Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des § 38 EStG, wonach die Arbeitgeber zur Mitwirkung bei der Erhebung der Lohnsteuer ihrer Arbeitnehmer verpflichtet sind, ist verfassungsrechtlich einwandfrei und verstößt vor allem nicht gegen Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GG.

Der Haftungsanspruch gegen den Arbeitgeber nach § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG (ß 46 Abs. 1 LStDV) verjährt nicht eher, als der Steueranspruch gegen den Arbeitnehmer.

Die Zurechnungen nach § 37 Abs. 1 LStDV sind mindestens bis zum Inkrafttreten der Verordnung zur änderung und Ergänzung der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 18. Dezember 1959 (BGBl 1959 I S. 770, BStBl 1959 I S. 1053) auch bei nachträglicher Lohnsteuer-Berechnung nach Ablauf des Lohnzahlungszeitraums (Kalenderjahrs), vor allem auch bei Lohnsteuer-Außenprüfungen, vorzunehmen.

GG Art. 12 Abs. 2 Satz 1; AO §§ 144, 145 Abs. 1; StAnpG § 3 Abs. 5 Ziff. 1 a; EStG 1953 § 38; LStDV

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 2 S. 1; AO §§ 144, 145 Abs. 1; StAnpG § 3/5/1/a; EStG § 38 Abs. 3; LStDV § 37 Abs. 1, § 46

 

Tatbestand

Der Bf. hat drei Gewerbebetriebe und beschäftigte in den Streitjahren 1950 bis 1954 mehrere Arbeitnehmer. Bei einer Lohnsteuerprüfung wurde festgestellt, daß der Bf. in den Streitjahren 1950 bis 1954 Arbeitslöhne gezahlt hatte, ohne Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer einzubehalten. Lohnkonten für die Arbeitnehmer hatte er nicht geführt. Die Arbeitnehmer hatten ihm auch keine Lohnsteuerkarten vorgelegt. Das Finanzamt forderte vom Bf. als Arbeitgeber durch Haftungsbescheid vom 13. November 1956 Lohnsteuer mit 1.749,02 DM, Kirchenlohnsteuer mit 143,20 DM und Abgabe "Notopfer Berlin" mit 194,35 DM nach. Es setzte dabei gemäß Abschn. 52 c LStR die Lohnsteuer für die Aushilfskräfte pauschal auf 19 v. H. der gezahlten Löhne fest. Für die ständig beschäftigten Arbeitnehmer berechnete es die Lohnsteuer an Hand der Lohnsteuertabelle und rechnete die in § 37 Abs. 1 LStDV genannten Beträge vor Berechnung der Lohnsteuer dem Arbeitslohn zu.

Der Bf. hält in erster Linie den Haftungsanspruch für verjährt. überdies verstößt nach seiner Auffassung die Vorschrift des § 38 EStG, auf Grund deren die Arbeitgeber zur Mitwirkung bei der Erhebung der Lohnsteuer verpflichtet sind, gegen Art. 12 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), wonach niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. Schließlich beanstandet der Bf., daß das Finanzamt für zwei Beschäftigte zu Unrecht Lohnsteuer nachgefordert habe; denn die Vertreter A. und B. seien nicht seine Arbeitnehmer und mithin auch nicht Empfänger von Arbeitslohn gewesen.

Der Einspruch hatte keinen und die Berufung nur hinsichtlich der Höhe der Nachforderung zum Teil Erfolg.

Das Finanzgericht führte aus, die Verjährungsfrist betrage gemäß § 144 Satz 1 AO fünf Jahre. Hier würden Steuern für die Jahre 1950 bis 1954 nachgefordert. Die Verjährungsfrist beginne mit Ablauf des Jahres, in dem der Steueranspruch entstanden sei. Die Verjährung der Steueransprüche für 1950 habe mit Ablauf dieses Jahres begonnen, so daß die Verjährungsfrist Ende 1955 abgelaufen sei. Die vom Finanzamt für 1951 bis 1954 geltend gemachten Ansprüche seien dagegen bei Ergehen des Haftungsbescheids im November 1956 noch nicht verjährt gewesen. Das Finanzgericht hält auch die Vorschrift des § 38 EStG für verfassungsrechtlich einwandfrei. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer gehe auf § 69 EStG 1925 zurück und sei kein Zwang zu einer bestimmten Arbeit im Sinne von Art. 12 Abs. 2 GG, sondern eine allgemeine steuerliche Verpflichtung, die jedem Bürger obliege, der Arbeitnehmer beschäftige.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führte zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Zutreffend nimmt das Finanzgericht an, daß der Haftungsanspruch gegen den Bf. als Arbeitgeber aus § 38 Abs. 3 EStG (ß 46 LStDV) nicht eher verjährte, als der Steueranspruch gegen seine Arbeitnehmer selbst (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 31/59 U vom 21. Oktober 1959, BStBl 1960 III S. 23, Slg. Bd. 70 S. 60). Die Lohnsteuer verjährt gemäß § 144 AO im allgemeinen in fünf Jahren. Im Streitfall handelt es sich um Steuern für Arbeitslohn, der den Arbeitnehmern in den Jahren 1950 bis 1954 zugeflossen war. Der Steueranspruch war mit dem Zufließen der steuerabzugspflichtigen Einkünfte entstanden (ß 3 Abs. 5 Ziff. 1 a StAnpG). Die Verjährungsfrist für die Lohnsteuer 1950 wurde mit Ende dieses Jahres in Lauf gesetzt (ß 145 Abs. 1 AO), so daß, weil keine Unterbrechung der Verjährung stattfand, diese Lohnsteuer mit Ablauf des Jahres 1955 verjährte, wie das Finanzgericht auch zutreffend angenommen hat. Die Lohnsteuer ab 1951 war dagegen, als der Haftungsbescheid im November 1956 erging, noch nicht verjährt, so daß der Bf. noch für die Lohnsteuer ab 1951 in Anspruch genommen werden konnte.

Die Bedenken des Bf. gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 38 EStG greifen nicht durch. Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GG, auf den der Bf. sich vor allem beruft, bestimmt, daß niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Die verfassungsrechtlichen Einschränkungen gelten also nicht für herkömmliche allgemeine öffentliche Dienstleistungspflichten (v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 12 Anm. VII; Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 12 Anm. 5). Art. 12 Abs. 2 GG entspricht der Konvention des Europarats zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (abgekürzt: MRK) vom 4. November 1950 (Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 7. August 1952, BGBl 1952 II S. 685; Hamann, Das Grundgesetz, 2. Aufl. Art. 12). Nach Art. 4 Ziff. 3 MRK zählen Arbeiten oder Dienstleistungen, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören, nicht zu den Zwangs- oder Pflichtarbeiten.

Die Pflicht der Arbeitgeber, bei der Erhebung der Lohnsteuer mitzuwirken, ist - ähnlich wie die Mitwirkung bei der Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge - eine Pflicht, die allen Arbeitgebern auferlegt und eine auf dem öffentlichen Recht beruhende Reflexwirkung der Begründung privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse ist. Die modernen Formen der Steuererhebung setzen in weitem Umfang die Mitwirkung der betroffenen Staatsbürger als Steuerpflichtige durch Aufzeichnungen, Erklärungen, Auskünfte usw. voraus. Solche Mitwirkungspflichten bei der Besteuerung werden durch Art. 12 Abs. 2 GG nicht ausgeschlossen. Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Steuererhebung für ihre Arbeitnehmer geht allerdings über den Umfang der Mitwirkungspflicht aller Steuerpflichtigen in eigenen Steuerangelegenheiten hinaus und ist von besonderer Art, weil die Arbeitgeber hier gewissermaßen als Beauftragte des Steuerfiskus und als Steuererheber gegenüber ihren Arbeitnehmern auftreten müssen. Aber auch diese erweiterte Dienstleistungspflicht, die das Gesetz allen Arbeitgebern auferlegt, widerspricht nicht dem GG. Der Steuergesetzgeber verletzt das Grund- und Menschenrecht des Art. 12 Abs. 2 GG nicht, wenn er die Gruppe der Arbeitgeber allgemein zu solchen zusätzlichen Dienstleistungen heranzieht, um dadurch in möglichst einfacher Form einen möglichst vollständigen und schnellen Eingang der Lohnsteuer der Arbeitnehmer sicherzustellen.

Ein verfassungsrechtliches Bedenken kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Arbeitgeber diese Sonderleistungen kraft Gesetzes ohne Entgelt erbringen müssen. Denn das Gesetz kann bei der Durchführung der zur Wahrung des Allgemeinwohls unentbehrlichen Besteuerung verlangen, daß die Bürger in dem allgemein üblichen, herkömmlichen und notwendigen Umfang bei der Steuererhebung in eigenen und fremden Angelegenheiten ohne besondere Vergütung mitwirken.

Ebenso ist es verfassungsrechtlich bedenklich, daß das Finanzamt Arbeitgeber, die den Steuerabzug nicht dem Gesetz entsprechend vorgenommen haben, gemäß § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG (ß 46 LStDV) persönlich in Anspruch nehmen kann. Denn einmal können die Arbeitgeber wegen der Lohnsteuer, die sie auf Grund der Inanspruchnahme des Finanzamts für Rechnung der Arbeitnehmer zahlen müssen, von den Arbeitnehmern grundsätzlich Ersatz verlangen (Urteile des Bundesarbeitsgerichts 2 AZR 221/56 vom 27. März 1958, Der Betrieb 1958 S. 931; 5 AZR 156/59 vom 23. März 1961, Der Betrieb 1961 S. 746; 4 AZR 114/56 vom 24. Oktober 1958, Der Betrieb 1959 S. 322; 5 AZR 395/58 vom 17. März 1960, Der Betrieb 1960 S. 642). überdies ist die steuerliche Inanspruchnahme der Arbeitgeber nicht zwingend (vgl. Hartz in "Der Betrieb" 1957 S. 878 und 1961 S. 1365), sondern das Finanzamt muß im Einzelfall nach seinem Ermessen, d. h. nach Recht und Billigkeit, entscheiden, ob es dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers zu verauslagen. Der Senat hat in seiner neueren Rechtsprechung gerade an die Inanspruchnahme der Arbeitgeber erhöhte Anforderungen gestellt (siehe Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Haftung für Lohnsteuer" unter Ziff. 3 und 5).

Die Mitwirkungspflicht der Arbeitgeber beim Lohnsteuerabzug in der geltenden Form ist im übrigen, wie das Finanzgericht mit Recht bemerkt, seit Jahrzehnten üblich und damit herkömmlich im Sinne von Art. 12 Abs. 2 GG.

Nach allem sind die vom Bf. erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die grundsätzliche Mitwirkungspflicht und Inanspruchnahme der Arbeitgeber, die den Lohnsteuerabzug nicht oder nicht richtig vorgenommen haben, nicht begründet.

Zweifelhaft kann aber sein, ob das Finanzgericht bei der Berechnung der Lohnsteuernachforderung zu Recht § 37 Abs. 1 LStDV angewendet und dem Arbeitslohn der Arbeitnehmer, die keine Lohnsteuerkarte vorgelegt hatten, die näher bezeichneten Beträge zugerechnet hat. § 37 Abs. 1 LStDV war zwar für die Streitjahre 1950 bis 1954 auch bei nachträglicher Berechnung der Lohnsteuer anwendbar. Seit der Verordnung zur änderung und Ergänzung der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 18. Dezember 1959 (BGBl 1959 I S. 770, BStBl 1959 I S. 1053) kann allerdings zweifelhaft sein, ob die Zurechnung gemäß § 37 Abs. 1 LStDV noch zulässig ist, wenn nach Ablauf des Kalenderjahres, besonders im Rahmen von Lohnsteueraußenprüfungen, die Lohnsteuer nachträglich berechnet wird (vgl. Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Nichtvorlage der Steuerkarte"). Denn nach § 1 Ziff. 5 c der Verordnung a. a. O. ist im Verfahren des Lohnsteuerjahresausgleichs die Zurechnung gemäß § 37 Abs. 1 LStDV nicht mehr vorzunehmen; ein vom Arbeitgeber zugerechneter Betrag ist dem Arbeitnehmer im Lohnsteuerjahresausgleich zu erstatten. Es liegt nahe, unter diesen Umständen den § 37 Abs. 1 LStDV ab dieser Zeit nicht mehr nachträglich auf abgeschlossene Lohnzahlungszeiträume, vor allem nicht bei späteren Lohnsteueraußenprüfungen, anzuwenden. Für den Streitfall gilt das jedoch nicht. Mindestens für die Zeit bis 1959 muß das alte Recht angewandt werden, weil damals die Zurechnung auch im Lohnsteuerjahresausgleich vorzunehmen war. Die Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit gebieten, es auch im Streitfall bei der damals allgemein angewandten Rechtsübung zu belassen. Das Finanzgericht mußte demnach § 37 Abs. 1 LStDV grundsätzlich anwenden.

Das Finanzgericht hat allerdings bisher nicht festgestellt, ob die Arbeitnehmer, wie § 37 Abs. 1 LStDV voraussetzt, "schuldhaft" ihre Lohnsteuerkarten nicht vorgelegt haben, vor allem, ob die Beschäftigten und der Bf. nicht in entschuldbarem Rechtsirrtum angenommen haben, daß eine Lohnsteuerpflicht nicht bestehe. Beachtlich kann in diesem Zusammenhang der Vortrag des Bf. sein, er habe die Beschäftigten A. und B. nicht für Arbeitnehmer im Sinne des Lohnsteuerrechts gehalten; sie seien auf Provisionsbasis angestellt gewesen; schriftliche Arbeitsverträge seien nicht abgeschlossen worden; ebenso hätten keine Abreden über Arbeitszeit und Urlaub bestanden. Das Finanzgericht muß in diesem Punkt vor Anwendung des § 37 LStDV noch weitere Feststellungen treffen.

Es muß ferner noch allgemein dazu Stellung nehmen, ob und wieweit die Inanspruchnahme des Bf. als Arbeitgeber Recht und Billigkeit entspricht. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Prüfung vor Inanspruchnahme des Arbeitgebers, besonders bei Aushilfskräften, stets geboten (vgl. zusammenfassend die Grundsatzentscheidung VI 183/59 S vom 24. November 1961, BStBl 1962 III S. 37, Slg. Bd. 74 S. 97).

 

Fundstellen

Haufe-Index 410871

BStBl III 1963, 468

BFHE 1964, 408

BFHE 77, 408

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