträge erklärungsgemäß als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung gelangte es zu der Auffassung, daß die Entgelte den gewerblichen Einkünften des Klägers aus der eigenen Apotheke hinzuzurechnen seien. Dementsprechend berichtigte es die Einkommensteuerbescheide.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Ansicht des FA. Es führte im wesentlichen aus: Nach dem Gesamtbild der Vertretungstätigkeit sei der Kläger während des Urlaubs seines Kollegen nicht dessen Arbeitnehmer gewesen. Beide hätten kein echtes Arbeitsverhältnis eingehen, sondern sich gegenseitig gefällig sein wollen. Zudem sei der Kläger wegen der Kürze der Urlaubsvertretungen nicht in den Betrieb der Apotheke in W eingegliedert und als vorübergehender Leiter auch nicht weisungsgebunden gewesen. Die mit der Vertretung erzielten Einnahmen seien darum kein Arbeitslohn, sondern Ausfluß der gewerblichen Tätigkeit des Klägers als Unternehmer. Die Verhältnisse lägen hier genau so wie in den Fällen, in denen ein selbständiger Arzt oder Rechtsanwalt vorübergehend einen Kollegen gegen Geld vertrete. In diesen Fällen sei aber die Nebentätigkeit als Hilfstätigkeit zur Haupttätigkeit anzusehen, die das Schicksal der Haupttätigkeit teilt (so auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juli 1958 VI 134/57 U, BFHE 67, 290, BStBl III 1958, 384).

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Seiner Ansicht nach müßten die Entgelte aus den Urlaubsvertretungen den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugeordnet werden. Die Tatsache, daß er selbst Inhaber einer Apotheke sei, schließe nicht aus, daß er nebenher kurzzeitig ein abhängiges Arbeitsverhältnis eingehen könne. Das sei ihm auch deshalb ohne weiteres möglich gewesen, weil seine eigene Apotheke inzwischen von seiner Frau, die ebenfalls Apothekerin sei, versorgt werden konnte. Daß die Angestellten der Apotheke in W seinen fachlichen Anordnungen nachzukommen hatten, ändere nichts an seiner eigenen Weisungsgebundenheit.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Abänderung der berichtigten Einkommensteuerbescheide die Entgelte aus den Urlaubsvertretungen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit anzusehen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer anderweitigen Steuerfestsetzung.

1. Das FG hat den Begriff der gewerblichen Einkünfte i. S. von § 15 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verkannt.

Die Einkünfte, die der Kläger als Urlaubsvertreter in der Apotheke in W bezog, sind solche aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 2 Abs. 3 Nr. 4, 19 Abs. 1 EStG 1971).

Ein Steuerpflichtiger bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn er als Arbeitnehmer aus einem Dienstverhältnis Arbeitslohn erhält (§ 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1971). In einem Dienstverhältnis steht, wer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, d. h. unter Leitung des Arbeitgebers tätig wird oder in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist und den Weisungen des Arbeitgebers folgen muß (§ 1 Abs. 3 LStDV).

Ob dies im Einzelfall zutrifft, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse unter Abwägung aller Umstände zu entscheiden (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 18. Januar 1974 VI R 221/69, BFHE 111, 326, BStBl II 1974, 301; vom 4. Dezember 1975 IV R 180/72, BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292).

a) Der Kläger war als Urlaubsvertreter in den Betrieb der Apotheke in W eingegliedert, weil er regelmäßig während der Öffnungszeiten dort arbeiten mußte und dies nach den Feststellungen der Vorinstanz auch getan hat.

Gemäß § 1 Abs. 6 der Apothekenbetriebsordnung vom 7. August 1968 - ApoBO - (BGBl I 1968, 939) hat der mit der Vertretung beauftragte Apotheker während der Dauer der Vertretung die Pflichten des Apothekenleiters. Dazu gehört in erster Linie die Pflicht zur persönlichen Leitung der Apotheke (§ 1 Abs. 1 ApoBO, § 7 des Gesetzes über das Apothekenwesen vom 20. August 1960 - ApoG -, BGBl I 1960, 697). Aufgrund dieser Verpflichtung konnte der Kläger sich nicht mit einer "Regie aus dem Hintergrund" begnügen, sondern mußte grundsätzlich während der Betriebszeiten in der Apotheke anwesend sein (vgl. Hoffmann, Kommentar zum Apothekengesetz, 1961, § 7 Anm. 6).

Allein die geringe zeitliche Dauer kann unter diesen Umständen die Eingliederung in den fremden Betrieb nicht ausschließen (vgl. BFH-Urteile vom 24. November 1961 VI 183/59 S, BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37; vom 2. Oktober 1968 VI R 56/67, BFHE 94, 17, BStBl II 1969, 71).

b) Die Vorinstanz ist auch zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Kläger nicht weisungsgebunden war.

Die weitgehende Entscheidungsbefugnis des Klägers im fachlichen Bereich, also bei der Durchführung der Arbeit, steht der Annahme eines Dienstverhältnisses nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1971 IV R 241/70, BFHE 103, 567, BStBl II 1972, 213, betreffend mitarbeitenden Arzt eines Chefarztes).

Maßgeblich für die Beurteilung der Weisungsgebundenheit ist nämlich das Innenverhältnis zum Auftraggeber, nicht das Auftreten des Beschäftigten nach außen (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1978 I R 121/76, BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188).

Dem FG ist zuzugeben, daß der Kläger nach außen hin bei der fachlichen Führung der Apotheke eigenverantwortlich tätig war. Das liegt aber nach den apothekenrechtlichen Vorschriften in der Natur der Sache. Denn der vorübergehende Apothekenleiter trägt die Verantwortung für die Beachtung der Apothekenbetriebsordnung und der Vorschriften über die Herstellung von Arzneimitteln und den Verkehr mit diesen (vgl. Schiedermair-Pieck, Kommentar zum Apothekengesetz, 2. Aufl. 1978, § 13 Anm. 7 und 9) und hat das übrige Apothekenpersonal daraufhin zu überwachen und anzuweisen.

Dagegen umschließt die apothekenrechtliche Verantwortlichkeit nicht die Verantwortung für die wirtschaftlichen Belange der Apotheke (vgl. Schiedermair-Pieck, a. a. O., § 13 Anm. 10). Die wirtschaftlichen Entscheidungen trifft der Apothekeninhaber selbst. Insoweit war der Kläger im Innenverhältnis zu diesem auch weisungsgebunden.

c) Für eine nichtselbständige Tätigkeit des Klägers spricht weiterhin das Fehlen eines Unternehmerrisikos (zuletzt BFH-Urteil vom 20. Januar 1972 IV R 1/69, BFHE 104, 169, BStBl II 1972, 214).

Der Kläger konnte die Höhe seiner Einnahmen nicht durch eine Steigerung seiner Arbeitsleistung oder das Herbeiführen eines besonderen Erfolges beeinflussen, sondern er erhielt unabhängig vom Arbeitsumfang und Arbeitsergebnis eine festvereinbarte Vergütung.

d) Schließlich ist bei der Würdigung des Gesamtbildes auch die Tatsache von Bedeutung, daß die beteiligten Apotheker selbst ein Arbeitsverhältnis begründen wollten und auch die steuerlichen Konsequenzen daraus gezogen haben, wie die Einbehaltung der Lohnsteuer zeigt. Dieser übereinstimmende Parteiwille kann als zusätzliches Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses herangezogen werden (BFH-Urteile vom 28. April 1972 VI R 71/69, BFHE 105, 477, BStBl II 1972, 617; IV R 180/72).

Das Gesamtbild der Verhältnisse weist somit den Kläger als Arbeitnehmer aus.

2. Der Auffassung des FG, daß die Urlaubsvertretungen als Nebentätigkeiten Ausfluß der Haupttätigkeit seien und den gewerblichen Einkünften des Klägers aus dessen eigener Apotheke hinzugerechnet werden müßten, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

In welche Einkunftsart Einkünfte aus einer sogenannten Nebentätigkeit fallen, ist nach der Art der Tätigkeit selbst und unabhängig von der Haupttätigkeit zu beurteilen (BFH-Urteile vom 21. März 1975 VI R 60/73, BFHE 115, 466, BStBl II 1975, 513; vom 4. Dezember 1975 IV R 162/72, BFHE 117, 547, BStBl II 1976, 291). Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur, wenn die Nebentätigkeit mit der Ausübung des Hauptberufs unmittelbar zusammenhängt und ihn zur Voraussetzung hat (BFH-Urteil vom 24. November 1961 VI 183/59 S, BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37).

Davon kann im Streitfall aber nicht die Rede sein. Die Tätigkeit als Urlaubsvertreter läßt sich von der gewerblichen Tätigkeit des Klägers eindeutig trennen. Die eigene gewerbliche Tätigkeit des Klägers ist auch nicht Voraussetzung für die Ausübung der Nebentätigkeit. Voraussetzung für eine apothekenrechtliche Stellvertretung ist gemäß § 1 Abs. 4 ApoBO lediglich die Approbation als Apotheker, nicht dagegen das selbständige Betreiben einer eigenen Apotheke.

Dieser Beurteilung steht das BFH-Urteil VI 134/57 U nicht entgegen. Dort ist entschieden, daß ein Fahrlehrer, der neben dem Betrieb einer eigenen Fahrschule täglich Vorträge in einer anderen Fahrschule hält, Arbeitnehmer des anderen Fahrlehrers ist. Soweit das Urteil weitergehende Ausführungen zur Frage der Urlaubsvertretungen bei selbständigen Ärzten oder Rechtsanwälten enthält, tragen diese die Entscheidung nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73108

BStBl II 1979, 414

BFHE 1979, 201

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