Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschlussfrist

 

Orientierungssatz

1. Ausschlussfristen betreffen nicht die Entstehung und den Inhalt von Rechten, sondern ihren zeitlichen Bestand.

2. Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Tarifvertrag gelten tarifliche Ausschlussfristen für alle mit oder nach Inkrafttreten des Tarifvertrags fällig werdenden Ansprüche.

 

Normenkette

EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 29.06.2006; Aktenzeichen 6 Sa 304/05)

ArbG Neumünster (Urteil vom 28.04.2005; Aktenzeichen 1 Ca 1412 d/03)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 29. Juni 2006 – 6 Sa 304/05 – zum Teil aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 28. April 2005 – 1 Ca 1412 d/03 – mit der Maßgabe abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird, soweit der Kläger eine Jahressondervergütung 2002 in Höhe von 775,71 Euro brutto nebst Zinsen geltend macht. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der 1. Instanz und der Revision zu tragen. Die Kosten der Berufung haben die Beklagte zu 4/5 und der Kläger zu 1/5 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über Annahmeverzugsansprüche des Klägers für Dezember 2001.

Der Kläger war seit Juli 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Laborleiter zu einem Monatsgehalt von zuletzt 3.372,66 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand nach § 1 Abs. 3 des Anstellungsvertrags vom 17. Juni 1991 der Manteltarifvertrag für Angestellte in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Bis zum 31. Dezember 2001 galt der Manteltarifvertrag idF vom 14. September 1993 (im Folgenden: MTV). Am 1. Januar 2002 trat der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten sowie Auszubildenden in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) in Norddeutschland idF vom 25. September 2001 (im Folgenden: RTV) in Kraft.

§ 11 MTV lautete:

“§ 11

Ausschlussfristen

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.”

§ 15 RTV enthält bei im Übrigen unverändertem Wortlaut einen zusätzlichen dritten Absatz, der wie folgt lautet:

“§ 15

Ausschlussfristen

Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.”

Am 19. November 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Auf die am 7. Dezember 2001 beim Arbeitsgericht Neumünster eingegangene Kündigungsschutzklage des Klägers stellte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 15. Juli 2003 – 2 Sa 457/02 – fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung erst mit Ablauf des 31. März 2002 aufgelöst worden sei. Mit Schreiben vom 10. Januar 2002 machten die Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber der Beklagten ua. die Vergütung für Dezember 2001 in Höhe von 6.569,34 DM brutto geltend. Mit der am 31. Juli 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger ua. die Zahlung dieser Vergütung verlangt.

Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Interesse, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.372,66 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins nach § 247 BGB ab dem 15. Januar 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch sei verfallen.

Das Arbeitsgericht hat dem genannten Klageantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

I. Der unstreitig nach § 615 BGB entstandene Vergütungsanspruch des Klägers für Dezember 2001 ist nicht gemäß § 11 MTV verfallen, denn der Kläger hat die seit dem 1. Januar 2002 anwendbaren Ausschlussfristen des § 15 RTV gewahrt.

1. Nach § 1 Abs. 3 des Arbeitsvertrags bestimmen sich die Arbeitsbedingungen – soweit im Vertrag nichts anderes geregelt ist – nach dem Manteltarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung. Damit waren bis zum 31. Dezember 2001 der MTV und seit dem 1. Januar 2002 der RTV einzelvertraglich in Bezug genommen. Zugunsten der Arbeitnehmer regelt § 15 Abs. 3 RTV im Gegensatz zum MTV, dass für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen, die Verfallfrist von zwei Monaten erst mit rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens beginnt.

2. Der Verfall der Ansprüche des Klägers bestimmt sich seit dem 1. Januar 2002 nach dem an diesem Tage in Kraft getretenen RTV. Nach § 17 Abs. 5 RTV wurde der Manteltarifvertrag vom 14. September 1993 rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2001 wieder in Kraft gesetzt. Gemäß § 17 Abs. 1 RTV trat der Rahmentarifvertrag am 1. Januar 2002 in Kraft. Damit liegt kein Fall der Tarifkonkurrenz, sondern der zeitlichen Ablösung des Manteltarifvertrags durch den Rahmentarifvertrag vor. Im Verhältnis von sich ablösenden Normen gilt das Ablösungsprinzip. Enthält eine Norm keine Übergangsregelung, ist davon auszugehen, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens auch auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse Anwendung findet (vgl. für das Arbeitsrecht: BAG 9. Februar 2006 – 6 AZR 283/05 – Rn. 20, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 56 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 73; 20. Januar 1999 – 7 AZR 715/97 – BAGE 90, 348, 351). Auch im Verhältnis von zwei aufeinanderfolgenden Tarifverträgen gilt – soweit nicht Abweichendes geregelt ist – das Ablösungsprinzip (BAG 30. Januar 1985 – 4 AZR 117/83 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 9 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 4 nur Leitsatz; 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309, 315; Wiedemann/Wank 7. Aufl. § 4 TVG Rn. 261, 274; Jacobs in Jacobs/Krause/Oetker Tarifvertragsrecht § 5 Rn. 80). Der spätere Tarifvertrag geht dem früheren vor. Eine abweichende Bestimmung wurde vorliegend nicht getroffen, insbesondere haben die Tarifvertragsparteien keine Übergangsregelung vorgesehen. Damit fand ab dem 1. Januar 2002 der RTV auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts begründet Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB keine Ausnahme von dem Ablösungsprinzip. Hiernach ist die Verjährung mit dem Ablauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung bestimmten Frist vollendet, wenn die Verjährungsfrist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung länger als nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung ist. Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB ist auf die Änderung der streitigen tariflichen Verfallfrist weder unmittelbar noch analog anwendbar. Die Gesetzesnorm ist bereits inhaltlich nicht einschlägig, denn sie betrifft die Länge der Verjährungsfrist, während es vorliegend um die Frage des Beginns der Verfallfrist geht. Sie enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach im Zweifel immer die kürzere Verjährungs- oder Verfallfrist anzuwenden sei. Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB knüpft an Art. 169 Abs. 1 und Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB an. Danach gilt für die Verjährung, soweit es nicht um deren Beginn, Hemmung oder Unterbrechung geht, grundsätzlich das neue Recht. Der Schuldner hat kein Recht auf den Fortbestand der bisherigen Verjährungsmöglichkeit; er wird durch eine Verlängerung der Verjährung nicht unzumutbar belastet (BGH 15. Dezember 2005 – I ZR 9/03 – NJW-RR 2006, 618, 619, zu II 2b der Gründe). Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar und dient dem Schutz des Schuldners, insbesondere sollte es für die am 1. Januar 2002 bestehenden und noch nicht verjährten kaufvertraglichen Gewährleistungsansprüche bei der kurzen Verjährung nach dem bisherigen § 477 Abs. 1 BGB verbleiben (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 14/6857 S. 5, 14/6040 S. 273 zu Art. 229 § 5 Abs. 2 EGBGB; MünchKommBGB/Grothe 4. Aufl. Art. 229 § 6 EGBGB Rn. 1 ff.). Diese Ausnahmeregelung lässt sich nach ihrem Sinn und Zweck nicht als allgemeine Regel für die Geltung tarifvertraglicher Verfallfristen heranziehen.

4. Die für den Kläger günstigere tarifliche Regelung der Ausschlussfrist im RTV beinhaltet keine unzulässige Rückwirkung zu Lasten der Beklagten. Ausschlussfristen betreffen nicht die Entstehung von Rechten und deren Inhalt, sondern ihren zeitlichen Bestand (vgl. Senat 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19, 21). Sie sind kein Bestandteil des entstehenden Rechts, vielmehr regeln sie den Fortbestand des entstandenen Rechts. Die Beklagte hat im Streitfall im Hinblick auf die früher geltende, für sie günstigere Ausschlussfrist keine “Rechtsposition” erworben, auf deren Bestand sie sich verlassen konnte. Der Anspruch des Klägers für Dezember 2001 wurde frühestens zeitgleich mit dem Inkrafttreten des RTV fällig. Der bis zum 31. Dezember 2001 geltende MTV traf keine Regelung zur Fälligkeit der Vergütung. Nach § 3 Abs. 1 des Arbeitsvertrags war das Bruttogehalt des Klägers nachträglich zu zahlen, dh. das Gehalt für Dezember 2001 wurde frühestens am 1. Januar 2002 fällig.

5. Der Anspruch auf die Dezembervergütung 2001 wurde durch den Kläger fristgemäß geltend gemacht. Dieser Vergütungsanspruch war vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängig. Die Zahlungsklage ist binnen zwei Monaten nach Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens am 15. Juli 2003 erhoben worden.

6. Die Zinsentscheidung folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 187 Abs. 1 BGB.

II. Die Beklagte hat die Kosten der 1. Instanz zu tragen, denn die Zuvielforderung des Klägers war verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten veranlasst (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens sind zu quoteln (§ 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO). Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Laux, Feldmeier, Reinders

 

Fundstellen

Haufe-Index 1827725

AuA 2008, 178

EzA-SD 2007, 15

ArbRB 2008, 10

NJW-Spezial 2008, 20

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