Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiwillige Zulage. Betriebsübung. Widerruf. Schriftform

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Formvorschrift des § 7 Abs 2 der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) ist keine Rechtsnorm im Sinne des Art 2 BGBEG und hat daher nicht die gleiche Rechtswirkung wie eine durch Tarifvertrag bestimmte Formvorschrift.

 

Normenkette

EGBGB Art. 2; BGB §§ 157, 611, 242, 125-126, 133; ZPO § 256; DCVArbVtrRL §§ 12, 7 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 07.05.1985; Aktenzeichen 7 Sa 403/85)

ArbG Rheine (Entscheidung vom 12.12.1984; Aktenzeichen 2 Ca 416/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Stiftung verpflichtet ist, dem Kläger eine jahrelang gewährte Zulage weiterzuzahlen.

Die Beklagte, eine Einrichtung des Deutschen Caritasverbandes, unterhält ein Heim für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche. Der Kläger wurde von ihr zum 1. Januar 1967 als Maler eingestellt. Seit dem 30. August 1981 ist er als Hausmeister tätig. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 2. Januar 1969 gelten für das Arbeitsverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) in der jeweils in der "Caritas-Korrespondenz" veröffentlichten und im Amtsblatt des Ortsbistums in Kraft gesetzten Fassung. § 7 Satz 2 des Arbeitsvertrages lautet:

"Spätere Vereinbarungen bedürfen zu ihrer Gültigkeit

der schriftlichen Festlegung unter Bezugnahme

auf diesen Vertrag und der kirchenaufsichtlichen

Genehmigung."

In § 7 Abs. 2 AVR heißt es:

"Zusätzliche Vereinbarungen bedürfen zu ihrer

Gültigkeit der Schriftform."

Die Satzung der Beklagten verlangt die kirchenaufsichtliche Genehmigung nur für Verträge mit Erziehern und Lehrern. Dementsprechend legte die Beklagte den Arbeitsvertrag des Klägers auch bei späteren Änderungen nicht zur Genehmigung vor. Bei der Vereinbarung von Arbeitsvergütungen ist die Beklagte ebenfalls nicht an eine Genehmigung gebunden. Sie bestreitet ihre Ausgaben aus den ihr zufließenden Pflegesätzen.

Nach § 12 Satz 1 AVR sind maßgebend für die Dienstbezüge der Mitarbeiter in erster Linie Tätigkeit und Vorbildung. Nach § 12 Satz 2 AVR ergibt sich die Höhe der Dienstbezüge aus der den Richtlinien beigefügten Vergütungsordnung (Anlage 1 zu den AVR). Deren Nr. I (a) verweist wegen der Eingruppierung des Mitarbeiters auf die Anlage 2 zu den AVR. Diese Anlage führt insgesamt zwölf Vergütungsgruppen mit jeweils zahlreichen Fallgruppen auf. Die Vergütungsgruppe 7 Fallgruppe 19 nennt folgende Tätigkeitsmerkmale: Hausmeister mit abgeschlossener handwerklicher Fachausbildung und besonders schwierigem oder besonders vielseitigem Tätigkeitsbereich. Einen ergänzenden Hinweis auf eine der den Anmerkungen zu den Vergütungsgruppen beigefügten Fußnoten enthält die Fallgruppe nicht. Dagegen sind verschiedene andere Fallgruppen des Vergütungsgruppenverzeichnisses mit Fußnoten versehen. So lautet die besonders bei Mitarbeitern im Erziehungsdienst in Bezug genommene Fußnote 39 Abs. 1 Unterabs. 1 in der heute gültigen Fassung:

"Der Mitarbeiter in einem Erziehungsheim, einem

Kinder- oder Jugendwohnheim, in dem überwiegend

körperlich, seelisch oder geistig behinderte

oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder

oder Jugendliche zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung

oder Pflege ständig untergebracht sind,

und der Mitarbeiter in einem Heim für Behinderte

erhalten für die Dauer der Tätigkeit in einem

solchen Heim ein Zulage in Höhe von monatlich

90,-- DM."

(Eine entsprechende Regelung wies früher die Fußnote 34 auf).

Der Kläger erhielt zunächst Vergütung nach der Vergütungsgruppe 9 Fallgruppe 5. Seit Dezember 1984 bezog er Gehalt nach der Vergütungsgruppe 8 und ist nunmehr in die Vergütungsgruppe 7 Fallgruppe 19 eingestuft. Schriftliche Vereinbarungen darüber wurden nicht abgeschlossen.

Der Kläger erhielt - ebenso wie alle anderen Arbeitnehmer der Beklagten - seit dem 1. April 1970 eine Zulage in Höhe von 90,-- DM brutto, die in den schriftlichen Mitteilungen über Gehaltserhöhungen oder sonstige Veränderungen jeweils mit der Fußnote 34 bzw. 39 gekennzeichnet war.

Mit Schreiben vom 3. Oktober 1983 teilte die Beklagte dem Kläger und mehreren anderen Arbeitnehmern mit, die Zulage werde künftig nicht mehr gezahlt. Gegen den Wegfall der Zulage wehrt sich der Kläger mit seiner Klage. Er hat vorgetragen:

Die Beklagte müsse die Zulage weiterzahlen. Hierzu sei sie schon aufgrund seiner Tätigkeit verpflichtet. Die Fußnote 39 erfasse auch seinen Tätigkeitsbereich. Bei richtiger Auslegung der Fußnote ergebe sich, daß nicht nur die Erzieher, sondern alle Mitarbeiter in Erziehungsheimen in den Genuß dieser Zulage kommen sollten. Auf jeden Fall sei aufgrund der jahrelangen vorbehaltlosen Zahlung eine stillschweigende Änderung des Arbeitsvertrages eingetreten, was die Lohnänderungsmitteilungen bestätigt hätten. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten deutlich gemacht, daß sie ihm auch unabhängig von dem strengen Vergütungsgefüge der AVR die Zulage gewähren wolle. Sie habe auf die Einhaltung der Schriftform verzichtet und könne sich daher auf deren Fehlen nicht berufen. Von der Verpflichtung, ihm die Zulage weiterzugewähren, könne sich die Beklagte nur durch eine Änderungskündigung befreien. Eine solche habe sie aber nicht ausgesprochen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei,

ihm weiterhin ab Oktober 1983 zusätzlich 90,-- DM

brutto als Arbeitsvergütung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und zur Begründung geltend gemacht: Sie sei aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Zahlung der Zulage verpflichtet gewesen. Die Fußnote 39 (früher 34) beziehe sich nicht auf die Tätigkeit des Klägers. Sie, die Beklagte, habe sich weder ausdrücklich noch konkludent verpflichtet, die Zulage unabhängig von den strengen Anforderungen der Fußnote für die gesamte Dauer der Vertragsbeziehungen zu gewähren. Es handele sich um eine freiwillige Leistung, die sie, die Beklagte, jederzeit habe einstellen dürfen. Die Gehaltsmitteilungen könnten nicht als Änderung des Vertrages angesehen werden; sie stellten lediglich eine Unterlage für die Buchhaltung dar und würden nicht Inhalt der Personalakte.

Eine betriebliche Übung sei durch die Gewährung der Zulage nicht entstanden. Erforderlich dafür sei ein rechtsgeschäftlicher Wille, auch für die Zukunft leisten zu wollen. Daran fehle es hier. Zwar habe sie die Zulage jahrelang vorbehaltlos gezahlt, damit habe sie aber nicht zu erkennen gegeben, daß sie sich auch ohne schriftliche Vertragsänderung auf Dauer habe binden wollen. Ein Bindungswille für die Zukunft habe bei ihr nicht bestanden. Sie habe auch nicht auf die notwendige Schriftform zur Vertragsänderung verzichtet.

Schließlich seien die AVR wie ein Tarifvertrag zu behandeln, so daß ein Vertrauensschutz des Arbeitnehmers außerhalb der AVR nicht entstehen könne.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Das auf den Umfang einer vertraglichen Leistungspflicht gerichtete Feststellungsverlangen des Klägers ist zulässig (vgl. BAGE 47, 238, 245 = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Bestimmungsrecht, zu A I der Gründe; BGHZ 22, 43, 47, 48); es ist ferner sachlich begründet, weil die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch über den Monat Oktober 1983 hinaus die Zulage von monatlich 90,-- DM brutto weiterzuzahlen.

I. Diese Verpflichtung folgt, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht bereits aus der Fußnote 39 (früher 34) der Anmerkungen zu den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen. Die Fußnote ist nur dann anzuwenden, wenn sie der für den Arbeitnehmer einschlägigen Vergütungs- und Fallgruppe beigefügt ist. Das ist bei der für den Kläger maßgeblichen Fallgruppe 19 der VergGr. 7 nicht der Fall.

Dem Kläger kann auch nicht darin gefolgt werden, daß die Gehaltsmitteilungen mit ihrem Hinweis auf die Fußnote 39 (früher 34) ein Angebot der Beklagten zu einer Vertragsänderung bedeuteten, das er angenommen habe. Die Gehaltsmitteilungen sind keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen, sondern bloße Hinweise auf die rechnerische Zusammensetzung des Gehalts.

II. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus betrieblicher Übung, die zum Inhalt des Arbeitsvertrages der Parteien geworden ist.

1. Unter betrieblicher Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung eines bestimmten Verhaltens, das bei den Betriebsangehörigen den Eindruck einer Gesetzmäßigkeit oder eines Brauchs erweckt. Die tatsächliche Übung ist als solche keine Rechtsquelle eigener Art: sie hat keine normative Wirkung und kann auch nicht betriebliches Gewohnheitsrecht setzen. Vielmehr gestaltet sie die einzelnen Arbeitsverhältnisse durch eine an alle betroffenen Arbeitnehmer gerichtete stillschweigende Gesamtzusage. Aus ihr erwachsen vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordenen Vergünstigungen (BAG ständig, vgl. statt vieler BAGE 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe; BAGE 49, 290, 295 f. = AP Nr. 22 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 a der Gründe, jeweils m.w.N.). Dabei kommt es maßgeblich darauf an, wie das stetige Verhalten des Arbeitgebers aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu bewerten ist (§§ 133, 157 BGB).

Ob sich der Arbeitgeber binden wollte und ob er die bindende Wirkung der betrieblichen Übung erkannt hat, ist unerheblich. Entscheidend ist, daß er den objektiven Tatbestand der betrieblichen Übung wissentlich herbeigeführt hat. Will der Arbeitgeber verhindern, daß aus der Gleichförmigkeit seines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muß er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. Dieser Vorbehalt muß klar und unmißverständlich kundgetan werden (BAGE 23, 213, 221 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 c der Gründe; BAGE 40, 126, 134 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 b der Gründe).

2.a) Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes kann allerdings regelmäßig nicht ohne weiteres annehmen, eine Zulage ohne tarifliche Grundlage solle ihm nach dem Willen des Arbeitgebers auf Dauer gewährt werden. In Ermangelung konkreter Anhaltspunkte muß er vielmehr davon ausgehen, der an die Grundsätze des Haushaltsrechts gebundene öffentliche Arbeitgeber wolle sich gesetzes- und tarifgemäß verhalten. Selbst bei einer langjährigen Übung bedarf es für die Annahme, die Gewährung einer zusätzlichen Vergütung sei Vertragsbestandteil geworden, noch zusätzlicher Anhaltspunkte (BAGE 39, 271, 276 f. = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 2 der Gründe).

b) Diese für den öffentlichen Dienst geltenden Grundsätze können auf den vorliegenden Fall jedoch nicht angewandt werden. Arbeitsverhältnisse in den Einrichtungen des Caritasverbandes sind keine Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes und stehen ihnen nicht gleich. Zwar trifft es zu, daß das Vergütungsgefüge der Arbeitsvertragsrichtlinien in Anlehnung an das des BAT aufgestellt ist und daß die Zulagen im wesentlichen denen des öffentlichen Dienstes entsprechen. Auf der anderen Seite sind die Einrichtungen des Caritasverbandes bei der Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zu ihren Arbeitnehmern und zu anderen Personen aber schon deswegen freier als die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, weil sie nicht den gleichen strengen haushaltsrechtlichen Überwachungsbestimmungen unterliegen wie diese. Daher können die für den öffentlichen Dienst entwickelten Grundsätze nicht übertragen werden, so daß die Frage, ob bei der Beklagten eine betriebliche Übung entstanden ist, nach den allgemeinen Regeln beurteilt werden muß.

3. Die Beklagte hat durch die regelmäßige, über 13 Jahre fortlaufende monatliche Zahlung an den Kläger eine betriebliche Übung begründet, wonach dem Kläger die verlangte Zulage zusätzlich zu seinem Arbeitsentgelt zusteht.

a) Die Beklagte hat wegen der Zahlung zu keiner Zeit einen Vorbehalt erklärt, der verhindert hätte, daß eine Verpflichtung entstand. Ein Vorbehalt kann auch nicht darin gesehen werden, daß die Beklagte die vorgeschriebene Schriftform für die Vertragsänderung nicht eingehalten hat. Dieses Verhalten konnte und brauchte der Kläger nicht dahin verstehen, die Beklagte habe sich damit einen Widerruf vorbehalten wollen.

b) Der fehlende Bindungswille der Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, daß die Zulage in den Gehaltsmitteilungen jeweils mit dem Hinweis auf die Fußnote 39 der Anmerkungen versehen war. Diesem Umstand wäre Bedeutung beizumessen, wenn nur der Kläger die Zulage für einen kürzeren Zeitraum erhalten hätte. Das war jedoch nicht der Fall; denn die Beklagte hat die Zulage sämtlichen Arbeitnehmern gewährt, nicht nur den im Erziehungsdienst tätigen. Es hatten und haben aber nach den Arbeitsvertragsrichtlinien nicht alle Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung der Zulage, was bereits daraus folgt, daß nur die Fallgruppen der Arbeitnehmer im Erziehungsdienst einen Hinweis auf die Fußnote 39 enthalten. Dies war der Beklagten bekannt. Sie wußte, daß der Kläger und alle anderen nicht im Erziehungsdienst tätigen Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die Heimzulage erheben konnten.

Unter diesen Umständen war der Hinweis auf die Fußnote 39 aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer nur so zu verstehen, daß ihnen der gewährte Betrag als Erschwerniszulage wegen des Umgangs mit schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen unabhängig davon gezahlt werden solle, ob sie im Erziehungsdienst arbeiteten oder nicht.

c) Ohne Erfolg beruft die Beklagte sich auf die Rechtsprechung zur Anrechenbarkeit von übertariflichen Lohnzulagen auf Tariflohnerhöhungen.

Der Arbeitgeber kann übertarifliche Zulagen bei einer Tariflohnerhöhung grundsätzlich anrechnen, es sei denn, die Zulage solle dem Arbeitnehmer als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn zustehen (BAGE 15, 110 = AP Nr. 7 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung; BAG 38, 118 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 8. Dezember 1982 - 4 AZR 481/80 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung). Die Bestimmung, daß es sich um eine selbständige Zulage neben dem Tariflohn handelt, kann auch stillschweigend vereinbart werden. Sie kann sich weiter aus besonderen Umständen bei Vertragsabschluß oder einfach aus dem Zweck der Zulage ergeben. Selbständige und daher im Zweifel nicht anrechenbare Lohnbestandteile sind Leistungs-, Erschwernis- oder Sozialzulagen (BAG Urteil vom 8. Dezember 1982, aaO; BAGE 18, 22, 26 f. = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Tariflohn und Leistungsprämie, Bl. 2 R).

Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, daß diese Grundsätze auch für Arbeitsvertragsrichtlinien gelten, so darf nicht übersehen werden, daß die Anrechenbarkeit von Zulagen nicht gleichbedeutend ist mit ihrer Widerruflichkeit. Eine Zulage ist nicht schon deswegen widerruflich, weil sie anrechenbar ist. Im übrigen handelt es sich hier aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer um eine Erschwerniszulage, die mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ohnehin nicht anrechenbar ist.

III. Die Nichteinhaltung der in den Arbeitsvertragsrichtlinien und im Arbeitsvertrag des Klägers für zusätzliche Vereinbarungen und für Vertragsänderungen vorgesehenen Schriftform steht dem durch betriebliche Übung begründeten Anspruch des Klägers nicht entgegen.

1. Nach § 125 BGB ist ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig; der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge. Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist jede Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB). Dazu gehören auch Tarifverträge. Tarifvertragliche Formvorschriften sind gesetzliche Formvorschriften im Sinne der §§ 125, 126 BGB (BAG ständig, vgl. statt vieler BAGE 37, 228, 236 = AP Nr. 8 zu § 4 BAT).

Eine betriebliche Übung erlangt keine bindende Wirkung, wenn tarifvertragliche Formvorschriften nicht eingehalten worden sind: stillschweigende Zusagen können keine weitergehenden Rechte begründen als ausdrückliche Zusagen (BAGE 35, 7, 14 = AP Nr. 3 zu § 19 TVArb Bundespost; BAGE 37, 228, 233 = AP Nr. 8 zu § 4 BAT; BAGE 39, 271, 273 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 a der Gründe; BAGE 40, 126, 136 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 c der Gründe).

Die (durch betriebliche Übung begründete) Vereinbarung, eine in den Arbeitsvertragsrichtlinien nicht vorgesehene Erschwerniszulage zu gewähren, ist eine "zusätzliche Vereinbarung" im Sinne von § 7 AVR; sie bedarf daher zu ihrer Gültigkeit der Schriftform. Wenn die Schriftform nicht eingehalten wurde, so hat das jedoch nicht die gleichen Rechtsfolgen, wie wenn die Form durch Tarifvertrag angeordnet worden wäre.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes keine Tarifverträge und damit keine Rechtsnormen im Sinne des Art. 2 EGBGB oder des § 72 a ArbGG (BAGE 14, 61, 63 = AP Nr. 77 zu Art. 3 GG, zu 1 der Gründe; BAGE 28, 14, 17 = AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 1 c der Gründe; BAGE 34, 182, 184 = AP Nr. 9 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz; ferner BAG Beschluß vom 18. Mai 1982 - 3 AZN 23/82 - AP Nr. 22 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz, zu 2 der Gründe; aus dem Schrifttum besonders Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 147, 153). Eine ganz andere Frage ist, ob die Arbeitsvertragsrichtlinien bei tarifdispositivem Gesetzesrecht den Tarifverträgen gleichzustellen sind (vgl. ArbG Berlin Urteil vom 28. Oktober 1983 - 16 Ca 164/83 - EzA Nr. 21 zu § 13 BUrlG mit Anm. von Dütz; LAG Berlin Urteil vom 3. Mai 1984 - 7 Sa 8/84 - AP Nr. 19 zu Art. 140 GG mit Anm. Pahlke; s. dazu BAG Urteil vom 25. März 1987 - 5 AZR 414/84 - DB 1987, 1594, für die Amtliche Sammlung bestimmt; in diesem Zusammenhang sind die gesetzlichen Neuregelungen der jüngsten Zeit zu nennen: Nach § 21 a JArbSchG und § 6 Abs. 3 BeschFG können die Kirchen in ihren Regelungen von bestimmten gesetzlichen Vorschriften ebenso wie Tarifverträge abweichen; § 2 Abs. 1 Nr. 1 VRG nennt als Voraussetzung für den Zuschußanspruch des Arbeitgebers nach den Tarifverträgen auch die Regelungen der Kirchen). Um dieses Problem geht es hier jedoch nicht. Vorliegend ist vielmehr allein die Frage zu beantworten, ob die Formvorschrift des § 7 Abs. 2 AVR eine Rechtsnorm im Sinne des Art. 2 EGBGB ist. Das ist zu verneinen.

b) Es ist Sache des staatlichen Gesetzgebers, Regelungen nicht staatlicher Einrichtungen und Stellen allgemeine Rechtsnormqualität im Sinne des staatlichen Rechts zuzuerkennen. Für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen bestehen gesetzliche Bestimmungen, in denen dies klar zum Ausdruck kommt (§ 4 Abs. 1 TVG; § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Dagegen fehlen solche Bestimmungen für die Arbeitsvertragsrichtlinien.

2. Ebenso ist eine (durch betriebliche Übung begründete) Vereinbarung, eine in den Arbeitsvertragsrichtlinien nicht vorgesehene Erschwerniszulage zu gewähren, eine "spätere Vereinbarung" im Sinne von § 7 Satz 2 des Arbeitsvertrages des Klägers; sie bedarf daher zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Festlegung. Die Nichtbeachtung der Schriftform hat jedoch auch hier nicht gleichzeitig die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Folge.

Die Vertragsparteien können das für eine Vertragsänderung vereinbarte Schriftformerfordernis jederzeit aufheben. Das kann auch stillschweigend geschehen und ist sogar dann möglich, wenn die Vertragsparteien bei ihrer mündlichen Abrede an die Schriftform überhaupt nicht gedacht haben (vgl. BAG Urteil vom 4. Juni 1963 - 5 AZR 16/63 - AP Nr. 1 zu § 127 BGB; BAG Urteil vom 16. August 1983 - 3 AZR 34/81 - AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, zu II 2 der Gründe; BGH Urteil vom 26. November 1964 - VII ZR 111/63 - AP Nr. 2 zu § 127 BGB, zu II 1 der Gründe; BGHZ 66, 378, 380 f.; BGHZ 71, 162, 164). Weiter kann auch ein vereinbartes Schriftformerfordernis durch eine formfreie betriebliche Übung abbedungen werden (BAGE 40, 126, 136 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 c der Gründe). Das Landesarbeitsgericht ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Parteien das Schriftformerfordernis stillschweigend abbedungen haben. Dies folgt im übrigen auch schon daraus, daß im Fall des Klägers bislang auch die sonstigen Änderungen des Arbeitsvertrages, wie die Übertragung eines neuen Tätigkeitsbereichs (Hausmeister statt Maler) und die Einstufung in höhere Vergütungsgruppen nicht schriftlich vereinbart worden sind.

Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider

Polcyn Dr. Hirt

 

Fundstellen

Haufe-Index 440249

NZA 1988, 425-426 (LT1, KT1)

RdA 1988, 126

ZTR 1988, 218-220 (LT1)

AP § 7 AVR Caritasverband (LT1), Nr 1

AR-Blattei, Betriebsübung Entsch 22 (LT1)

AR-Blattei, ES 510 Nr 22 (LT1)

EzA § 125 BGB, Nr 10 (LT1)

KirchE 25, 346-352 (ST)

ZevKR 1989, 65-67 (LT1)

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