Zusammenfassung

 
Überblick

Seit 1.5.2004 haben die Arbeitgeber die Pflicht, ein "betriebliches Eingliederungsmanagement" (BEM) durchzuführen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX vorliegen. Diese Pflicht trifft alle Arbeitgeber, unabhängig von der Betriebsgröße; gleichgültig ist auch, ob es in dem Betrieb einen Betriebs- oder Personalrat gibt. Durch das BEM sollen die Verfahrensregelungen zur betrieblichen Prävention fortentwickelt werden, um insbesondere durch Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft zu sichern. Durch geeignete Präventionsmaßnahmen soll Erkrankungen, die letztlich zum Verlust des Arbeitsverhältnisses führen können, entgegengewirkt werden ("Rehabilitation statt Entlassung").[1] Aus diesem Grund kann ein unterlassenes BEM in einem Kündigungsschutzverfahren wegen einer personenbedingten/krankheitsbedingten Kündigung auch negative Auswirkungen für den Arbeitgeber haben. Ein BEM genügt den gesetzlichen Mindestanforderungen, wenn es die zu beteiligenden Stellen, Ämter und Personen einbezieht, keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- und Änderungsmöglichkeit ausschließt und die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden.[2] Mit dem am 10.6.2021 in Kraft getretenen Teilhabestärkungsgesetz[3] wurde die Stellung des Betroffenen im Verfahren insoweit verbessert, als dass er zum BEM eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen kann.[4]

[1] So die Antwort der Bundesregierung auf die ablehnende Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 15/2318, 22.
[3] BGBl. 2021 I S. 1387.

1 Inhalt der Regelung

1.1 Zielgruppe/geschützter Personenkreis

§ 167 Abs. 2 SGB IX bezieht sich auf alle Beschäftigten, die innerhalb des Zeitraums von einem Jahr (nicht Kalenderjahr!) länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Zur Zielgruppe gehören damit sowohl

  • "langzeiterkrankte" Arbeitnehmer, d. h. Arbeitnehmer, deren Arbeitsunfähigkeit länger als 6 Wochen in einem Jahr andauert,

als auch

  • "mehrfacherkrankte" Arbeitnehmer, d. h. Arbeitnehmer, die in der Summe mehr als 6 Wochen in einem Jahr krank sind.

1.2 Geltung auch für nicht schwerbehinderte Menschen

Nach dem Wortlaut von § 167 Abs. 2 SGB IX gilt die Regelung für "Beschäftigte". Der Begriff des Beschäftigten ist umfassend, er erfasst nicht nur Schwerbehinderte, sondern alle Arbeitnehmer im Betrieb, unabhängig von einer Behinderung.[1] Die Einordnung der Vorschrift in das im SGB IX geregelte Schwerbehindertenrecht ist insoweit irreführend und systemwidrig.

[1] So zu § 84 Abs. 2 SGB IX a. F. BAG, Urteil v. 13.5.2015, 2 AZR 565/14, Rz. 25.

1.3 Verpflichtete Arbeitgeber

Zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements sind alle Arbeitgeber verpflichtet. Auf die Betriebsgröße kommt es nicht an. Insbesondere ist die Kleinbetriebsgrenze des § 23 KSchG in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Auch ob es eine Interessenvertretung i. S. v. § 176 SGB IX (Betriebs- oder Personalrat) gibt, ist insoweit ohne Bedeutung[1]; und zwar unabhängig davon, ob ein Betriebsrat gewählt wurde oder ob evtl. gar keine Wahl möglich ist (in Betrieben, die weniger als 5 ständige wahlberechtigte Arbeitnehmer i. S. v. § 1 Abs. 1 BetrVG haben, von denen 3 als Betriebsrat wählbar sind). D. h. ein BEM ist auch dann durchzuführen, wenn es keinen Betriebsrat gibt. Dieser ist nur eine der vom Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX einzubeziehenden Stellen. Auch und gerade wenn eine betriebliche Interessenvertretung nicht gebildet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung ein BEM zum Schutz betroffener Arbeitnehmer vor einer vermeidbaren krankheitsbedingten Kündigung geboten.[2]

1.4 Sonstige Beteiligte

Infographic

Verantwortlich für die Durchführung des Eingliederungsmanagements ist zunächst der Arbeitgeber. Nach dem Wortlaut von § 167 Abs. 2 SGB IX ist sein Gesprächspartner die zuständige Interessenvertretung i. S. v. § 176 SGB IX, d. h. der Betriebsrat oder der Personalrat.[1] Sonstige Interessenvertretungen der Mitarbeiter, z. B. die bei kirchlichen Arbeitgebern existierenden Mitarbeitervertretungen (MAV), werden von § 167 Abs. 2 SGB IX nicht erfasst.

Bei schwerbehinderten Menschen hat der Arbeitgeber außerdem die Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen.[2]

Auch der betroffene Beschäftigte ist (selbstverständlich) zu beteiligen und muss der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zustimmen. Der Beschäftigte kann im Verfahren zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen.[3]

 
Hinweis

Die Möglichkeit der Hinzuziehung einer Vertrauensperson eigener Wahl wurde (erst) durch das am 10.6.2021 in Kraft getretene Teilhabestärkungsgesetz[4] eingeführt. Damit soll das BEM nach Auffassung der Bundesregierung insbesondere in Betrieben ohne Interessenvertretung gestärkt werden. Denn eine Erwerbstätigenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 2018 hat gezeigt, dass ei...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Personal Office Standard. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge